„Antoinette“ ist ein ruhiges, eher sachlich geschriebenes Buch, das mich berührt, gefesselt und mit seinen echt wirkenden, unverstellten Eindrücken gekriegt hat.
Werbung, da Rezensionsexemplar
Inhalt
Ein Mann ist mit seiner Frau an einem Budapester Thermalbad verabredet. Sie kommt nicht. Er betritt das Bad – und taucht ein in seine Vergangenheit.
Antoinette ist überall – nur nicht da
Der Ich-Erzähler des Buches, ein 42-jähriger Niederländer, wartet auf seine Frau Antoinette. Als die Geschichte beginnt, hat er schon zwei Stunden ohne uns ausgeharrt – und ohne sie.
Antoinette ist nicht da – und doch überall: Er trägt einen Zettel mit ihrer Nummer mit sich herum, den sie ihm vor Jahren gegeben hat; er hat ein Hemd an, das ein Geschenk von ihr war; er sieht sie an jeder Stelle, ja, sogar am und im Bad. Trotzdem fehlt sie. Wo ist sie? Wieso taucht sie nicht auf?
Die Frage nach dem Warum, das Fehlen, das Wegbleiben, all das zieht sich durch das Buch, denn es geht auch um:
Ungewollte Kinderlosigkeit
Der Protagonist vermisst seine Frau, erwartet sie. Doch da ist noch mehr: Die Zeit wechselt, wir lesen über die Ereignisse in der Vergangenheit, erfahren, dass die beiden Schwierigkeiten hatten – zunächst damit, ein Kind zu kriegen, dann in der Beziehung.
"Jeder Mensch muss früher oder später in seinem Leben Verluste verkraften, das wusste ich. Aber ich wusste nicht, dass man auch etwas verlieren konnte, was man noch nicht besaß."
eBook, Kap. 8, Pos. 620/1504
„Antoinette“ ist nicht bloß eine Geschichte. Das Buch erzählt den unfreiwilligen Alltag viel zu vieler Menschen. Was passiert, wenn ein gemeinsamer Traum zerplatzt? Wenn eine an der Hoffnung festhalten will – und der andere es nicht kann? Wenn die Behandlungen fehlschlagen und man dem Thema doch nicht aus dem Weg gehen kann, weil es überall Kinder gibt, weil Freunde und Familie Nachwuchs kriegen, weil man sich Fragen stellen lassen muss, ob man will oder nicht? Wie kann man das verkraften? Zusammen? Alleine?
Sehnsucht
Dies ist keine rührselige Geschichte, absolut nicht. Aber sie berührte mich dennoch. Und zwar wegen der Gedanken und Gefühle, die die Hauptfigur zum Ausdruck bringt.
Vor dem Thermalbad sieht er ein Mädchen und einen Jungen – und das, was ihm da in den Kopf kommt, das kriegte mich.
Wir haben hier keine rasante und spannende Unterhaltung, es ist kein Buch, bei dem mir eine markante Besonderheit in Erinnerung bleiben wird. Es ist die Einfachheit, die überzeugt. Die Geschichte ist ruhig und seltsam fesselnd. Sie ist traurig und melancholisch. Die Worte wurden sorgfältig gewählt, die Charaktere sowie deren Beobachtungen, Überlegungen und Handlungen erscheinen realistisch. Der Text erzeugt Bilder und Gefühle. Es ist alles eine Mischung aus intim und distanziert – genau wie das Setting: Ein Thermalbad, in dem er auf fremde Menschen trifft, die halb nackt, aber schweigend und eher abweisend nach Entspannung suchen.
Plotmäßig darf man nichts Großes erwarten. Darum geht es nicht. Es geht um Wunschdenken, Tagträume, das sich-Sehnen, um die sicher verwahrten „Es war einmal …“-s und die unzähligen „Was wäre, wenn …?“-s. Sie sorgen dafür, dass das Buch so stark ist, wie es ist.
Aufbau/Schreibstil
Die Geschichte spielt sich an einem einzigen Tag ab – und in den Erinnerungen an die Vergangenheit. Wir folgen dem Ich-Erzähler, der namenlos bleibt, was passend ist, weil er nie im Mittelpunkt stand. Er hat ihr, der titelgebenden Antoinette, diesen Platz gerne überlassen.
Das Buch hat lediglich 148 Seiten und ist in 18 Kapitel aufgeteilt.
Der Autor schreibt sehr nüchtern. Manchmal stört mich das, hier nicht. Ich mochte den präzisen Bericht des Protagonisten, habe seine Gedankengänge gerne verfolgt, ihm die Sehnsucht abgenommen, seinen Verlust und die Machtlosigkeit gespürt. Wie sich sein Ziel verschob … Ich war nie in seiner Situation, aber ich weiß genau, wovon er da spricht.
Es ist eine realistische Geschichte und ich hatte die ganze Zeit den Eindruck, dass da so viel Ehrlichkeit in den Zeilen liegt, dass ich nicht anders konnte, als sie zu mögen.
Fazit
Ich glaube nicht, dass „Antoinette“ die breite Masse verzaubern wird. Es ist ein ruhiges, eher sachlich geschriebenes Buch. Aber ich fand es fesselnd – und ich mag sehr, wie der Autor die Gedanken seiner Hauptfigur darstellt. Ein melancholischer, völlig ungekünstelter Text. Ich möchte mehr von Robbert Welagen lesen.
Antoinette – Robbert Welagen
Originaltitel: Antoinette (2019)
Übersetzung: Rolf Erdorf
Verlag: Oktaven, Verlag Freies Geistesleben
Erscheinungstag: 11.10.2023
Seiten: 148
ISBN 978-3-7725-3047-0
Antoinette erscheint am 11.10.2023 – zumindest als Buch.
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2 Antworten
Schön, dass dich das Buch begeistern konnte. Bücher, die an nur einem Tag oder wenigen Tagen spielen, finde ich sehr spannend und das Nüchterne mag ich ab und an auch sehr. Das Thema ist allerdings nicht meins, von daher wird es nicht auf meine Leseliste wandern. Aber die ist ja eh schon prall gefüllt. ;-)
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag.
Liebe Grüße
Marie
Das kenne ich gut. Ich kann/mag auch nicht über alles lesen, zumindest nicht zu jedem Zeitpunkt. Aber ja, ich glaube, an Büchern auf unserer Leseliste mangelt es uns so schnell nicht. :D
Liebe Grüße