Calls letztes Abenteuer:
„Abschied von Laredo“ kommt nicht an „Weg in die Wildnis“ heran, ist aber ein lesenswerter Roman und ein gelungener Abschluss der Reihe.
Inhalt
Mit einem deutschen Gewehr trifft er aus 500 m Entfernung zielsicher: Über den 19-jährigen Zugräuber Joey Garza mit den eiskalten Augen wird viel geredet. Als Woodrow Call beauftragt wird, den Mexikaner zu jagen, nimmt er die Gerüchte nicht allzu ernst. Kann er, inzwischen ein alter Mann, den hochgefährlichen Killer stoppen – zunächst nur mit dem Buchhalter Ned Brookshire aus Brooklyn, der weder reiten noch schießen kann, an seiner Seite?
Fortsetzung von „Weg in die Wildnis“
Im Original sind vier Teile erschienen:
- Lonesome Dove (1985)
- Streets of Laredo (1993)
- Dead Man's Walk (1995)
- Comanche Moon (1997)
Davon liegen zwei deutsche Übersetzungen vor:
- Weg in die Wildnis
- Abschied von Laredo
In der Reihenfolge lesen
Ich würde vor diesem Teil versuchen, an „Weg in die Wildnis“ heranzukommen. Warum?
Erstens ist „Weg in die Wildnis“ eines der unterhaltsamsten Bücher überhaupt, zweitens schockt der Einstieg in diese Fortsetzung mehr, wenn man die Charaktere im ersten Band kennengelernt hat. Denn nicht alle, die ich erwartet habe, sind dabei. Ganz im Gegenteil.
Eine schwierige Ausgangslage
Es ist ein ungleiches Duell:
Woodrow Call ist der wohl erfahrenste Menschenjäger im Westen – und in die Jahre gekommen. Er will, dass Pea Eye, auf den er sich drei Jahrzehnte lang verlassen konnte, mitkommt, doch der ist inzwischen Farmer und nicht gewillt, sich von seiner Ehefrau und den fünf Kindern zu trennen.
Ned Brookshire, Buchhalter, hat den Auftrag, Call zu begleiten. Er ist nicht für Gegenden dieser Art gemacht, aber derart ergeben, dass er – wie immer – keine Wahl hat. Das Wort von Colonel Terry, dem Präsidenten der Eisenbahngesellschaft, zählt.
Letztlich heuert Call in Laredo den Hilfssheriff Ted Plunkert an, der sich geehrt fühlt und – ohne eine Sekunde zu überlegen – seine 16-jährige Ehefrau Doobie (in anderen Umständen) zurücklässt – eine Entscheidung, die er schnell bereut.
Wir haben: Einen (zu?) alten Mann, einen, der weder reiten noch schießen kann, und einen, der nach Hause will – gegen einen kaltblütigen Killer von 19 Jahren, der mit einem Gewehr mit Zielfernrohr schon viel zu viele Menschen getötet hat. Ein hoffnungsloses Unterfangen?
Zum Mitfiebern
Es gibt genügend Gründe, um mitzufiebern. Ich war immer wieder versucht, ans Ende zu blättern und zu schauen, wer überlebt, denn wie sich herausstellt, ist Joey Garza nicht der einzige Killer, der eine Gefahr darstellt. Und bei Larry McMurtry, das weiß ich nach „Weg in die Wildnis“, kann man nicht sicher sein, was geschieht. Alles ist möglich, jede Figur schwebt zu jeder Zeit in Lebensgefahr. Der Autor geht auch mit den Besten gnadenlos um und schreckt nicht davor zurück, potenzielle Publikumslieblinge auszuschalten. Bei mir hat das das Mitfiebern noch verstärkt und den Eindruck erweckt, dass ich die Charaktere ernst nehmen kann – sie sind wie „echte Menschen“, sie sind jederzeit vom Tod bedroht, so heldenhaft sie auch sein mögen. Niemand ist unsterblich.
Authentisch
Die Stimmung ist größtenteils gedrückt. Klar, es ist ein gefährliches Abenteuer, ich erwarte keine ausgelassenen Feten. Dass es aber anders, dass es trotz Leid und vieler Tote lockerer geht, das habe ich im Vorgänger erlebt. Da hatte ich auch das Gefühl, mehr kleine Siege zu sehen, die ich mit den Beteiligten feiern konnte. Hier gibt es wenig Erfolgserlebnisse bzw. eher kurz andauernde Einzelglanzleistungen, etwa in der Form, dass Menschen wie Brookshire, der Buchhalter, über sich hinauswachsen.
Insgesamt ist alles ein Suchen, Dahinschleppen und Abwarten. Im Fokus stehen die Kälte und das Dranbleiben. Die eigentlichen Kämpfe kommen unerwartet und fallen kurz aus. Nichts läuft nach Plan, gar nichts. Das Überleben scheint als Ziel oft schon ausreichend. Es ist eine niederdrückende und grausame Geschichte, eine brutale. Und es ist eine, die sich nicht selten auf der Gefühlsebene abspielt, kleine Lichtblicke zeigt, sich mit den Themen Liebe und Barmherzigkeit befasst – und (trotzdem) wehtut. Es ist eine ungeschönte Geschichte, eine unfaire, eine, die vielleicht sogar das Leben hätte schreiben können.
Unerschrockene Frauen
Das gab es auch schon im Vorgänger: Schlimmes Verhalten gegenüber Frauen. Das überrascht nicht weiter, die Story spielt sich Ende des 19. Jahrhunderts und in wilden Gegenden ab. Aber:
Larry McMurtry setzt dem Ganzen wieder einige starke Frauen entgegen, die sich entschlossen dem widersetzen, das da als normal gilt. Ich mochte die Szenen sehr.
Da ich bis hierher versucht habe, nicht zu spoilern, werde ich keine Namen nennen und nicht näher darauf eingehen. Das dürft ihr selbst entdecken.
Aufbau/Stil
Larry McMurtry ist ein toller Geschichtenerzähler, dem es gelingt, ein Buch dieser Länge ohne Langeweile zu Ende zu bringen. Ich wollte zu jeder Zeit weiterlesen und wissen, wie er dieses letzte Abenteuer ausgehen lässt. Allerdings bin ich in „Abschied von Laredo“ über einige Wortwiederholungen gestolpert, die man sicher hätte umgehen können. Im Übrigen wirkt der Text insgesamt recht repetitiv. Ich weiß nicht, ob es sich im Original anders liest, möglich ist es. In dem Vorgänger ist mir in dieser Hinsicht nichts aufgefallen, deshalb überraschte es mich.
Manche Verhaltensweisen (z. B. gegenüber Frauen) sind schwer mitanzuschauen, andere gar unvorstellbar grausam, gerade gegenüber Kindern. Hier also eine Warnung.
Einige Personen, etwa der Bandit John Wesley Hardin oder der selbsternannte Richter Roy Bean, lebten tatsächlich, was ich interessant finde.
„Abschied von Laredo“ wird in drei Teilen (+ Epilog) und auf 695 Seiten erzählt.
Fazit
An „Weg in die Wildnis“ kommt „Abschied von Laredo“ nicht heran, aber das habe ich auch nicht erwartet.
Es ist wieder ein lesenswerter Roman, der keine Sekunde langweilt, allerdings doch sehr deprimierend ist.
Mir haben einige Figuren aus Band 1 gefehlt, aber auch dieses Buch kann ich empfehlen – Larry McMurtry weiß, wie man eine lange Geschichte so erzählt, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt lang anfühlt, im Gegenteil: Am Ende ist sie viel zu kurz.
Ich werde mehr von ihm lesen.
Abschied von Laredo – Larry McMurtry
Originaltitel: Streets of Laredo (1993)
Übersetzung: Fred Schmitz
Verlag: Ullstein
Erschienen: 1996
Seiten: 695
ISBN: 3-550-06775-5
Das Buch wird auf Deutsch nicht mehr gedruckt. Ich würde bei booklooker & Co. auf die Suche gehen.
Wer auf Englisch lesen kann und möchte, hat mehr Glück:
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Teil 1 ♡