Inhalt
In „Der Mauersegler“ lernen wir Prometheus kennen, der sich verlaufen hat und völlig verloren fühlt. Er landet in Dänemark, trifft dort auf Helle und Aslaug, zwei Frauen, die ihn auf ihrem Hof, auf dem sie Ponys züchten und Zimmer vermieten, aufnehmen – und genau wie die Leser*innen rätseln: Was ist mit Prometheus? Was ist ihm zugestoßen? Oder: Was hat er getan? Sie fragen ihn nicht aus, sorgen aber dafür, dass er ins Nachdenken kommt.
Die Charaktere
Die Autorin erschafft auch hier wieder ganz eigene und interessante Figuren, die alles andere als nullachtfünfzehn sind. Sie sind skurril, störrisch und/oder geheimnisvoll. Ich mag ihre Art, besondere Charaktere zu erschaffen, sehr.
Die Hauptfigur des Romans ist der Arzt Dr. (Marvin) Prometheus Grabow. Er hat ganz unterschiedliche Gefühle in mir ausgelöst. Er ist kein wirklicher Sympathieträger, er wirkte auf mich oft jünger, als er eigentlich sein soll. Er hat Probleme damit, sich Fehler einzugestehen, zu ihnen zu stehen. Er kommt egoistisch rüber, mag Statussymbole. Auf der anderen Seite ist er eine dynamische Figur und ich habe auch seine guten Absichten gesehen, seine Schwierigkeiten, die, die er mag, zu enttäuschen.
Für mich ist er auch ein schönes Beispiel dafür, dass wir oft verschiedenen Menschen verschiedene Seiten von uns zeigen. Und dass es auf das Gegenüber ankommt, auf dessen eigene Erfahrungen und/oder Güte, inwiefern man trotz seiner Fehler Akzeptanz erfährt.
Helle und Aslaug sind zwei gegensätzliche Frauen, die ich mir gut vorstellen konnte. Beide hatten ihre Berechtigung, beide haben durch ihre eigenwillige Art der Geschichte – und Prometheus – gutgetan.
Aufbau
Es geht in „Der Mauersegler“ um eine Freundschaft, nämlich um die zwischen Prometheus und Jakob. Es gibt immer wieder Rückblicke in Form von Erinnerungen und Erlebnissen rund um die beiden. Die Autorin geht dabei zurück bis in die Kindheit – und dann vorwärts, bis dahin, wo alles eskaliert ist. Zwischendurch lesen wir von dem Prometheus im Hier und Jetzt, einem jungen Mann, der verwirrt und ratlos ist.
Mir hat der Aufbau der kurzen Geschichte sehr gefallen. Alles entfaltet sich nach und nach, man bekommt immer mehr Wissen, kann ihn immer besser verstehen, zunehmend mit ihm fühlen – und das absolut ohne dass ich alles gutheißen würde, was geschehen ist.
Schwere Themen
Es handelt sich um eine Geschichte voller Gedanken, die auch mich nachdenklich gestimmt hat. Eine Geschichte mit lange ungewissem Ausgang: Was tut Prometheus da? Was ist ihm passiert, was hat er getan, was hat ihn so aus der Fassung gebracht? Was wird er für einen Plan schmieden – und wird er ihn umsetzen? Wie wird das Ganze ausgehen? Ich war bis zur allerletzten Seite gespannt, wie sich Prometheus entwickeln wird, wie er die ganze Sache angehen wird – oder eben auch nicht.
Es ist ein Buch über schwere Themen: Verlust, Schuld, Scham. Trauer. Über die Frage, wie man mit etwas weiterleben soll, das eigentlich zu groß ist, um es zu bewältigen. Und es geht um die Liebe. Eindeutig.
Im Vergleich zu „Marianengraben„, in dem es auch sehr viel um den Tod ging, ist dieses Buch ernster. Das andere hat eher auf Humor gesetzt. Ich finde, dass Jasmin Schreiber beide Ansätze gelungen sind: eher lustig und eher bedrückend. Beide Bücher haben für mich gut funktioniert. Besonders schön fand ich, dass es eine Randbemerkung zu Paula aus „Marianengraben“ gab.
Das Ende
Selbstverständlich werde ich hier nicht ausführen, wie „Der Mauersegler“ ausgeht. Aber ich möchte erwähnen, dass ich das Ende gelungen finde. Ein allumfassendes Happy End hätte hier meiner Meinung nach nicht gepasst – und deshalb war ich sehr froh über den Ausgang, der nicht auf Teufel komm raus alles schönfärbt.
Stil
Den Schreibstil der Autorin habe ich wiedererkannt, er kam mir sogar noch besser vor. Weniger kommalastig, kann das sein? (Könnte auch Einbildung gewesen sein, es ist schon ein bisschen her, dass ich „Marianengraben“ gelesen habe.) Was gleich geblieben ist: Der Schreibstil ist sehr bildhaft, es gibt viele schöne Sätze, viele sehr eigene Beschreibungen und Gedanken. Man liest die Biologin raus. Und ich war berührt, ohne dass Jasmin Schreiber wirklich rührselig schreibt.
In jedem Fall liest sich das Buch herrlich leicht, man gleitet so durch – und das trotz der schweren Themen. Genau so eines habe ich gebraucht, nachdem ich bei meinem letzten Roman so oft ins Stocken kam.
Ich habe große Lust, weitere Bücher der Autorin zu lesen. „Abschied von Hermine“ spricht mich nicht so an, aber um das nächste werde ich nach zwei tollen Büchern von ihr nicht herumkommen.
Fazit
Ich fand’s großartig! Wunderschön und fesselnd geschrieben, trotz der schweren Themen leicht zu lesen. Es gibt besondere Charaktere – und ich konnte mitfühlen.
5/5!
240 Seiten / ISBN: 978-3-8479-0079-5
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