Schachnovelle – Stefan Zweig

Schachnovelle - Stefan Zweig

In Zweigs „Schachnovelle“ treffen mit dem ungebildeten Weltmeister Czentovic und dem von der Isolationshaft gezeichneten Dr. B. zwei ungleiche Spieler aufeinander.

4/5

Inhalt

Auf einem Passagierdampfer von New York nach Buenos Aires trifft der Ich-Erzähler auf Mirko Czentovic, den amtierenden Weltschachmeister. Der Versuch, ihn mit einer Schachpartie gegen den Mitreisenden McConnor auf sich aufmerksam zu machen und so mit dem verschlossenen und ungebildeten Czentovic in Kontakt zu kommen, scheitert. Doch McConnor, an Erfolg gewöhnt, gibt nicht auf – und bringt Czentovic dazu, sich auf eine bezahlte Partie einzulassen. So kommt es, dass am nächsten Tag eine Gruppe gegen den Weltmeister antritt – und verliert. Der vermögende McConnor fordert eine Revanche – und die Amateure kriegen ungeahnte Hilfe, die sich sogar die Aufmerksamkeit Czentovics verdient.

Die Figuren

Zunächst wirkt die Geschichte harmlos:

Mit zwölf wurde Mirko Czentovic nach dem Tod seines Vaters, einem armen Schiffer, vom Pfarrer des Dorfes aufgenommen. Alle Versuche, dem Jungen die Dinge, die er in der Schule nicht verstand, zu Hause beizubringen, scheiterten. Czentovic blieb ungebildet, langsam und teilnahmslos. Durch Zufall entdeckte er ein Schachbrett – und wurde mit 18 ungarischer Meister, mit 20 Weltmeister. Nachdem er in Amerika genug gewonnen hat, ist er nun auf dem Weg nach Argentinien.

Der Ich-Erzähler, ein Wiener, will den inzwischen 21-jährigen Weltmeister kennen lernen und spielt gegen McConnor. Als der erfährt, dass Czentovic an Bord ist, macht er eine Partie aus, die er sich 250 Dollar kosten lässt – für den vermögenden Tiefbauingenieur kein Problem. Dass er verliert, ist wenig überraschend, stört ihn aber doch.

Bei der Revanche kommt ein Fremder hinzu, der die Gruppe durch seine Berechnung der Züge vor einer weiteren Niederlage bewahrt. Selbst spielen will er nicht. Der Erzähler versucht herauszufinden, warum, und so öffnet sich der Österreicher Dr. B., der seit über 20 Jahren nicht vor einem Schachbrett saß – und doch so viele Partien durchgespielt hat:

Wir erfahren, dass der Name seiner Familie kein unbekannter ist. Dr. B. war als Rechtsanwalt für die Vermögensverwaltungen von großen Klöstern zuständig, ehe er – und ab hier ist die Geschichte nicht mehr harmlos – überwacht und letztlich von der Gestapo monatelang in ein Hotelzimmer eingesperrt und mürbe gemacht wurde. Als es ihm gelang, ein Buch aus einer Manteltasche mitgehen zu lassen, eröffneten sich ihm neue Möglichkeiten: Um in der Isolationshaft nicht den Verstand zu verlieren, spielte er die Partien des dünnen Bandes im Kopf durch, unzählige Male. Danach kämpfte er gegen sich selbst – und drohte durchzudrehen. Dass er nun erneut in Kontakt mit seiner Sucht kommt, macht das Ganze umso dramatischer.

Schach als Symbol

Schach ist ein Strategiespiel, in dem es um Macht geht. Es kann ein Symbol für verschiedene Auseinandersetzungen sein, etwa persönliche, politische und militärische. In „Schachnovelle“ haben wir ganz unterschiedliche Anhaltspunkte:

Der Weltmeister, kühl und roboterhaft, spielt, weil er nur in diesem Bereich mithalten kann bzw. sogar heraussticht. Beim Schach ist er jemand, wird be- und geachtet, verdient mehr als die anderen. Obwohl alle intelligenter sind, kommen sie nicht gegen ihn an.

Der Ich-Erzähle spielt zur Entspannung („Ich ’spiele‘ Schach im wahrsten Sinne des Wortes, während die anderen, die wirklichen Schachspieler, Schach ‚ernsten‘ […], eBook S. 17/84, 19,8 %).

McConnor spielt, um sich zu beweisen. Er kann nicht aufhören, da er schlecht verlieren kann.

Den größten Raum nimmt das Schicksal Dr. B.s ein, der in der Gefangenheit gedanklich Schach spielte, um bei Verstand zu bleiben – und letztlich eine „Schachvergiftung“ (eBook S. 65/84, 76,8 %) erlitt. Als er nun erneut in Kontakt mit dem Thema kommt, droht er einen Rückfall zu erleiden. Er gibt auf.
Insofern geht es für mich in Zweigs „Schachnovelle“ darum, die Folgen des Nationalsozialismus für die Opfer darzustellen, die, selbst wenn sie Methoden fanden, um zu überleben, letztlich doch für immer „vergiftet“ wurden.
Wenn man bedenkt, dass Stefan Zweig die Novelle 1941 im Exil schrieb und im Februar 1942 Suizid beging, macht das den Inhalt noch schockierender.

Aufbau

Das Buch enthält 112 Seiten, es gibt keine Einteilung in Kapitel. Die Novelle lässt sich leicht lesen, obwohl die Sprache als eher gehoben bezeichnet werden kann.

Interessant ist, dass der namenlose Ich-Erzähler nicht der Protagonist der Geschichte ist, auch wenn er dafür sorgt, dass Czentovic zum Thema wird, wodurch es letztlich zu den Partien und zur Einmischung von Dr. B. kommt. Er ist ein Beobachter, der uns in die Geschehnisse hineinzieht, und der Retter, der Dr. B. davor bewahrt, erneut abzurutschen.

Wenn Dr. B. sich an seine Vergangenheit erinnert, tut er dies aus der Ich-Perspektive, was uns einen guten Zugang zu seinen Gedanken und Gefühlen verschafft. Seine Geschichte ist es, die die Novelle derart dramatisch macht.

Fazit

Mich hat Zweigs „Schachnovelle“ überzeugt. Sprachlich und inhaltlich. Ein lesenswerter Klassiker.

Schachnovelle - Stefan Zweig

Schachnovelle – Stefan Zweig

Verlag: Fischer

Erschienen: 01.09.1987 (1942)

Seiten: 112

ISBN: 978-3-596-21522-5

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