Werbung, da Rezensionsexemplar
Inhalt
In „Dagegen die Elefanten!“ von Dagmar Leupold folgen wir Herrn Harald, dem Mantel-Wächter des Opernhauses. Er lebt sein ereignisarmes Leben, Routinen folgend – bis er beim Liederabend im Schönsten Theater der Stadt die Umblätterin entdeckt. Johanna oder Marie muss sie heißen, beschließt er, und dichtet ihr eine Nichte/einen Neffen sowie einen Kater an. Die Notenwenderin geht ihm nicht aus dem Kopf. Doch damit nicht genug Aufregung: Erst findet er eine Schreckschusswaffe in einem in seiner Garderobe zurückgelassenen Regenmantel, dann bekommt er Besuch. Es ist ganz schön was los bei Herrn Harald – zumindest für seine Verhältnisse.
Herr Harald
Dagmar Leupold hat mit Herrn Harald eine unscheinbare Figur erschaffen. Das birgt Risiken. Manche mögen ihn zu langweilig finden, um eine Hauptrolle zu übernehmen. Ich sehe das anders: Die Tatsache, dass er in der Lage ist, Gefühle in mir auszulösen, lässt ihn geeignet erscheinen. Er verfügt über eine dunkle Vergangenheit sowie eine unerfüllte Sehnsucht. Beides hat mich ergriffen, sowohl die Szenen, in denen sich das „Harald-Kind“ in seinen Kopf mogelt, als auch sein behutsames Verhalten in der Gegenwart. Sein Umgang mit sich selbst, die Schuppenflechte betreffend, hat mich fertiggemacht.
Herr Harald handelt manchmal widersprüchlich, zudem ist er ungeübt mit anderen, was zu manch schräger Situation führt und ihn zusätzlich interessant macht. Im Verlauf zeigt er uns verschiedene Facetten von sich. Vor allem seine Feinfühligkeit im Hinblick auf seinen Gast nimmt ihm etwas von seiner Art, die vermutlich oft als neutral wahrgenommen wird, obwohl er doch so empathisch ist.
Er mag ein Mensch ohne auffällige Besonderheiten sein – und ist dennoch ein Protagonist, dessen Geschichte ich mit Freude verfolgt habe. Herr Harald reist nicht, zumindest nicht physisch – gedanklich ist er viel unterwegs. Insbesondere bei diesen Ausflügen, die ihn für mich aus dem Zuschauerraum holen und auf die Bühne stellen, war ich gerne an Bord.
Die Ungesehenen
Herr Harald arbeitet in der Oper, Balkon links. Er nimmt Mäntel entgegen, händigt Marken aus – und umgekehrt. Seine Arbeit trifft auf wenig Wertschätzung.
Ich glaube, dass es diese Parallele ist, die ihn zu „Johanna oder Marie“ hinzieht. Sie ist eine Assistentin, die ihre volle Aufmerksamkeit einsetzt, um im richtigen Augenblick flott und geschickt die Notenblätter zu wenden. Sowohl Herr Harald als auch die Seitenumblätterin sind von Applaus umgeben, doch er gilt nicht ihnen. Sie geraten in Vergessenheit – oder gar nicht erst ins Bewusstsein.
Herr Harald sieht die Frau, nimmt ihre Arbeit wahr, erkennt sie an. Er kann sich in ihre Lage hineinversetzen, weil er eine ähnliche Stellung innehat, schenkt ihr einen Namen, eine Bedeutung.
Denen, die zu ihm finden, nimmt er sich an: Mit dem liegengelassenen Italienisch-Buch lernt er eine neue Sprache, die Kastanie bettet er weich, für den ungeladenen Gast scheut er weder Mühen noch Kosten. Obwohl – oder gerade weil – er selbst keine Aufmerksamkeit bekommt, schenkt er ihnen seine volle.
Auch Tibor, den niemand sehen kann, spielt eine bedeutende Rolle.
Sprachlich: eine Wucht
Herr Harald ist ein kreativer Kopf, der ständig auf der Suche nach Assoziationen und schönen Wörtern ist. Er führt ein Notizbuch, sorgsam durchdacht. Dadurch, dass er viel nachdenkt, verschafft er der Autorin die Möglichkeit, zu zeigen, wie sie kluge Gedanken in wohlklingende Sätze verpackt. Sie schreibt einfallsreich und poetisch, entwickelt Überlegungen und Wortspiele, die ich in dieser Form noch nicht gelesen habe.
Der Schreibstil von Dagmar Leupold in „Dagegen die Elefanten!“ wird mir als originell in Erinnerung bleiben.
Plotmäßig: Luft nach oben
Es gibt viele Alltagsbeschreibungen in „Dagegen die Elefanten!“. Das macht nichts, sie unterstreichen das Wesen des Protagonisten. Außerdem klingen selbst Feststellungen zum Wetter bei Dagmar Leupold nicht dröge.
„Johanna oder Marie“ bringt eine zarte Spannung hinein, durch die Röhm Mod. 3S, die Herr Harald nach dem ersten Drittel des Buches in einem zurückgelassenen Mantel findet, kommt – wenn auch keine gewaltige, sondern überschaubare – Bewegung in die Geschichte. Ich war gespannt, ob und wie er der Notenwenderin erneut gegenübertreten würde, wollte wissen, was er mit der Schreckschusswaffe vorhat. Ich werde nicht spoilern, aber: Es wäre mehr gegangen. Herr Harald ist ein eher theoretischer, ein im Kopf handelnder Typ, weshalb ich den Verlauf vollständig akzeptiere. Es braucht nicht den Knall, um zu verstehen, woran ihm gelegen ist.
Wer sich ständig überschlagende Ereignisse erwartet, wird von „Dagegen die Elefanten!“ enttäuscht sein. Darum geht es dem Roman nicht, er überzeugt durch seine Andeutungen, seine Sehnsucht und Zartheit – und durch die Sprachgewalt der Autorin.
Dagegen die Elefanten!
Der Titel ist ungewöhnlich und macht neugierig. Er bezieht sich auf Herrn Haralds Vorliebe für Tierfilme. Eines Abends im Juni schaut er eine Dokumentation über Elefanten, erfährt, wie empfindsam die Tiere sind, dass sie füreinander einstehen. In der Kneipe „Ratschkath’l“ wird er sich sein Wissen zunutze machen, um grölenden Typen etwas entgegenzusetzen – auf seine Art.
Fazit
„Dagegen die Elefanten!“ ist ein ruhiger und warmherziger Roman, der mich durch seinen mehr oder minder einsamen und feinfühligen Protagonisten berührt hat. Die Sprachgewalt der Autorin ist herausragend. Vom Plot sollte man nicht zu viel erwarten. Mir hat die unaufgeregte Story, die die Ungesehenen in den Mittelpunkt stellt, gefallen.
4/5!
Ein Buch voller Satzdiamanten:
272 Seiten / ISBN: 978-3-99027-262-6
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