Seitenwechsel – Nella Larsen

Seitenwechsel - Nella Larsen

Um das Thema Passing geht es in „Seitenwechsel“ von Nella Larsen, einem fesselnden Klassiker und kraftvollen psychologischen Roman, der sich in wenigen Stunden auslesen lässt – und im Gedächtnis bleibt.

5/5

Inhalt

Als Irene Redfield einen Brief ihrer Kindheitsfreundin Clare Kendry (Bellew) erhält, ruft dieser unerfreuliche Erinnerungen an ihr zufälliges Wiedersehen vor zwei Jahren in Chicago wach. Clare, die wie Irene eine hellhäutige Schwarze ist, wechselte nach dem Tod ihres Vaters in die Welt der Weißen, ist heute mit einem Rassisten zusammen, der nichts von ihren Wurzeln ahnt. Irene ist in Harlem zu Hause. Was will Clare, die immer eine Portion Leichtsinn und Egoismus im Gepäck hat?

Ein Brief, der ein Unheil ankündigt

Von vornherein ist klar, dass Irene sich nicht freut, von Clare zu lesen.

Mit violetter Tinte hat ihre Kindheitsfreundin die Zeilen verfasst, die Irene lieber nicht erhalten hätte. Und sie, die Mischfarbe auf dem Papier, kündigt es an: das nahende Unglück, das sich erneut in ihr Leben schleicht.

Passing

Das Original von „Seitenwechsel“ erschien 1929 unter dem Namen „Passing“ – und das ist ein großes Thema des Buches.

Passing bedeutet hier, „als Weiße durchgehen“ oder „sich als Weiße ausgeben“. Irene setzt das ausnahmsweise ein, als sie bei ihrem ersten Zusammentreffen vor der Hitze ins Drayton Hotel flüchtet. Dort ist sie Blicken ausgesetzt, die sie verunsichern, sie erröten und wegschauen lassen. Sie ist besorgt, dass auffliegt, dass sie eine Schwarze ist, aufgrund der Rassentrennung gar nicht hier sein dürfte. Sie ist es nicht gewohnt, sich als Weiße auszugeben, lebt mit einem Schwarzen Arzt und ihren zwei Söhnen zusammen, von denen einer ebenfalls Schwarz ist.

Und Clare? Die hat sogar den Schneid, ihrem Ehemann ihre Herkunft zu verheimlichen.

Clare kriegt, was sie will

"Ja, um die Dinge zu bekommen, die ich unbedingt haben will, würde ich alles tun, Menschen verletzen und was auch immer über Bord werfen. Wirklich, 'Rene, ich bin nicht ungefährlich."

Clare wird als egoistisch und spöttisch beschrieben, gleichzeitig als sehr schön und einnehmend. Auch Irene verliert immer wieder ihre Vorsätze aus den Augen, wird bei ihrem verführerischen Lächeln schwach.

"In diesen Augen erschien ein Lächeln, und Irene hatte das Gefühl, gestreichelt und liebkost zu werden. Sie lächelte zurück."

Es ist eine Menge los, wenn Clare in der Nähe ist, alle scheinen ihrem Charme zu erliegen, einschließlich Irene, die sie aber eher als Gefahr im Hinblick auf ihren Ehemann Brian ansieht. Es liest sich wie eine Art Hassliebe. Was wirklich darunterliegt, gesteht sie sich nicht ein – und so sehen wir auf dem Papier kein klares Wort in diese Richtung. Es sind ihre Reaktionen, die uns eine Idee davon vermitteln.

Ebenso wird nur an wenigen Stellen deutlich, dass Clare einsam ist. Ihr fehlt ein Gefühl der Zugehörigkeit. Wir lesen das aus ihren Briefen, Irene befasst sich damit nicht.

Eine unzuverlässige Erzählerin

Wir folgen Irenes Gedanken, die häufig wiederkehrende sind. Manche könnten sich daran stören, ich empfand das als nötig. Es ist ein glaubhaftes Grübeln.

Da wir die Geschehnisse aus ihrer Perspektive verfolgen, kennen wir ausschließlich ihre Sicht der Dinge. Es sind gefilterte Beschreibungen, von ihren Ansichten und Gefühlen gefärbte. Inwiefern Clare tatsächlich eine Bedrohung für ihr Familienleben darstellt oder was am Ende wirklich passiert, bleibt unklar. So ist der Verlauf offen für eigene Auslegungen, ebenso der Ausgang. Während des Lesens spielte das bei mir keine Rolle – ich war in Irenes Gedankenwelt, es machte absolut Sinn, was sie dachte und fühlte.

Fühlbar

„Seitenwechsel“ hat mich gekriegt. Ich war mittendrin, es fühlte sich echt an. Die Szene mit der Hitze, dem Schwindel – ich konnte das spüren. Das war für mich das Besondere. Ab da war es keine Option mehr, das Buch wegzulegen, ich musste es am Stück lesen.

Trotz – oder gerade wegen – der Verhaltensweisen, nämlich der Tatsache, dass die Charaktere nach außen hin anders agieren, als sie sich innerlich fühlen, wirken sie authentisch. Gefühle werden genannt, gezeigt, fühlbar gemacht. Ich konnte nachvollziehen, wie sich Irene fühlt, verunsichert, gedemütigt, wütend, ich konnte es sehen, auch wenn sie es nicht zum Ausdruck bringt, konnte ihre Empörung empfinden. Großes Kino. (Apropos: Es gibt eine Netflix-Verfilmung.)

Ein kleiner Roman mit immenser Wirkung

Das Buch besteht aus drei Teilen: „Die Begegnung“, „Erneute Begegnung“ und „Finale“. Jeder Teil umfasst vier Kapitel. Nach nur 224 Seiten in der gebundenen Ausgabe ist man am Ende angelangt. Ich habe die Geschichte an einem Nachmittag ausgelesen, doch damit war es nicht getan. Es gibt viel zum Nachdenken und Weiterspinnen. Es ist keine Lektüre, mit der man nach Beenden fertig ist. Ich werde sie so schnell nicht vergessen.

Fazit

Ich habe das nicht kommen sehen, aber „Seitenwechsel“ hat mich komplett abgeholt. Für mich war es eine kraftvolle, dramatische und fesselnde Story, die ich fühlen und nicht weglegen konnte. Sie wird mir in Erinnerung bleiben – und ich möchte sie noch einmal lesen.

Zusammenfassung Seitenwechsel – Nella Larsen

Dieses Buch ist für dich, wenn du

Seitenwechsel - Nella Larsen

Seitenwechsel – Nella Larsen

Originaltitel: Passing (1929)

Übersetzung: Adelheid Dormagen

Verlag: Dörlemann

Erschienen: 2011

Seiten: 224

ISBN: 978 3 03820 093 2

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