Inhalt – Ein Zahlendreher mit Folgen
Ein Anruf mit einer fremden Ortsvorwahl – soll sie ihn annehmen? Hannah stutzt, geht aber ran – und lernt Davey kennen, einen 29-Jährigen aus Austin, Texas, der für ein Jobinterview in England anruft. Er hat sich verwählt, kriegt die richtige Nummer raus – und eine Zusage. Nächsten Monat kommt er nach London. Hannah und Davey bleiben in „The Man I Never Met – Kann man lieben, ohne sich zu kennen?“ in Kontakt. Nachrichten, Anrufe, Videocalls; was harmlos beginnt, wächst schnell – und wird zu etwas, das sie nicht benennen können. Bald ist Januar und sie werden sehen, was sich hinter ihrer Fernfreundschaft verbirgt.
Oder auch nicht.
Denn Davey steigt nicht ins Flugzeug. Und alles ändert sich.
Keine RomCom
Ich habe mich spontan für den Roman entschieden, die Autorin sagte mir nichts, Titel und Klappentext haben mir zugesagt, ich habe bekanntlich eine Schwäche für Nachrichtenaustausch in Büchern.
Aus irgendeinem Grund dachte ich, dass es sich um eine humorvolle Story handelt, doch das stimmt nicht, nicht wirklich. Es gibt witzige Augenblicke, Hannahs Nachbarin Joan und Hannahs Freunde bringen eine Portion Spaß mit. Aber es gibt auch ein ernstes Thema, das die Geschichte zu einer macht, die sich alles andere als leicht und locker-flockig liest. Die Stimmung ist größtenteils keine angenehme, darauf sollte man eingestellt sein, auch wenn die Nebencharaktere eine zu deprimierende Atmosphäre zu verhindern wissen.
Die Charaktere
Hannah ist 27 und im Marketing tätig. Sie treibt Sport, pflegt Freundschaften und bewertet Kaffeesorten mit ihrer älteren Nachbarin. Ich mochte Hannah, auch wenn sie mir ein bisschen fremd blieb. Es war schwer mitanzusehen, in was sie hineinrutscht. Denn da ist nicht nur die schmerzliche Erfahrung, die sie durch Davey erlebt, nein, daneben gibt es viel Toxisches, das sie nicht sieht/wahrhaben will. Ich hätte gerne gehabt, dass sie früher aus diesem Zustand herauskommt, vor allem, weil es zwischendrin etwas eintönig wird.
Davey ist 29 und stand kurz vor einem Neuanfang in London. Er freute sich auf seinen Job, wollte Gebäude planen, Hannah näher kennen lernen. Doch daraus wird nichts. Er trifft Entscheidungen, die irgendwo nachvollziehbar, aber auch sehr schmerzhaft sind. Man wünscht sich, dass alles anders laufen würde. Ich konnte mitfühlen.
Hannah und Davey haben mich beide nicht vom Hocker gehauen, hätten lebendiger, weniger blass sein dürfen. Gerade Hannah ist lange nervenaufreibend passiv. Davey fasst Beschlüsse, Hannah nimmt alles hin. Man muss sie aufs Sprungbrett zerren, immer wieder, damit sie in Schwung kommt.
Es gibt eine Figur, die wir verabscheuen sollen – und das gelingt mühelos. Die Autorin kann definitiv Charaktere entwerfen, die sich subtil bis offensiv ins Aus manövrieren.
Daneben fallen vor allem Joan, Hannahs ältere/jung gebliebene Nachbarin, sowie Hannahs beste Freundin Miranda auf. Ich fand sie als Nebenfiguren ausreichend entwickelt.
Fragwürdige Verhaltensweisen
Ich muss ehrlich sagen, dass mich verschiedene Dinge störten. Drei Beispiele:
- Ich hätte gerne mehr von Hannah und Davey zusammen gelesen, mehr als Gedankenschnipsel über die jeweils andere Person oder das, was hätte sein können. Der Fokus lag zu lange woanders.
- Der Alkoholkonsum. Es sind nicht nur die Samstage, an denen getrunken wird (und zwar inklusive Kater), auch zwischendrin werden immer wieder Drinks genannt und gekippt. Als Davey komplett dicht diesen Silvester-Anruf tätigt, fragte ich mich endgültig, ob die Autorin hier zwei Endzwanziger im Sinn hatte. Mir kamen sie manchmal vor wie 16.
- „Figurprobleme“. Es wird (ebenfalls auffällig oft) auf die Figur geachtet – und zwar nicht nur unter Georges Aufsicht, der ja sowieso ein nicht zur Diskussion stehendes Verhalten an den Tag legt.
Hannah geht in Kapitel 8, Januar „… zur Vorbereitung auf Daveys Ankunft“ laufen, nachdem Weihnachten Spuren hinterlassen habe (Pos. 1317/5760). Aha. Cool.
Miranda ist später auf Diät, Joan kann auch nicht mehr beherzt zugreifen.
Dabei steht es offenbar im Vordergrund, anderen zu gefallen.
„Fett“ ist ein mehrfach genutztes Wort. Hannah wird es von der Pille, George war es früher, Davey hat damit zu tun. Tja, nun…
Das Ganze hat einen üblen Beigeschmack.
Kurzum: Mehr von den Hauptfiguren zusammen wäre toll gewesen. Und manche Sätze übermitteln bedenkliche Verhaltensweisen/Auffassungen.
Aufbau/Stil
Die Geschichte besteht aus 46 Kapiteln sowie einem Nachwort. Dazu muss ich sagen, dass ich bei den persönlichen Worten von Elle Cook Tränen in den Augen hatte. Das haben die Figuren nicht geschafft, was wiederum bestätigt, dass das Potenzial zwar da war, die Charaktere mir aber nicht „echt“ genug waren, um vollends mitzufühlen.
Den Schreibstil würde ich wohl nicht wiedererkennen, er ist schlicht, lässt sich flüssig lesen.
Der Einstieg hat mir gut gefallen, durch das „Weißt du noch, …“ (Kap. 1, Dezember, Pos. 114) fühlt man sich angesprochen, involviert. So richtig dabei war ich dennoch erst nach fast der Hälfte des Buches.
Zunächst lesen wir ausschließlich aus Hannahs Sicht in der Ich-Form. Als Daveys Gedanken dazukommen, gewinnt „The Man I Never Met – Kann man lieben, ohne sich zu kennen?“ absolut dazu. Endlich hatte mich der Roman, ich konnte ihn kaum weglegen.
Wir verfolgen die Protagonisten über einen Zeitraum von fast zwei Jahren. Das Ende fällt leider sehr knapp aus. Hier hätte ich mir ein paar Seiten mehr gewünscht.
Fazit
Insgesamt ist „The Man I Never Met – Kann man lieben, ohne sich zu kennen?“ eine emotionale Geschichte, die zunehmend interessant wurde, als Daveys Sicht dazukam.
Manche Verhaltensweisen störten mich, ließen mich überlegen, ob es sich um zwei Teenager handelt.
Ich hätte gerne mehr von beiden zusammen gelesen statt so viel aus ihren getrennten Leben voller falscher Gedanken und Entscheidungen.
Das Ende fällt knapp aus, hat mir aber gefallen. Das Nachwort berührt.
Von mir gibt’s
2,5-3/5!