Das Geheimnis der Eulerschen Formel – Yoko Ogawa

Das Geheimnis der Eulerschen Formel - Yoko Ogawa

In „Das Geheimnis der Eulerschen Formel“ von Yoko Ogawa geht es um die Schönheit zwischenmenschlicher Beziehungen. Ein ruhiger Roman, bei dem man das Entscheidende selbst herausfinden darf.

3.5/5

Inhalt

Im März 1992 wird die Ich-Erzählerin Haushälterin des Professors. Neun blaue Stempel zieren die Rückseite seiner Karteikarte in der Agentur, sie ist darauf eingestellt, dass er ein anstrengender Zeitgenosse ist. Doch es kommt anders, denn trotz der Tatsache, dass sein Kurzzeitgedächtnis nach einem Unfall vor mehr als 15 Jahren nur 80 Minuten währt und er keinerlei Störung duldet, wenn er über einer Formel brütet, finden sie jeden Tag erneut zusammen. Insbesondere Root, den Sohn der Haushaltshilfe, schließt der Professor ins Herz. Die drei werden durch die vom Professor so geliebte Mathematik und Baseball Freunde. Doch seine Schwägerin missbilligt das – und so folgt ein weiterer Stempel.

Die Liebe zur Mathematik…

Zunächst folgende Information, um meine Worte einordnen zu können: Mathe war immer mein Hassfach. Man kann dieses Buch dennoch lesen und mögen. Ja, es geht um einen Mathematikprofessor, den nicht einmal ein Autounfall mit daraus resultierendem Gedächtnisverlust davon abhalten kann, die schwierigsten Rätsel zu lösen und Preise einzuheimsen. Aber es geht auch um die Haushälterin, die keine große Schulbildung erhalten hat, und deren Sohn, der mit zehn gerade erst beginnt, sich näher mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und so gibt es zwar komplizierte Formeln, doch auch einfache Erklärungen, die die Leserschaft insgesamt abholen.

Es faszinierte mich, zu sehen, wie sehr der ehemalige Hochschulprofessor für Zahlentheorie aufgeht in seiner Welt. Mit Mitte 60 und einem nur mehr 80 Minuten währenden Kurzzeitgedächtnis gibt ihm die Mathematik Halt. Sie ist beständig, sie verändert sich nicht, er kann immer wieder auf sie zurückkommen.

… und zu Kindern

Die Haushälterin bringt eine Unvoreingenommenheit und Wärme mit, die der Professor nicht mehr kannte. Sie ermöglicht ihm das Leben, das zu ihm passt, lässt ihm seine Bücher, versucht nicht, eine neue Ordnung zu erschaffen. Das Einzige, das sie sich herausnimmt, ist, ihm Möhren ins Essen zu schmuggeln – und dass sie das in der besten Absicht tut, ist uns allen klar. Außerdem bringt sie einen weiteren Pluspunkt mit: ihren Sohn.

Kinder sind dem Professor wichtig. Dass er den Jungen Root nennt, beweist, wie sehr er ihn mag, denn der Hintergrund kommt aus der Welt, die er liebt:

"Und er taufte meinen Sohn "Root", weil ihn sein flacher Schädel an das Dach eines mathematischen Wurzelzeichens erinnerte."

Mich berührte, wie er versucht, den Jungen zu ermutigen, ihm zu zeigen, dass er tolle Ideen hat. Es bedeutet ihm viel, dass sich Menschen wertgeschätzt fühlen. Und wenn ich tiefer darüber nachdenke, dann glaube ich, dass er Kinder deshalb so mag, weil eine Parallele zu seinem gegenwärtigen Zustand besteht: Die Jüngsten leben im Hier und Jetzt, sie denken nicht ständig an die Vergangenheit oder Zukunft. Auch der Professor lebt – gezwungenermaßen – seit dem Unfall im Augenblick, denn nach 80 Minuten wird er vergessen. Die Neugier von Kindern ist ein weiterer Punkt. Dank dieser kann er Root immer wieder ein Stück in seine Welt einbinden – und über die Mathematik drückt er seine Zuneigung aus.

Baseball

Die Matches und Statistiken nehmen eine große Rolle ein. Es ist ein Sport, der alle drei Generationen verbindet – und Enatsu ist die Brücke. Sein Spiel begeistert den Professor. Auch wenn der Lieblingsspieler nicht spielt, sind die Regeln und Abläufe gleich. Es gibt Wiederholungen – wie mit dem Professor jeden Tag etliche Male. Oft lesen wir von verlorenen Spielen. Ich denke, es geht darum, zu zeigen, dass Verluste zum Leben gehören. Man verliert ständig und überall, aber das heißt nicht, dass man nichts erreicht. Der Professor kann trotz seiner Einschränkung Beziehungen pflegen und Preise gewinnen. Enatsu kann verlieren und dabei wunderschön spielen. Der Verlauf untermauert, dass Siege nicht alles sind. Der Professor feiert jeden Schritt, der zur Lösung führt. Für ihn ist der Weg wichtig, nicht das Ergebnis.

Die Schwägerin oder: Warum heißt das Buch „Das Geheimnis der Eulerschen Formel“?

Der Professor lebt zurückgezogen in einem Pavillon auf dem Anwesen seiner verwitweten Schwägerin. Diese trifft gegen Ende zwei Entscheidungen, die ein wenig Schwung hineinbringen in diese ruhige Geschichte. Sie ist eine rätselhafte Person, distanziert, überwachend. Sie hätte schon deshalb nicht fehlen dürfen, weil die Szene um die titelgebende Eulersche Formel ohne sie so nicht eingetreten wäre. Sie fragt:

"Was kann ein zehnjähriges Kind mit einem alten Mann gemein haben?"

Sie verwundert das. Uns nicht.
Die Angestellte reagiert, wie es zu ihr passt: Sie spricht von Freundschaft. Der Professor nutzt eine Formel, um zu sagen, was er nicht in Worte fassen kann. Die Eulersche Formel verbindet unterschiedliche Welten der Mathematik. Und in der Geschichte verbinden sich ebenfalls drei Welten: die des Professors, der die Mathematik liebt, die der Haushälterin, die praktisch veranlagt ist, gleichzeitig Wärme und Akzeptanz mitbringt, und die von Root, der mit seiner kindlichen Neugier etwas im Professor anspricht. Warum funktioniert es zwischen ihnen? Weil es so ist. Weil diese Welten zusammengehen, wenn man nur will. Das bedarf keiner weiteren Erklärung. Und deshalb heißt das Buch, wie es heißt. Genau darum geht es. Im Übrigen verrät diese Geschichte ja sowieso nie alles, insofern ist „das Geheimnis“ sehr treffend.

Was unausgesprochen bleibt

Die Autorin setzt darauf, dass wir die Lücken füllen, die sie lässt. Ich mag das meistens, weil man sich eigene Gedanken machen kann. Und so finden wir Antworten auf Fragen wie die nach den Beweggründen der Schwägerin oder dem Grund für den Autounfall im Jahre 1975.

Yoko Ogawa schreibt in kurzen Sätzen, einfach und einfühlsam. Es ist ein emotional tiefer Roman über Verbindungen und Vergessen – und vor allem über das, was bleibt.

Fazit

„Das Geheimnis der Eulerschen Formel“ ist ein ruhiges Buch, das sich auf das Wesentliche konzentriert. So wie sich der Professor für die Schönheit von Formeln begeistert, die universelle mathematische Verbindungen zeigen, so genießt man hier die feine Darstellung von zwischenmenschlichen Beziehungen und Werten. Durch die bewussten Lücken ist das Buch wie eine Formel, die sich erst bei genauer Auseinandersetzung erschließt. Dieser Roman ist für alle, die nichts vorgekaut haben möchten, sondern Spaß daran haben, das Entscheidende selbst herauszufinden.

Zusammenfassung Das Geheimnis der Eulerschen Formel von Yoko Ogawa

Dieses Buch ist für dich, wenn du

Das Geheimnis der Eulerschen Formel - Yoko Ogawa

Das Geheimnis der Eulerschen Formel – Yoko Ogawa

Originaltitel: Hakase no Aishita Sûshiki (2003)

Übersetzung: Sabine Mangold

Verlag: Aufbau (atb)

Erschienen: 20.06.2013

Seiten: 250

ISBN: 978-3-7466-2944-5

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