Gerbrand Bakker – Oben ist es still

Inhalt

„Oben ist es still“ beginnt damit, dass der 55-jährige Ich-Erzähler seinen Vater umquartiert. Der Zimmertausch sorgt dafür, dass Helmer, der den Hof führt, unten, der Bettlägerige oben wohnt – und am besten könnte der alte Mann verschwinden, noch eine Etage höher. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn erscheint frostig. Was ist passiert bei den van Wonderens?

Gerbrand Bakker hat Tränen in meine Augen geschrieben

Das Buch ist ruhig, langsam. Aber seine Wirkung ist gewaltig. Die Sätze kamen mir wie abgefeuert vor, trafen mich mit einer ungeheuren Wucht. Die Geschichte um Helmer, der sich so lange schon übersehen, vergessen, nur halb fühlt, die Figuren, die sie rüberbringen, und die Worte, mit denen sie erzählt wird, berührten mich tief. Ich musste den Text mehrmals durch einen Tränenschleier lesen.
Es gibt allerhand Alltags- und Naturschilderungen, man könnte behaupten, es würde nicht viel passieren. Aber es geschieht eine Menge, vor allem in den Figuren, in Helmer. Der Roman hat keine sich überschlagenden Ereignisse nötig. Ich blieb dran, wollte herausfinden, weshalb Vater und Sohn so merkwürdige Dialoge führen, die Stimmung derart angespannt ist. Der Protagonist lässt Eisblumen blühen, schmeißt die anderen Pflanzen weg. Er hat Angst vor Stille – und will doch nichts von seinem Vater hören. Wieso tut er dies, das, jenes? Ständig kamen Fragen auf. Und nach und nach versteht man. Ich war bis zum Schlusspunkt gefesselt.

Alles wirkt durchdacht:
Dass Helmer eine Abneigung gegen Schafe hat, mit denen man ein braves, wehrloses Verhalten assoziiert, macht Sinn. Dass ihn eines dieser Tiere in eine bedrohliche Lage bringt, er sich in dieser Szene mit ihnen identifiziert, danach klarer sieht, unterstreicht das Ganze. Und dass er Esel hält, willensstarke, tatkräftige Tiere, die einzigen, die er nicht geerbt hat, besitzt Ausdruckskraft, ebenso die Tatsache, dass er sie (noch) nicht benannt hat.
Ich mochte die wiederkehrenden Gedanken und Symbole, dass es kein Geschwafel gibt, alles eine Rolle spielt und von Bedeutung ist. Großartige Höhepunkte? Fehlanzeige – und ich habe sie nicht vermisst.

Ist es ein trauriges Buch?

In „Oben ist es still“ geht es um Einsamkeit. Es ist eine melancholische Story. Die Gespräche zwischen Vater und Sohn sind auf ein Minimum beschränkt, wirken kühl. Die Atmosphäre ist spürbar. Es ist eine Geschichte mit vielen Enden, Menschen sind längst tot, sterben oder sollen es tun, sie gehen weg, kommen nicht wieder. Doch es ist auch eine Geschichte mit Anfängen, vor allem einem. Denn der Protagonist macht eine Entwicklung durch. Der letzte Satz könnte der traurigste sein, den man aussprechen kann – hier ist er eine Art Befreiung.
Ich habe Helmer gerne auf seiner Reise begleitet, die schmerzlich und skurril war. Und an deren Ende ein Ausgang wartet, der perfekt ist – indem er kein schöngefärbtes Happy End präsentiert, nicht aus einer einfachen Lösung besteht, sondern vor allem aus einer Erkenntnis, auf der aufgebaut werden kann.
Ja, ich fand den Roman traurig. Sehr. Aber nicht nur; nicht letzten Endes.

Fazit

„Oben ist es still“: IV Teile, 56 Kapitel, zahllose Fragen und Emotionen, viele Enden, ein besonderer Anfang – ich hab’s gefühlt.

5/5!

Ein starkes Debüt:

 

 

315 Seiten / ISBN: 978-3-518-46142-6 / Originaltitel: Boven is het stil / Übersetzung: Andreas Ecke


 

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