Der Beitrag Drei Tage im Juni – Anne Tyler erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>„Drei Tage im Juni“ von Anne Tyler ist alles: ernst, witzig, melancholisch und hoffnungsvoll. Ein bodenständiger Roman, der unterhält – und berührt.
Werbung, da Rezensionsexemplar
Die 61-jährige Gail, die in Dauersorge lebt, ist nicht begeistert, als ihr Ex-Mann Max, der das Leben leicht nimmt, anlässlich der Hochzeit ihrer gemeinsamen Tochter Debby anreist und um Obdach bittet. Da er eine trauernde Katze dabei hat, kann er nicht wie geplant beim Brautpaar nächtigen, denn der zukünftige Schwiegersohn Kenneth hat eine Allergie. Wie sich herausstellt, ist das nicht das einzige Problem: Gail wurde beruflich übergangen, weil ihr die Sozialkompetenz abgeht. Und die Hochzeit steht auf der Kippe, weil Kenneth einen Fehler begangen haben soll.
Ich mochte die Charaktere:
Gail zerbricht sich über alles den Kopf, Max über fast gar nichts. Während sie damit kämpft, an ihrer Schule ausgetauscht worden zu sein, hat er schon neue Pläne. Ich war gespannt, was vorgefallen ist zwischen ihnen, denn hey: Sie ergänzen sich perfekt, oder? Sie könnte ihm dazu verhelfen, sich ein paar mehr Gedanken zu machen, er, der als Lehrer für Risikojugendliche tätig ist (was sonst?), würde sie daran erinnern, dass man auch sorglos(er) durchkommt. Dennoch sind sie geschieden – und im Verlauf erfahren wir die Gründe dafür.
Ich mochte, wie wir die Baines kennenlernen. Jeder dahingesagte Satz scheint etwas für die Story zu tun, etwa verraten uns die Worte, die Gail über die Katze sagt, auch etwas über sie selbst:
"Katzen haben kein kaltes Herz! Sie schützen nur ihre Würde, für den Fall, dass man sie zurückweist. Sie sagen quasi: 'Ich weise dich als Erster zurück.'"
(eBook, Pos. 2237/2284, 98 %)
Und dann ist da noch die gemeinsame Tochter Deborah Jean, 33, die kurz vor ihrer Hochzeit mit einem Mann steht, der einen Fehler gemacht hat. Die Meinungen, ob dieser unverzeihlich ist, gehen auseinander. Dieser Punkt liefert genug Stoff, um die Geschichte am Laufen zu halten – und bringt auch die Wahrheit über die Trennung der Eltern ans Licht.
Genau so eine Geschichte wollte ich mal wieder haben: Eine, die ein wenig lustig, aber nicht albern ist. Eine, die amüsiert – und die man gleichzeitig ernst nehmen kann. Es hat so viel Spaß gemacht, „Drei Tage im Juni“ zu lesen, denn es ist ein unterhaltsames und berührendes Buch. Ich hätte gerne noch weitergelesen. Andererseits: Das Ende ist wunderbar. Auch wenn es mich vielleicht eine Träne gekostet hat, wer weiß das schon.
Weitere Bücher der Autorin wanderten direkt auf meinen Wunschzettel – ich bin gespannt!
Wir lesen die Geschichte, die in Baltimore spielt, aus Gails Sicht in der Ich-Form. Ab und an wird die Leserschaft mit „Sie“ angesprochen und einbezogen.
„Drei Tage im Juni“ besteht aus den titelgebenden drei Teilen: I Schönheitstag, II Tag X und III Der Tag danach.
Trotz der wenigen Seiten passiert so einiges. Man sollte allerdings nichts Außergewöhnliches erwarten – es ist eine bodenständige Story, was nicht negativ gemeint ist, im Gegenteil: Wir sehen etwas, das genau so hätte passieren können. Es ist vorstellbar. So wie die Charaktere mit all ihren Empfindungen und Eigenheiten, die diese Geschichte ausmachen.
Anne Tyler schreibt fesselnd, humorvoll und mit Feingefühl.
„Drei Tage im Juni“ ist alles: ernst, witzig, melancholisch und hoffnungsvoll. Ein Roman, der sich echt anfühlt, unterhält – und berührt.
Dieses Buch ist für dich, wenn du
Originaltitel: Three Days in June (2025)
Übersetzung: Michaela Grabinger
Verlag: Kein & Aber
Erschienen: 12.11.2024
Seiten: 208 Seiten
ISBN: 978-3-0369-5040-2
Jetzt zu Amazon:
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]]>Der Beitrag Unter den Menschen – Mathijs Deen erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>„Unter den Menschen“ von Mathijs Deen ist eine späte, eher unbequeme Coming-of-Age-Geschichte mit ausgefallenen Figuren und skurrilen Szenen.
„Bauernsohn sucht Frau. Wohnt allein. 80 ha.“ – Das ist die Zeitungsanzeige von Jan, dessen Eltern vor wenigen Monaten verunglückten. Er erhält vier Zuschriften, entscheidet sich für die kurze Nachricht von Wil, die in erster Linie von einem Heim mit Meerblick träumt – und so versuchen die beiden, sich aneinander zu gewöhnen.
Ich warte auf einen Roman, den ich bestellt habe und als Nächstes lesen will. Da ich nicht kann ohne Buch, habe ich ein kurzes gesucht, eins, das ich zwischenschieben kann und beendet habe, sobald das andere eintrifft. Mit 192 Seiten erschien mir „Unter den Menschen“ geeignet, die Inhaltsangabe klang interessant. Ich erwartete – auch mit Blick auf das Cover – etwas Gemütliches, ja, mit eigenwilligen Charakteren, aber letztlich doch eine „harmlose“ Story.
Es kam anders.
Man sollte das „Gespür für das Skurrile“ und die Bezeichnung von „einer ungewöhnlichen Paarwerdung“ von Seiten des Verlages sehr, sehr ernst nehmen.
Wir befinden uns auf einem Bauernhof weit im Norden der Niederlande. Es gibt keine Nachbarn. Um seine Post abzuholen, muss Jan, der Kartoffeln, Zuckerrüben und Getreide anbaut, einen Kilometer zurücklegen.
Während er hier einsam ist, schon jetzt – im Dezember – an den Februar denkt, weil dann Strom und Gas abgelesen werden, wird sie magisch angezogen von dem Haus am Deich. Um bleiben zu können, ist sie bereit, einiges in Kauf zu nehmen – auch die Beziehung zu Jan.
Wil schlägt vor, es drei Mal zu machen: auf ihre, auf seine und auf was für eine Art auch immer.
Ich dachte mir nichts dabei, drei Verabredungen halt, aber nein, „es“ ist tatsächlich „das Eine“, das Jan zuvor schon so intensiv beschäftigt.
Na gut, wenn beide einverstanden sind usw.: von mir aus. Ich lasse mich darauf ein – bis mir doch wieder jegliches Verständnis fehlt:
"Ihre anfängliche Abscheu vor seinem Körper nahm ab und verflog, obwohl sie sich am Anfang manchmal heftig hatte übergeben müssen, nachdem sie miteinander geschlafen hatten."
eBook S. 114/206, 55,2 %
Dieses Buch enthält viele Stellen, die mir nicht behagten.
Wenn ich etwas höre/lese/sehe, das mich abschreckt, mir über alle Maßen suspekt erscheint, dann schaue ich genau hin und frage mich, ob das berechtigt ist. Was stößt mich so ab? Kann das so bleiben oder ist das dämlich?
Hier gibt es allerhand Szenen, die mir widerstreben. Und ich glaube, das ist okay – ich bin kein Fan davon, Leute Dinge tun zu sehen, die sie eigentlich nicht wollen.
Allerdings habe ich viel über den Inhalt nachgedacht und was der Autor uns hier zeigt, ist durchaus interessant: Da sind zwei Menschen, die versuchen, zueinanderzufinden. „Normalerweise“ stehen am Anfang Sympathie, Zuneigung oder Ähnliches. Hier haben wir einen Mann, der eine Frau sucht, und eine Frau, die ein Zuhause am Wasser will. Nun steigen sie ein, wo man vermutlich in Beziehungen irgendwann landet: Man versucht, Regeln für das weitere Zusammenleben aufzustellen, Kompromisse zu finden, sich immer wieder anzunähern.
Für mich würde das Konzept ihrer Verbindung nicht funktionieren. Sie entscheiden sich, lieber weniger zu reden, weil sie sonst streiten. Wil verleugnet, wer sie wirklich ist. Es ist alles schwierig. Jeder Weg, mit dem zwei einverstanden sind, ist okay, solange er niemandem schadet, nicht wahr? Für mich bleibt allerdings die Frage, ob sie einen solchen gehen – oder ob Jan und Wil sich nicht letztlich doch schaden damit. Welchen Preis sollte man zahlen, um seinen Träumen näherzukommen?
Jan hat es in seiner Anzeige geschrieben, obwohl er sich hinterher darüber wundert: Er ist ein Bauernsohn. Er sieht sich noch immer so, als Kind. Auch seine Wünsche klingen wie die eines Teenagers, hier einmal die unschuldigere Variante:
"Ich will mein eigenes Leben, so wie jeder, ich will einfach nur eine heiße Frau für mich allein."
eBook, S. 64/206, 30,5 %
Er ist bisher nicht erwachsen geworden, seine Mutter hat, wie wir erfahren, dazu beigetragen. Doch nun reicht es ihm. Ja, dies ist ein Entwicklungsroman, eine späte Coming-of-Age-Story. Und er macht das, was Charaktere müssen in einer guten Geschichte: Er verändert sich. Durchaus. Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, ihn wirklich kennen zu lernen.
Die Figuren wirken gut durchdacht. Jan kam mir anfangs einsam vor, womit ich arbeiten konnte. Doch dann gibt es Gedanken wie diesen:
"Er sucht in ihrem Gesicht nach irgendetwas, das er streicheln, küssen oder zur Not wenigstens schlagen möchte."
eBook, S. 10/206, 4,6 %
Ich mag Figuren, die nicht makellos sind. Aber ein wenig beängstigend ist das schon. Wer ist dieser Typ?
Seine Wutausbrüche unterstreichen, wie viel sich in ihm angestaut hat. Auch seine unbeholfene Art macht bei seiner Vorgeschichte Sinn. Ich kann stellenweise nachvollziehen, wie er sich verhält – aber es bleiben etliche Fragezeichen, weil die Vergangenheit der Charaktere nur angedeutet wird, weil alles auf Abstand gehalten wird.
Wil hat es mir noch schwerer gemacht, dabei hätte sie einiges zu erzählen aus ihrer Kindheit, von ihrer Mutter. Schade, dass so viel Potenzial verschenkt wurde. Natürlich sind rätselhafte Figuren wie diese interessant, aber ich lerne sie lieber tiefer kennen und verstehen.
Der Titel. Was will er uns sagen? Dass wir Menschen sind, wie wir sind? Für andere manchmal ein wenig komisch, schwer von Begriff, misstrauisch, schüchtern, voller seltsamer Pläne, großer Hoffnungen und Ängste, Wut und Verletzungen? Und doch kann jeder Sonderling sein Glück finden, so ungewöhnlich die Verbindung auf andere auch wirkt? Wie Jan und Wil, die sich am besten verstehen, wenn sie schweigen? Dass es zahlreiche Deals gibt im Leben und unter den Menschen – und jeder ist okay, solange die Beteiligten (einigermaßen) zufrieden sind?
Dass sowieso jeder sieht, was er sehen will, hört, was er hören will? Dass wir alle unsere Marotten haben und das völlig in Ordnung, weil ganz normal ist unter den Menschen?
Vielleicht.
Es gibt XI Kapitel auf unter 200 Seiten in der gebundenen Ausgabe.
Wir lesen aus seiner und ihrer Perspektive, wobei es keinen Ich-Erzähler gibt. Teilweise wissen wir mehr als die Figuren.
Die Geschichte dürfte sich in der Mitte der 90er Jahre abspielen, was ich aus der Milchpackung schließe. Erschienen ist die inzwischen überarbeitete Originalausgabe 1997.
Der Autor schreibt locker und flüssig, ich mochte den Schreibstil und dass nie das Gefühl aufkam, es würde nichts passieren. Es geschieht so einiges, auch wenn ich mir vieles davon anders gewünscht hätte. Der Roman ist trotz seiner Eigentümlichkeit fesselnd und die Kämpfe der Protagonisten gegen die Leere, Leerstellen und Unsicherheiten in ihrem Leben lassen nicht kalt.
Tja, was war das? Ich könnte es als die schrägste „Liebesgeschichte“ bezeichnen, von der ich bisher gelesen habe, aber eigentlich will ich es nicht so nennen. Ich bin eher bei einer späten Coming-of-Age-Story.
Der Text liest sich stellenweise sehr befremdlich. Es ist keine gemütliche Wohlfühllektüre, für mich war es eine Geschichte, die ich durchstehen musste. Gleichzeitig erkenne ich die mutige Herangehensweise und die Tatsache, dass die Lektüre zum Dranbleiben und Nachdenken bringt, durchaus (an).
Dieses Buch ist für dich, wenn du
Originaltitel: Onder de mensen
Übersetzung: Andreas Ecke
Verlag: mare
Erschienen: 12.02.2019
Seiten: 192
ISBN: 978-3-86648-280-7
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]]>Der Beitrag Ein Ort für immer – Graham Norton erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>„Ein Ort für immer“ war für mich nicht die spannende Familiengeschichte mit Krimianteil, Herzenswärme und Witz, die ich erwartete. Ich hatte mit den Figuren zu kämpfen, zu denen ich keine Verbindung aufbauen und deren Handlungen ich nicht glauben konnte.
Carol Crottie und Declan Barry hatten keinen guten Start: Sie war die Lehrerin seiner Kinder, ihm ist die Frau davongelaufen, auch der Altersunterschied ist den Bewohnern von Ballytoor ein Dorn im Auge. Dennoch leben sie glücklich in seinem Haus in der vornehmen Stable Row – bis er erkrankt. Killian und Sally stecken ihn ins Pflegeheim – und setzen Carol vor die Tür. Die 48-Jährige zieht bei ihren Eltern Moira und Dave ein, das Haus, das Declan nie verkaufen wollte, wird inseriert. Da die Crotties nicht tatenlos zusehen wollen, wie die Barry-Kinder mit ihrer Tochter umspringen, kaufen sie Carol die Nummer 7 – eine Investition, die einige Überraschungen mit sich bringt.
„Ein Ort für immer“ ist die in Irland spielende Geschichte von Carol. Wir erfahren, dass sie zunächst mit Alex zusammen war, einen Sohn bekam: Craig. Letztlich lernte die Lehrerin Declan kennen, gab seiner Tochter entgegen ihren Vorsätzen Privatunterricht. Sie wurden ein Paar und lebten in einem der sieben edlen Häuser der Stable Row. Und dann kommt der Aufreger: Declan erkrankt, seine Kinder schieben ihn ab – und werfen sie raus. Bis hierhin ist es immer noch „nur“ eine Familiengeschichte, doch der Roman hält auch eine Krimihandlung bereit. Nachdem ich vier Bücher angelesen und abgebrochen habe, war das für mich ein Anreiz, zumal ich den Kurzkrimi „Der Schwimmer“ von Graham Norton kannte, der mich zwar nicht wirklich überzeugte, sich aber flott wegelesen ließ. So etwas brauchte ich. Tatsächlich habe ich „Ein Ort für immer“ beendet – zufrieden bin dennoch ich nicht.
Ich habe Spannung erwartet. Zudem spricht der Verlag von Herzenswärme und Witz. Tja, ich weiß nicht. Bei mir kam davon nicht viel an.
Starten wir bei den Charakteren:
Einmal heißt es: „Wann war sie zu diesem passiven Kloß geworden, der die Dinge einfach geschehen ließ?“ (eBook, S. 111/349, 31,6 %) Ja, gute Frage, Carol. Warst du jemals anders? Ich weiß es nicht. Ich kann sie schlecht einschätzen, aber sie ist als 48-Jährige so nervtötend naiv, dass ich sie nicht ernst nehmen konnte. Auch ihre „Mammy“ Moira ist wenig glaubhaft. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie „echt“ sein könnten. Womöglich soll das einen Teil der Komik ausmachen?
Ein Problem, das meine Schwierigkeiten verstärkt:
Der Autor beschreibt viel – und zwar eher oberflächlich und sachlich. Ich habe den Text flott heruntergelesen, aber nichts gespürt dabei. Ich konnte nicht mit Carol fühlen, was sehr schade ist. Oft erschienen mir die Reaktionen nicht authentisch. Die gesamte Krimihandlung, die sich im Heute abspielt, macht für mich wenig Sinn (und soll vermutlich auch nicht ernst genommen werden). Kurzum: Ich hätte mir mehr Glaubwürdigkeit gewünscht.
Wir bekommen in den ca. 50 Kapiteln einen Einblick in Carols Leben, aber auch in die Gedanken von Sally und Killian. Dagegen habe ich nichts, allerdings habe ich nicht den Eindruck gewonnen, dass das für die Geschichte vorteilhaft ist. Weder zu der Protagonistin noch zu Declans Kindern konnte ich eine Verbindung aufbauen.
Zunächst geht es in die Richtung, die ich erwartete – aber glücklicherweise nicht komplett. Ich glaube, dann hätte ich in der Mitte aufgegeben. Nein, es gibt die eine oder andere (mehr oder weniger) überraschende Wendung, das muss gesagt und anerkannt werden.
Wie immer: Ich habe nichts gegen Fehler, die machen wir alle. Aber in einem Buch möchte ich nicht ständig daran hängenbleiben. Nehmen wir diesen Satz: „Sie zeugt auf das Bett.“ (S. 77, 22 %) Und auf derselben Seite, nur wenige Wörter danach: „Wie konnte diese beiden es wagen, sie derart zu demütigen?“ Schwierig. Und das sind lange nicht die einzigen Stolpersteine.
Eine Story über verschiedene Mutter-Kind-Beziehungen, störrische Männer, alte Geheimnisse – und die Folgen davon.
Ich bin schnell durchgekommen, ansonsten hat mir „Ein Ort für immer“ leider wenig gegeben.
Dieses Buch ist für dich, wenn du
Originaltitel: Forever Home (2022)
Übersetzung: Silke Jellinghaus
Verlag: Rowohlt, Kindler
Erschienen: 16.04.2024
Seiten: 384
ISBN: 978-3-463-00048-0
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]]>Der Beitrag Um Leib und Leben – Sol Stein erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>„Um Leib und Leben“ („A Deniable Man“) ist ein veralteter, aber fesselnder und unterhaltsamer Roman von Sol Stein aus dem Jahre 1989.
Susan Sarah Whitcomb lernte Professor Adams als Studentin der juristischen Fakultät der Columbia-Universität kennen. Inzwischen ist sie Ende 20 und Strafverteidigerin, will die erste Frau im Amt des Justizministers werden – und hält noch immer Kontakt zu ihrem Mentor, der in seinen 50ern ist. Er wünscht sich sehr viel mehr als sie – oder nicht? Während sie versucht, herauszufinden, was da wirklich ist zwischen ihnen, wird ihr Vater, der Brigadegeneral Harold H. Whitcomb, ermordet. Farlan Amory Adams will ihr beistehen, doch sie und ihre Mutter sind nun auf Schutz durch den unerschrockenen und mit solchen Situationen vertrauten David Smith angewiesen – ein Umstand, der alles durcheinanderbringt.
Nachdem ich den Schreibratgeber „Über das Schreiben“, im Original „Stein on Writing“, gelesen habe, war klar, dass ich einen Roman des Bestsellerautors testen muss. Ich entschied mich für „Um Leib und Leben“ – und das war eine gute Entscheidung.
Wir haben hier die Geschichte einer ehemaligen Studentin, die nicht von ihrem Professor loskommt (und umgekehrt) – und diese wird zu einer Art Thriller, als Susans Vater umgebracht wird. Es stellt sich heraus, dass Giovanni Monteleone und seine Leute dahinterstecken, was bedeutet, dass auch die Hinterbliebenen in Gefahr sind, denn die Familie der Offiziellen steht immer auf der Liste dieser Menschen.
Ich würde das Buch als unterhaltsam beschreiben. Die ganze Zeit über ist eine solide Spannung vorhanden. Es ist einiges los und wird nie langweilig; selbst wenn es um Susans „Männerproblem“ geht, war ich interessiert dabei.
Ich möchte darauf hinweisen, dass das Buch aus dem Jahr 1989 stammt. Es ist nicht up to date, das N-Wort fällt, es gibt einige Stellen, über die man sich aufregen könnte. Ich war mir im Klaren darüber, dass es sich um einen Roman handelt, der so alt ist wie ich – und habe Entsprechendes einkalkuliert. Ob „Um Leib und Leben“ in dieser Hinsicht funktionieren kann, muss jeder Lesende vorab für sich entscheiden.
Darüber hinaus gibt es einige Klischees und unglaubwürdige Entwicklungen, die hingenommen werden müssen.
Das Buch besteht aus zwei Teilen und 48 Kapiteln.
Der Klappentext verrät viel, auch die der Geschichte vorangestellten Zeilen geben einen Ausblick auf das, was uns erwartet. Dennoch war es spannend genug, um dranzubleiben.
Immer wieder wird die Leserschaft angesprochen, es wird um Verständnis ersucht und versucht, eine Verbindung aufzubauen.
Wir lesen aus wechselnden Perspektiven, jeweils in der Ich-Form. Teilweise fragte ich mich, ob dieser Blickwinkel zwingend nötig ist (etwa bei Davids Vater).
Obwohl ich Gerichtsverhandlungen mag, sind mir die Ausschnitte dazu beinahe zu lang geraten.
Das Ende sorgt sicher für unterschiedliche Meinungen. Ich finde es gelungen, da es eine Entscheidung ist, die in Erinnerung bleibt.
„Um Leib und Leben“ von Sol Stein ist ein veralteter, aber spannender Roman. Die Story ist nicht anspruchsvoll, was genau das Richtige war, denn ich brauchte etwas Fesselndes zum Abschalten – und habe sie an zwei Nachmittagen verschlungen.
Dieses Buch ist für dich, wenn du
Originaltitel: A Deniable Man (1989)
Übersetzung: Fritz Kemmler
Verlag: Goldmann
Erschienen: 10/90
Seiten: 318
ISBN: 3-442-09791-6
Das Buch ist nur noch gebraucht erhältlich, eventuell hier über Drittanbieter bei Amazon:
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]]>Der Beitrag Die See – John Banville erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>In Banvilles Roman „Die See“, der 2005 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, lesen wir von Max Morden, einem trauernden Witwer, der sich an seine Jugend erinnert.
Ein sprachlich herausragendes Buch.
Nach dem Tod seiner Frau besucht Kunsthistoriker Max Morden den Ort, an dem er einst die Sommerferien mit seinen Eltern verbrachte: In Ballyless lernte er die Graces kennen, eine Familie, die eine enorme Anziehungskraft auf ihn ausübte und in der Villa Zu den Zedern wohnte. Doch wieso zieht es ihn zurück? Was ist vor über 50 Jahren hier passiert?
Max heißt gar nicht Max. Das erfahren wir aus einem Gespräch, das er mit seiner Mutter führt. Auch den Ort tauft er um, ebenso die Beteiligten. Viele Namen lassen mehr als eine zufällige Wahl vermuten und sich entsprechend interpretieren.
Wir haben mit dem traumatisierten Max einen unzuverlässigen Erzähler, der schon früh eine Vorstellung von seinem Leben hatte, die ihm Anna, seine nunmehr an Krebs verstorbene Frau, durch ihr Erbe ermöglichte. Und so fiktiv wie die Namen sind teilweise auch die Erinnerungen, die er heraufbeschwört. Alles vermischt sich: Träume, Erlebnisse, Fantasien, dazu der Alkohol – der Zusammenbruch ist vorprogrammiert.
"Ich trinke wie einer, der vor kurzem verwitwet - verwitwert? ist - ein Mensch von geringem Talent und noch geringerem Ehrgeiz, der mit den Jahren grau geworden ist, unsicher und verirrt, einer, der Trost braucht und den kurzen Aufschub eines durch das Trinken hervorgerufenen Vergessens."
S. 168
Ich weiß nicht recht, was ich halten soll von diesem Protagonisten. Einige seiner Erinnerungen lassen ihn ehrlich, aber unsympathisch erscheinen. Ich mag unvollkommene Charaktere, manches, das er lapidar erwähnt, ist dennoch schwer verzeihlich.
Die Dynamiken wirken insgesamt ungesund.
Max bleibt durch das, was und wie er es erzählt, rätselhaft, auch wenn immer wieder etwas von ihm, von dem, was ihn wirklich ausmacht, durchschimmern mag.
„Die See“ ist ein langer innerer Monolog.
Seine Ehefrau erkrankte an Krebs und starb innerhalb eines Jahres daran. Er hat eine Tochter mit ihr: Claire, das Verhältnis ist eher schwierig, sie will ihm aus seiner Trauer helfen, doch er kehrt nach Ballyless zurück und möchte niemanden sehen.
Er erinnert sich an seine Jugend, die durch die Familie Grace dadurch geprägt wurde, dass er zum ersten Mal in seinem Leben Verliebtheiten und Verluste erfuhr. Er war elf, als es ihm Carlos sinnliche Frau Constance angetan hat, sammelte später mit Myles‘ störrischer Zwillingsschwester Chloe erste Erfahrungen. Es ist ein Einblick, der eine Mischung ist aus unschuldig und unanständig. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass er die Familienmitglieder als Götter wahrnimmt, wodurch er zu einem (sündhaften) Beobachter wird.
Max ist zurückgekehrt an den Ort, an dem er die Graces kennenlernte, berichtet uns von seinem Aufenthalt in Ballyless bei Madame Vavasour und Colonel Blunden.
Wir haben also einen trauernden Witwer und einen Jungen. Man fragt sich, wie alles zusammenhängt. Wieso zieht es ihn nach dem Tod seiner Frau wieder in das Stranddorf seiner Jugend, was hat das miteinander zu tun? Um diese Flucht zu verstehen, muss man bereit sein, sich näher mit dem Inhalt zu beschäftigen. Den Roman einfach runterzulesen, wird vermutlich nicht zufrieden machen (wobei der Schreibstil durchaus Freude bereitet).
Liebe und Tod, diese beiden schlagen ein in das Leben der Hauptfigur, ungefragt, verstörend, unabwendbar.
Es geht um die Vergänglichkeit in „Die See“, um ein Festhalten-Wollen, ein Loslassen-Müssen.
Mehrfach wird Bonnard erwähnt. Max arbeitet an einer Monographie über ihn, aber sie verbindet mehr als Mordens berufliches Interesse: Der Maler hat seine Frau festgehalten, sie verewigt, ein Akt der jungen Version von ihr in der Badewanne, immer wieder, selbst nach ihrem Tod. Der Protagonist will ebenfalls festhalten an anderen Zeiten, an seiner Frau, indem er sich erinnert – eben auch an seine Jugend, denn hier sammelte er ähnliche Erfahrungen – in mehr als einem Punkt.
Der Titel ist wichtig, die See stellt all das dar, was sich abspielt in der Geschichte. Max steht vor einer Herausforderung: Er muss einen Weg finden, um klarzukommen mit der Situation. Er denkt zurück an all das Weibliche in seinem Leben, beschwört eine Art Wiedervereinigung herauf. Es geht um die Unendlich- und Unberechenbarkeit, ebenso um das Unbewusste und die Erinnerung.
Gedanken über Gedanken, das kann schnell langweilen. Doch hier kommt sie, die Stärke des Buches: Der Schreibstil, der für das Gegenteil sorgt.
Es wird deutlich, dass Banville ein scharfer Beobachter ist, dem kleinste Details auffallen, die er mühelos in glänzende Sätze verpackt. Ich mochte die gewählten Worte, die Melodie, die sie ergeben.
Manchmal wirkt der Aufbau etwas ziellos, die Zeitsprünge, die Gedanken, nicht chaotisch, nur überraschend fließend. Man muss aufmerksam lesen, bekommt so manche Entgegnung erst, wenn man fast vergessen hat, dass ein Gespräch stattfindet. Es ist viel los in Max, da sind eine Menge Erinnerungen, ein Strom, der nicht abreißt. Aber Banville kann sich das erlauben, er hat es im Griff.
Eine Reflexion mit Tiefgang, sprachlich wunderbar festgehalten.
Dieses Buch ist für dich, wenn du
Originaltitel: The Sea (2005)
Übersetzung: Christa Schuenke
Verlag: KiWi
Erschienen: 25.11.2015
Seiten: 240
ISBN: 978-3-462-04899-5
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Der Beitrag Die See – John Banville erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>Der Beitrag Die Hochstapler – Tom Rachman erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>In „Die Hochstapler“ von Tom Rachman folgen wir Dora Frenhofer, einer 73-jährigen Schriftstellerin, die einen letzten Roman schreiben will.
Ein vielschichtiges und überraschendes Buch, bei dem ich mich lange fragte, worauf es hinauswill.
Dora Frenhofer, eine 73-jährige gebürtige Niederländerin, die in London lebt, war ihr gesamtes Leben lang auf der Suche nach neuen Figuren. Nun sieht sie ein: Nachdem ihre Werke kaum mehr Beachtung finden, wird sie das Schreiben aufgeben. Doch bevor sie das tut, will sie es ein letztes Mal wissen: Kann sie noch einen Roman herausbringen? Einen, den die Menschen lesen?
Das Buch ist in neun Kapitel unterteilt, die jeweils einzelne Geschichten enthalten. Wir lesen über
Entsprechend sollte man Geschichten innerhalb einer Geschichte ertragen können, denn ja, die einzelnen Abschnitte laufen auf ein großes Ganzes hinaus, aber bis dahin ist Geduld gefragt.
Immer wieder gibt es Tagebucheinträge von Dora, in denen sie Alltagsbeschreibungen festhält und über das Vorankommen mit dem Roman erzählt. Dadurch wird das Gefühl geweckt, live dabei zu sein, während dieses Buch entsteht. Das unterstreichen auch die jeweils drei Satzanfänge am Ende einer solchen Aufzeichnung, von denen zwei gestrichen, der dritte aber zum neuen Kapitelanfang wird. Das ist interessant, das hat der Autor gut gemacht.
Die Tagebucheinträge werden im Zeitraum von Dezember 2019 bis September 2021 verfasst – und somit zur Zeit der Pandemie. Corona spielt in den Teilen, in denen die Hauptfigur aus ihrer Perspektive schreibt, eine Rolle – und verstärkt die Einsamkeit, unter der die Schriftstellerin leidet. Doch nicht nur sie: Auch die anderen verspüren sie, ihr Bruder, ihre Tochter, ihr Kollege, ihre Freundin. Ich mag, wie Tom Rachman das beschrieben hat, wie er die Gefühle der Menschen rüberbringt. Leben wir nicht letztlich alle in dieser Mischung aus Wunsch, Wirklichkeit und Angst?
"Ich bin von Hoffnung wie beschwipst (könnte dieses Buch gut werden?), von Tatsachen ernüchtert (wenige wird es kümmern) und will mehr, setze mich also wieder, knotige Finger auf der Tastatur, schwächelnde Augen am Bildschirm."
eBook, Tagebuch März 2020, S. 76, 17,7 %
"Nächtelang arbeitet sie an ihrem Auftritt, beugt sich über alte Notizbücher, hat eisige Angst, weil sie so erbärmlich ist - große Hoffnung, dass sie umwerfend sein wird, dass sie sich offenbart und von den Leuten gesehen wird."
eBook, Kap. 3 Die entfremdete Tochter der Autorin, S. 114, 26,2 %
Sie alle sind zerrissen und einsam. Und sie teilen noch mehr:
Man sagt, wenn man schreibt, spricht man immer auch über sich selbst. Und das ist in „Die Hochstapler“ ebenfalls so:
Dora schreibt – und auch in den einzelnen Geschichten wird geschrieben. Alle tun es aus bestimmten Gründen: Sie bringen die Worte zu Papier, die sie nicht aussprechen können. Sie wollen gesehen werden, etwas Bleibendes hinterlassen.
So ist es bei der Protagonistin, die in den Kapiteln ihre Erlebnisse und Gefühle, die sie mit den Vorbildern der Charaktere verbindet, verarbeitet. Und so ist es bei Mr R.A.S. Bhatt, der Indien retten will und sich an einem Brief an die Premierministerin versucht, doch stattdessen sein Herz sprechen lässt. Amir, dem Schlimmes angetan wurde, arbeitet seine Gefangenschaft handschriftlich auf.
Schreiben, Briefe oder Bücher, kann alles sein: Hoffnung, Rechtfertigung, Trauerbewältigung, Anteilnahme. Und meist auch eine ordentliche Portion Hochstapelei:
Der Titel hat mich zum Nachdenken gebracht. Hochstapler – Betrüger, Wichtigtuer? Ich deute das nach dem Lesen des Buches so:
Dora zeigt uns zweierlei: Sowohl die Schreibenden als auch die Figuren sind Hochstapler. Das müssen sie sein, um das zu kriegen, was sie wollen: unsere Aufmerksamkeit.
Sie bringt sämtliche Charaktere in eine Situation, in der sie sich wie Versager fühlen, die im Übrigen eine ist, in der auch sie sich befindet. Im Grunde wollen sie nicht viel, sie möchten gesehen werden, wertgeschätzt für das, was sie denken und ausdrücken. Wie wir alle. Manche schämen sich für ihre Worte, kämpfen darum, sie zurückzuhalten (Mr Bhatt), kein Wunder, schließlich können sie eine Katastrophe auslösen (Morgan) oder in die falschen, da zu unvorsichtigen Hände gelangen und damit auf ewig verschwinden (Will/Amir). Wenn man sich überwindet und sie freigibt für die Öffentlichkeit, fordern die Verfasser etwas: eine Chance. Sie wollen, dass wir ihnen vertrauen. Wie Rachman will, dass wir Dora folgen, die wiederum will, dass wir über ihre Figuren lesen, deren Leben sie ein wenig ausschmückt, um es aufregender zu machen. Lesenswerter. Das Ganze ist nicht uneigennützig, denn die, die Bücher schreiben, möchten in Erinnerung bleiben:
"Ich stelle mir meine Tochter vor, wie sie nach meinem Tod liest, was ich auf diesen Seiten geschrieben habe. Vielleicht fasst sie meine Bücher aber auch gar nicht an, weil sie das zu schmerzlich findet und es vorzieht, lieber nicht allzu lebhaft an mich zu denken, da ich nicht mehr bin, in meinen Romanen aber noch präsent sein könnte. Habe ich sie nicht deshalb geschrieben?"
eBook, Tagebuch September 2021, S. 354, 355, 82,8 %
Haben sie nun aber den blinden Glauben an sie und ihre Figuren, haben sie unsere Zeit verdient? Das wissen wir erst hinterher. Bis dahin hoffen wir darauf, dass sie das draufhaben, was uns Rachman hier durch Dora präsentiert: Dass sie ihre eigenen Erfahrungen nutzen und mit Hilfe ihrer Fantasie glaubhafte Charaktere erschaffen, denen wir gerne in ihre Welten folgen. Der schüchterne Außenseiter muss bereit sein, sein Leben zu riskieren, um ein anderes zu retten, die Kinder hütende Mutter den Biss, einen Neonazi im Knast zu treffen. Dabei stellen sich die Schöpfer tausend Fragen und all ihren Zweifeln: Wie viel Wahrheit muss in den Figuren stecken? Wie viele Risiken sollten die eigenen Geschöpfe eingehen – und man selbst? Schadet man auch niemandem? Wieso schreiben, wenn man sowieso nichts komplett Neues kreieren kann? Wird Literatur überhaupt noch lange leben?
Es ist unklar, worauf die Geschichte hinausläuft, aber es gibt hier ein Wiedererkennen, da eine Ahnung – und letztlich die Erkenntnis, dass Dora ihre Charaktere und Rachman seine Protagonistin die ganze Zeit über im Griff hatte, dass es einen Plan gab, der aufgeht. Es geht darum, dass man am Ende des Lebens zurückschaut und sich fragt, wohin all die Entscheidungen geführt haben – und vielleicht auch hätten führen können. Wir sehen, dass Fiktion und Realität, Autor und Figuren zusammenhängen, dass immer jemand etwas aufbauscht, während ein anderer untertreibt, dass wir alle nur gesehen und in Erinnerung bleiben wollen, dass all die Arbeit und Wagnisse sich ausgezahlt haben, damit dieses Buch erscheinen konnte.
Um ehrlich zu sein: In mir wohnt jetzt der unmögliche Wunsch, alles, was jemals jemand von Herzen geschrieben hat, zu lesen.
Herzlichen Dank auch.
Ich bereue dennoch nicht, „Die Hochstapler“ gelesen zu haben. Tom Rachman schreibt wunderbar, egal ob tragisch, sarkastisch oder emotional, immer unterhaltsam. Ich bin durch die Seiten gesaust, seine Figuren sind interessant, es gibt nachvollziehbare Gefühle, Überraschungen und einiges zum Nachdenken.
Den Autor merke ich mir. Ziel erreicht, oder?
Dieses Buch ist für dich, wenn du
Originaltitel: The Imposters (2023)
Übersetzung: Bernhard Robben
Verlag: dtv
Erschienen: 13.06.2024
Seiten: 416
ISBN: 978-3-423-28397-7
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]]>Der Beitrag Blumen für Algernon – Daniel Keyes erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>„Blumen für Algernon“ von Daniel Keyes ist ein vorhersehbarer, aber durchaus berührender Science-Fiction-Klassiker über ein wissenschaftliches Experiment zur Verbesserung der Intelligenz.
Der 32-jährige Charlie Gordon besucht die Mittelpunktschule für retardierte Erwachsene, arbeitet seit 17 Jahren in einer Bäckerei, hat Freunde und Spaß, sein Leben ist in Ordnung. Eine einzige Sache wünscht er sich: Intelligent zu sein. Als er für ein Experiment vorgeschlagen wird, das seinen IQ erhöhen soll, ist er begeistert – und wird tatsächlich ausgewählt. Der chirurgische Eingriff wurde zuvor an Algernon, einem Mäuserich, erprobt – und zeigt auch an Charlie Wirkung, der jeden Tag etwas schlauer wird. Doch die emotionalen Dinge kann er sich nicht anlesen, die muss er erfahren. Das bringt einige Herausforderungen mit sich – ebenso wie die Tatsache, dass er plötzlich Vorgänge durchschaut, die ihn wütend und ängstlich machen.
„Blumen für Algernon“ ist anfangs kein Buch, durch das man fliegt, vielmehr muss man es entziffern. Der Protagonist ist ein Mann mit einem IQ von 68. Ich zitiere den ersten Satz, um zu verdeutlichen, wie die Berichte aussehen, die Charlie vor dem Eingriff verfasst, hier noch überschrieben mit „Forschritsberich 1, 3 Merts“ statt „Fortschrittsbericht“ und „03. März“:
"Dr Strauss sagt fon nun an sol ich aufschreiben was ich denke und woran ich mir erinere und ales was ich erlebe."
eBook, S. 6, 1,4 %
Es bleibt nicht ewig so, aber die ersten Seiten ziehen sich. Er lernt die richtige Schreibweise schwierigerer Wörter, im Verlauf, dass es Kommata gibt und später, wie er sie verwendet. Das Ganze geht – rückblickend betrachtet – extrem schnell. Es ist beeindruckend, wie viel er sich in kurzer Zeit aneignet – und dass es (zunächst) keine Grenzen zu geben scheint.
Titel und Cover verraten es: Es geht nicht nur um Charlie. Das Experiment, das seine Intelligenz chirurgisch verbessern soll, wurde zunächst an dem Mäuserich Algernon durchgeführt. Die Operation hat dafür gesorgt, dass er nun als Genie im Irrgarten glänzt. Er wird im Käfig gehalten, muss für sein Futter arbeiten. Charlie widerstrebt das einerseits, weil das Tier nicht als solches wahrgenommen wird. Es ist ein Versuch, mehr nicht. Immer wieder ruft er den Wissenschaftlern ins Gedächtnis:
"Ich bin ein Mensch. Ich war es bereits, ehe ich unter das Messer des Chirurgen kam."
eBook, S. 102, 28,3 %
Denn die sagen über ihn:
"Als Charlie zu uns kam, war er ein Außenseiter der Gesellschaft, allein in einer Großstadt, ohne Freunde und Verwandte, die für ihn sorgten, ohne das geistige Rüstzeug, das ein normales Leben erlaubt. Ohne Vergangenheit, ohne Kontakt zur Gegenwart, ohne Hoffnung auf die Zukunft. Man darf wohl sagen, dass Charlie Gordon vor diesem Experiment nicht wirklich existierte..."
eBook, S. 186, 52,1 %
Zudem verkörpert Algernon die Intelligenz, die er haben will – und wird im Verlauf zum Wegweiser, der mir das Weiterlesen schwer machte. Man ahnt es, sieht es kommen. Es bestürzte mich, zu sehen, wie sich das Ganze entwickelt. Bei ihm. Und damit bei Charlie. Es gibt in der Mitte des Buches einen kleinen Aufstand, der mir gefiel, aber die meisten Szenen habe ich als sehr traurig wahrgenommen.
Zunächst will Charlie Gordon schlauer werden, um mitreden zu können. Er hat Freunde in der Bäckerei, in der er putzt und für die er ausliefert, er hat ein gutes Leben, träumt aber davon, sich über die großen Themen auszutauschen. Woher das kommt, erfahren wir nach und nach: Es hat mit seinem Elternhaus zu tun. Da ihm von klein auf eingebläut wurde, nicht richtig zu sein, ist der Wunsch, den er hegt, nachvollziehbar.
Doch dann stellt sich heraus: Sein Leben war anders, als er es wahrgenommen hat. Dadurch, dass er mehr versteht, erkennt er, dass seine Freunde keine Freunde waren. Nun, da er intelligent ist, wünscht er sich echte Verbindungen, aber so einfach ist das nicht. Vor allem, weil man aneckt, wenn man nicht mehr blind folgt, sondern eine eigene Meinung kriegt, hinterfragt, widerspricht, ja, letztlich überlegen ist. Wenn man kritische Situationen durchschaut, die sich früher unbemerkt hinter dem Rücken abgespielt haben, führt das unweigerlich zu Problemen: Was anfangen mit dem Wissen, wie handeln, wen verschonen?
Ich weiß ja, dass er kein Mitleid will. Ich habe ihn kennen gelernt durch seine Berichte, denn das gesamte Buch besteht aus seinen Notizen. Aber er tat mir leid. Ich konnte mit ihm fühlen und habe mir mehr als einmal gewünscht, alles könnte anders sein, er hätte andere Erfahrungen gesammelt in seinem bisherigen Leben – und seinem zukünftigen.
„Blumen für Algernon“ von Daniel Keyes, inzwischen verfilmt, erschien zunächst 1959 als Kurzgeschichte und umfasst im Roman 304 Seiten (359 in der von mir gelesenen eBook-Version). Die Geschichte startet am 03. März und endet am 21. November, sie spielt in einem nicht näher bezeichneten Jahr in New York (und anlässlich einer Tagung kurze Zeit in Chicago). Es gibt 17 Fortschrittsberichte.
Nicht nur der Verlauf der Story kriegte meine Aufmerksamkeit. Die Auffälligkeiten in Bezug auf die Rechtschreibung, Grammatik und Interpunktion habe ich bereits angesprochen, eine weitere Besonderheit ist, dass wir die Aufzeichnungen aus der Ich-Form lesen – bis Charlie anfängt, über sein „altes Ich“ in der dritten Person zu erzählen. Ich war gespannt, wo das hinführen würde. Es verdeutlicht in jedem Fall, dass sich die Vergangenheit nicht einfach abschütteln lässt.
Mit seinem wechselnden Intellekt wissen wir auch mehr oder weniger als er. Anfangs sind wir ihm überlegen, lesen mehr aus den Zeilen, als er begreift. Später würde er uns alle schlagen, schreibt aber so, dass die Wissenschaftler, für die er seine Gedanken und Erfahrungen festhält, ihm folgen können.
Der Text bringt zum Nachdenken, indem er allerhand Fragen auslöst:
Warum gibt es solche Experimente? Ist es in Ordnung, davon auszugehen, dass Charlie wegen seines IQs „verbessert“ werden muss? Wenn er vorher glücklich war – darf man überhaupt etwas ändern? Wer sollte diese Entscheidung treffen (er, der die Tragweite nicht versteht? Die Familie, die ihn seit 17 Jahren nicht gesehen hat?)? Wo ist die Grenze, wann muss Schluss sein? Ist es gleichzusetzen, dass zunächst er wegen seines geringen IQs gehänselt wurde – und sich später die Menschen von ihm abwenden, weil er als herablassend wahrgenommen wird? Wurde sein Leben wirklich besser oder war er stets isoliert, erst wegen seines niedrigen und dann wegen seines hohen IQs?
Vor Science-Fiktion schrecke ich immer zurück, aber dies ist ein Buch, das sich gar nicht weit weg anfühlte, eines, das ich mochte.
Vom geistig Zurückgebliebenen zum Genie, eine Wahnsinnsgeschichte, die ich nicht so schnell vergessen werde. Mich hat das Lesen von „Blumen für Algernon“ sehr traurig gemacht, ich hätte mir ein anderes Leben für Charlie gewünscht. Dennoch bin ich zufrieden mit dem Ende. Irgendwie.
Dieses Buch ist für dich, wenn du
Originaltitel: Flowers for Algernon (1959/1966)
Übersetzung: Eva-Maria Burgerer
Verlag: Hobbit Presse / Klett-Cotta
Erschienen: 06.03.2015
Seiten: 304
ISBN: 978-3-608-98815-4
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Eine andere Rezension
ist es "ein sehr ernstes und ruhiges Buch mit vielen Einblicken und Botschaften, die sehr ans Herz gehen." -
und da stimme ich zu.
Der Beitrag Blumen für Algernon – Daniel Keyes erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>Der Beitrag Mitternachtsschwimmer – Roisin Maguire erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>„Mitternachtsschwimmer“ ist ein sprachlich starker Roman, der mich vor allem mit seinen Charakteren und fühlbaren Beschreibungen begeistert hat.
Grace Kielty, 50, hält nichts von den Touristen, die nach Ballybrady kommen, um ihren Urlaub zu verbringen und sie in ihrer Ruhe zu stören. Dennoch vermietet sie hier ein Cottage, diesmal an Evan Moore aus Belfast. Mit seiner duckmäuserischen Art kann die schroffe Grace wenig anfangen. Was steckt dahinter, was hat er erlebt?
Sieben Tage will Evan in Ballybrady, dem (fiktiven) verschlafenen Dorf an der irischen Küste, bleiben, um seiner Frau Lorna den Abstand zu geben, den sie braucht. Etwas ist vorgefallen innerhalb der Familie, das sie entzweit hat, vorher schon, doch nun steht das Unaussprechliche im Raum, das ihn zum Rückzug zwingt.
Zunächst geht die geplante Woche im März gegen seinen Willen in die Verlängerung: Der Lockdown lässt ihm keine Wahl.
Wer nicht über Corona lesen möchte, ist bei dem Roman an der falschen Adresse, denn es ist kein nebensächliches Thema. Es nötigt Evan, seine unfreiwillige Auszeit zu verlängern, es bringt die kauzigen Charaktere dazu, Abstand zu halten. Für Grace ist das kein Problem, sie bleibt sowieso am liebsten für sich. Und hier finden wir das größte Veränderungspotenzial: Von der gewollten Abschottung über das notwendige Social Distancing bis hin zur Verbindung, die die Menschen suchen, weil sie sie brauchen, ob sie wollen oder nicht.
"Der Mann aus der Stadt. Der war auch nicht glücklich. In seinen Augen lag etwas so Finsteres, das mit ihren tiefsten Abgründen korrespondierte und Dinge ans Licht zerrte, die sie lieber vergessen hätte."
eBook, S. 217, 57,8 %
Grace ist verrückt, so sagt man in dem Örtchen, in das es Evan verschlägt. Die 50-Jährige, immer mit Hut und Hund unterwegs, fertigt Quilts und liebt ihre Bucht am Kiesstrand, schwimmt nackt (am Tag wie in der Nacht) im Meer. Am liebsten bleibt sie für sich, ansonsten tritt sie angriffslustig auf.
Ich finde, dass die Autorin eine starke Protagonistin erschaffen hat. Auch über die Sprache macht Roisin Maguire deutlich, wie Grace drauf ist: Sie versucht, alle(s) auf Abstand zu halten, nicht an sich herankommen zu lassen. Für sie braucht der hässliche Hund keinen Namen, in ihren Gedanken gibt es Palpitationen, nicht etwa ein romantisches Herzklopfen, ha! Das macht die Figur nicht nur interessant, sondern lässt sie auch glaubhaft rüberkommen.
Doch es ist nicht nur Grace, die für die ruppige Stimmung sorgt. Es ist das unberechenbare Wasser (und dessen Bewohner), das eine große Rolle spielt, wodurch wir auch die unbequemen, aber normalen Dinge der Natur, die wir gerne ausblenden, vor Augen geführt kriegen.
Es sind die Einwohner, die jeden Neuling prüfend beäugen und nicht davor zurückschrecken, Menschen abzustempeln.
Wir bekommen eine Mischung aus grob und herzlich, kühl und warm, es gibt beide Seiten – wie im echten Leben. Und das ungefiltert:
Es werden ein paar unfreundliche, aber (teils) nachvollziehbare Gedanken ausgesprochen, wir sehen ehrliche Charaktere, denen Dinge in den Kopf kommen, die sie besser wissen bzw. nicht so meinen (wollen). Das macht die Figuren noch glaubwürdiger und unterstreicht, wie unverfälscht die Geschichte ist, die mit einem dazu passenden, weil ungeschönten Ende abschließt.
Ich finde es mutig, dass die Autorin Szenen wie diese aufgenommen hat.
Bei „Mitternachtsschwimmer“ handelt es sich um den Debütroman von Roisin Maguire.
Das Buch besteht aus drei Teilen und 38 Kapiteln.
Ich mag den Schreibstil. Der Mix aus spröden und gefühlvollen Sätzen überzeugt. Die Beschreibungen sorgen dafür, dass ich mir alles genau vorstellen kann, etwa hier, als Evan einen Vogel berührt:
"Er fühlte sich an wie aus Wolken und Zweigen gemacht."
eBook, S. 250, Kap. 28, 66,8 %
Das glaube ich sofort. Wie sonst soll sich so ein Tier anfühlen?!
Die Geschichte verläuft ruhig, bis am Ende alles aus den Fugen gerät. Ehrlicherweise enttäuscht mich der letzte Teil, angefangen bei der Suche, deren Ausgang mir klar war, bis hin zum knappen Schluss.
Schön finde ich, dass es Hoffnung gibt inmitten all der Trauer und verdrängten Erlebnisse, und die Botschaft, dass man neu anfangen kann, wenn man sich dazu entschließt.
Mit „Mitternachtsschwimmer“ ist Roisin Maguire ein Debütroman gelungen, der mich vor allem mit seinen unkonventionellen Charakteren und den fühlbaren Beschreibungen überzeugt hat.
Dieses Buch ist für dich, wenn du
Originaltitel: Night Swimmers (2024)
Übersetzung: Andrea O’Brien
Verlag: DuMont
Erschienen: 15.07.2024
Seiten: 352
ISBN: 978-3-8321-6829-2
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Eine andere Rezension
ist "Mitternachtsschwimmer" "ein Lesegenuss".
Mehr aus Irland
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]]>Der Beitrag Der Friedhofswärter – Ron Rash erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>„Der Friedhofswärter“ ist eine ruhige Geschichte mit altbekannten Konflikten, die vor allem durch Rashs Schreibstil überzeugt – und dadurch, wie er seine Figuren fühlen, denken und handeln lässt.
Weil Jacob sich für Naomi entscheidet, wird er von seinen Eltern enterbt und im Ort geschnitten. Als er einberufen wird, wendet er sich an seinen besten Freund Blackburn, der, gezeichnet von der Polioerkrankung, das Leben als Außenseiter kennt. Er kümmert sich um Naomi, während Jacob sich in Gedanken an sie und das ungeborene Kind klammert, um in Korea zu überleben. Doch noch bevor er nach sechs Monaten verwundet heimkehrt, erfährt er, dass der Alptraum, aus dem er zu entkommen hofft, durch einen anderen ersetzt wird.
Drei Charaktere stehen im Fokus: Jacob, der einberufen wird. Seine 17-jährige Ehefrau Naomi, die das gemeinsame Baby erwartet. Und „Der Friedhofswärter“: Blackburn Gant, Anfang 20, der wegen seines Aussehens gemieden bis gemobbt, als Totengräber aber akzeptiert wird.
Daneben spielen Daniel und Cora Hampton eine wichtige Rolle. Sie haben ihre zwei Töchter verloren und wollen nur das Beste für ihren Sohn. Das Problem: Naomi. Sie ist ungebildet und gilt als schamlos, wird sich nur des Geldes wegen an Jacob herangemacht haben. Mit allen Mitteln versuchen sie, ihr einziges Kind auf den rechten Weg zu bringen, doch Jacob hat seinen eigenen Kopf.
Das klingt nach Ärger – und den gibt es.
Wir haben die Hamptons, die bestimmte Vorstellungen vom Leben ihres Sohnes haben und ihren Einfluss zu wissen nutzen. Und die Familie Clarke, bestehend aus dem Vater, einem einfachen Farmer, dem Daniel nicht einmal zutraut, lesen zu können, und der Tochter Lila. Außerdem Naomi, die es geschafft hat, sich Jacob zu angeln. Dass es ganz anders war, wollen sie nicht sehen, lieber enterben sie ihren Sohn, der daraufhin mit seiner jungen Frau abhaut. Doch sie geben nicht auf. Sie sind angesehene Leute, die Einwohner, die sich durch Naomis Auftreten provoziert fühlen, sind dankbar für ihre Großzügigkeit und fürchten gleichzeitig die Verachtung der Hamptons. Dementsprechend genießen Daniel und Cora eine Macht, die ihnen nach Jacobs Rückkehr einige Möglichkeiten verschafft. Kommen sie doch noch an ihr Ziel?
"Es waren so viele Lügen, die sie im Kopf behalten musste, und es würden noch mehr werden. Wie eine lange Reihe von Güterwagen an einem steilen Hang: Wenn auch nur einer ins rollen geriet, konnte das eine Katastrophe verursachen."
eBook S. 88/277, 31,6 %
Der titelgebende Charakter ist für mich der spannendste: Der Totengräber Blackburn Gant, der seit fünf Jahren auf dem Friedhof von Laurel Fork lebt und arbeitet.
Ich mochte den sanften Riesen, der einiges einstecken muss, habe seine Überlegungen und Handlungen gerne verfolgt. Er stellt die Verbindung zwischen Jacob und Naomi und jemanden dar, der den Hamptons – bis dahin unbewusst – auch viel zu verdanken hat, dem Freundschaft und die Wahrheit jedoch mehr bedeuten als finanzielle oder andere Vorteile. Jedenfalls bisher. Im Verlauf wird er auf die Probe gestellt.
Ich bin froh über seine Entscheidungen, auch wenn mir manche wehtaten.
Jacob und Naomi blieben für mich immer hinter ihm, hinter diesem loyalen, so guten Menschen, obwohl es vordergründig um die beiden geht und Blackburn ein so zurückhaltender Charakter ist. Ohne Zweifel ist er die Konstante des Buches.
Es ist kein Geheimnis: Mit feinfühligen Geschichten kriegt man mich. Dies ist eine.
Ich mag, wie der Autor uns die unterschiedlichen Gedanken und Hoffnungen seiner Figuren zeigt:
Ich mag, dass Dr. Egan ins Grübeln kommt, dass es den Arzt nicht kaltlässt, was passiert sein soll.
Ich mag, wie Ron Rash Naomi darstellt, einerseits mit ihrem tatsächlich vorhandenen Traum davon, einen vermögenden Mann zu haben, andererseits ihre nicht vorgespielten Gefühle für ihn.
Ich mag, wie der Autor Jacobs Kriegserlebnisse und deren Folgen schildert.
Ich mag Blackburn, seine abwägende Art, alles, was er sagt oder verschweigt, tut und unterlässt.
Es ist nicht so, dass ich Jacobs Eltern verstehe, aber auch ihre Gefühle und Hintergründe, die Überzeugung, das Richtige zu tun, sind nachvollziehbar eingefangen.
All das so plausibel zu beschreiben und zu zeigen, das hat der Autor wirklich drauf.
Die Story, sie wird in fünf Teilen, 35 Kapiteln und einem Epilog erzählt, spielt Anfang der 1950er in Blowing Rock, North Carolina. Wir steigen im März mit einer packenden Szene ein, in der Jacob in Korea kämpft. Im Mai wird Naomi 18 und das Baby soll auf die Welt kommen.
Vieles wird angedeutet, ehe das ganze Ausmaß später ans Licht kommt. Es gibt eine Vielzahl von Einschüben, die Ereignisse aus der Vergangenheit beleuchten.
„Der Friedhofswärter“ wird ohne Ich-Erzähler wiedergegeben, wir folgen wechselnden Perspektiven. Während die Charaktere nur eine Seite kennen, wissen wir mehr. So kommt es, dass wir beispielsweise lesen, wie Jacob durch die Gedanken an Naomi und das Baby genug Kraft aufbringt, um am Leben festzuhalten. Was wir – im Gegensatz zu ihm – jedoch kommen sehen: die schreckliche Intrige, die im Hintergrund lauert. Seine Liebe verschlimmert unsere Einblicke und Erwartungen. Wir müssen ihn in die Falle laufen lassen, weil wir nicht eingreifen können. Das macht einen gewissen Reiz aus und bringt (eine ruhige) Spannung hinein, auch wenn die Geschichte teils wenig glaubhaft und letztlich vorhersehbar daherkommt. Außerdem fällt das (zu einfache?) Ende reichlich knapp aus.
"Das war vielleicht das Traurigste im Leben, dass man nicht verstehen konnte, nicht wirklich verstehen konnte, wie gut etwas war, solange man mittendrin war und es erlebte. Wie viele solcher Momente einfach vergingen und für immer verloren waren."
eBook S. 153/277, 55,1 %
„Der Friedhofswärter“ ist ruhige Geschichte mit altbekannten Konflikten. Ich mag Rashs Schreibstil und wie er seine Figuren fühlen, denken und handeln lässt. Man sollte allerdings über ein paar unglaubwürdige Szenen hinwegsehen können und weder große Plot-Twists noch ein ausführliches Ende erwarten.
Dieses Buch ist für dich, wenn du
Originaltitel: The Caretaker (2023)
Übersetzung: Sigrun Arenz
Verlag: ars vivendi
Erschienen: 02.05.2024
Seiten: 240
ISBN: 978-3-7472-0607-2
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Der Beitrag Der Friedhofswärter – Ron Rash erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>Der Beitrag Der Schatten einer offenen Tür – Sasha Filipenko erschien zuerst auf BuchBesessen.
]]>„Der Schatten einer offenen Tür“ von Sasha Filipenko ist nichts für schwache Nerven.
Ein unbequemer Roman, der das Zeug hat, einem das Herz zu brechen.
Werbung, da Rezensionsexemplar
Revierinspektor Michail Leontjewitsch kriegt unerwünschte Verstärkung aus Moskau: Alexander Koslow und Fortow, Leutnant der Justiz, reisen in die Provinzstadt Ostrog, um eine Suizidserie aufzuklären. Als die beiden Ermittler eintreffen, hat sich der vierte Teenager umgebracht, wieder ist es eines der Heimkinder. Sie hinterlassen keinen Abschiedsbrief, scheinen keine Gemeinsamkeiten zu haben. Was geht hier vor sich?
Protagonist Alexander Koslow möchte nicht nach Ostrog. Er war schon einmal hier und hat sich unbeliebt gemacht. Auch von seinem Begleiter, diesem Neuling, hält er nichts. Alles, was er will, ist seine Frau zurück. Die Richterin hat sich vor einigen Jahren von ihm getrennt, doch er glaubt noch immer an ein Happy End.
Ich hatte Schwierigkeiten, einen Draht zu Koslow zu kriegen. Allgemein empfand ich die Figuren als schwer zugänglich, denn daneben haben wir den abstoßenden Fortow, den Provinzler Michail Leontjewitsch, der nichts ernst nimmt, und Pjotr Petrowitsch Pawlow, genannt Petja oder Petak, ein ehemaliges Heimkind. Der Junge ist anders: Uneigennützig betreibt er ein kostenloses Sammeltaxi, er ist verständnisvoll, kämpft für die Natur und das, was er für richtig und wichtig hält. Er ist ein guter Mensch – und damit in dieser Geschichte der Außenseiter.
"Diese Kinder waren einmal, und jetzt sind sie nicht mehr. Aus dem Leben gefallen wie Milchzähne."
eBook, Sechzehnter Gesang, Pos. 1714/2487, 69 %
Kassimow Rinat, Oxana Zwetkowa, Olja Gagarina – und bei Eintreffen der Ermittler bringt sich ein weiteres Mädchen um. Vier Tote, ein Dorfpolizist, zwei von der Mordkommission, es könnte ein herkömmliches Buch dieses Genres sein. Ist es aber nicht.
Ich geb’s zu: Ich gehöre nicht zur Zielgruppe. Ich wollte einen banalen Kriminalroman – und ja, die Fälle werden (nebenbei) aufgeklärt, es ist jedoch keine typische Detektivgeschichte. Der Text lässt sich schwarzhumorig bzw. „realitätskritisch“ lesen. Wenn man sich eine Sekunde nimmt und zu dem belarussischen Schriftsteller Sasha Filipenko recherchiert, überrascht das nicht. Mein Fehler. Deshalb: Wer auf der Suche nach einem leichten Krimi ist, wird vermutlich wenig Freude mit dem Buch haben, ebenso diejenigen, die auf etwas Schöngefärbtes und einen glücklichen Ausgang hoffen. Alle anderen dürfen gerne zugreifen, aber Achtung: Es könnten Fragen offen bleiben, denn in vieles muss man mehr hineinlesen, als auf den Seiten steht (die siamesischen Zwillinge etc.). Und: Es ist ein düsteres und hartes Buch.
Werfen wir einen Blick auf das Umfeld, in dem „Der Schatten einer offenen Tür“ spielt: Ostrog ist eine ehemalige Gefängnisstadt, selbst der verehrte Bürgermeister Arkadi Baumann saß sieben Jahre ein. Wir haben eine Menge Ex-Gefängnisangestellte, der 40-jährige Michail war Aufseher. Die Kinder sind ungewollt, unverstanden, ungehört. Es ist eine beklemmende Stimmung, es herrscht eine allumfassende Hoffnungslosigkeit. Die Menschen sind einiges gewohnt – ich nicht. Bei den Foltermethoden wollte ich aussteigen. Aber es ist nicht nur das. Das Buch wirft Fragen auf – und zwar solche, deren Antworten man nicht hören will.
Alles, was wir tun, hat Folgen. Und hier geht es um die Auswirkungen guter, eigentlich richtiger (einmaliger) Entscheidungen, die in diesem Umfeld zu verhängnisvollen werden.
Die Figuren haben mich nicht beeindruckt, aber mit Petja habe ich gefühlt. Was kann man werden an einem Ort wie diesem? Wenn alle um einen herum anders sind – ist man dann falsch? Das ehemalige Heimkind wird zum Einzelprotestler, gibt nicht auf, obwohl er der Außenseiter ist und von allen Seiten angegriffen wird. Wie kann er sich einfügen in diese Welt, in die er nicht passt? In der für diejenigen, die für die Wahrheit und Anstand eintreten, kein Platz ist? In der die, die für das Gute kämpfen, nichts zu suchen haben?
"Leuten wie dir müsste mal einer von klein auf erklären, wie beschissen die Welt ist! Nichts zu machen! Sieh dich um - was willst du hier verändern? (...) Nicht diese Typen bräuchten Erziehung, sondern du!"
eBook, Erster Gesang, Pos. 83/2487, 3 %
Ach, Petja.
Letztlich muss sich Koslow entscheiden, was er, der nie kriegt, was er haben möchte, will: Die Wahrheit oder einen Schuldigen?
Und wir müssen uns fragen: Wie nah an der Realität ist diese bittere Geschichte?
Es gibt einen Prolog, die Kapitel „Erster Gesang“ bis „Vierundzwanzigster Gesang“ mit zwei Zwischenspielen, einen Epilog und eine Besonderheit: Eine Fragenliste für den Unterricht. Mit einem Postskriptum schließt „Der Schatten einer offenen Tür“ nach 272 Seiten ab.
Wenn einem dieses Buch nicht das Herz bricht, dann weiß ich auch nicht.
Dieses Buch ist für dich, wenn du klarkommst mit:
Übersetzung: Ruth Altenhofer
Verlag: Diogenes
Erschienen: 25.09.2024
Seiten: 272
ISBN: 978-3-257-61524-1
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Mehr aus dem Diogenes Verlag
Der Beitrag Der Schatten einer offenen Tür – Sasha Filipenko erschien zuerst auf BuchBesessen.
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