Dankbarkeiten – Delphine de Vigan

Dankbarkeiten - Delphine de Vigan

„Dankbarkeiten“ von Delphine de Vigan ist ein schönes Buch, ein trauriges, ein ruhiges, ein kurzes – und vor allem eines, das mir naheging.

4.5/5

Inhalt

Weil sie nicht länger allein leben kann, muss Michèle Seld, genannt Michka, ins Heim. Nachts plagen sie Albträume, tagsüber macht es ihr zu schaffen, ihre Selbstständigkeit verloren zu haben – und noch mehr: Die Wörter kommen ihr zunehmend abhanden. Zwei Menschen stehen ihr zur Seite: Der Logopäde Jérôme Milloux bemüht sich, ihr zu helfen, mit der Aphasie klarzukommen. Und Marie Chapier, die für sie fast wie eine Tochter ist. Sie versucht, ein Paar zu finden, dem Michka ihr Leben verdankt, doch erneut meldet sich auf die geschaltete Anzeige niemand – und Michka läuft die Zeit davon.

Wenn es nur noch bergab geht

Wir sehen, wie sich die Aphasie entwickelt: Zunächst vertauscht Michka einzelne Wörter, ersetzt die richtigen mit solchen, die ähnlich klingen. Später gerät sie länger ins Stocken, die „…“ werden zahlreich, ehe sie nichts mehr von sich aus erzählt, fast aufgibt, nur noch knapp antwortet. Es ist traurig, das mitanzusehen, gerade weil sie so stolz auf ihre Leistungen als Korrektorin ist.

Durch Übungen versucht Jérôme, den Verlauf abzuschwächen. Aufhalten kann man Aphasie nicht, das gibt er ihr gegenüber offen zu, denn die alte Dame lässt sich nichts vormachen, hat eine Ahnung davon, wie es mit ihr weitergehen wird.

Ich mochte Michka. Ich glaube, es ist leicht, sie zu mögen. Sie ist in ihrer sprachlichen Ausdrucksfähigkeit eingeschränkt, schenkt Marie aber immer noch Sätze wie diese:

"Angst um jemand anderen zu haben, jemand anderen als sich selbst. Du hast da eine große Chance."

Sie hat nichts von ihrem Scharfsinn oder ihrer Hartnäckigkeit eingebüßt – und auch ihre Unabhängigkeit nicht aufgegeben.
Sie hat keine Lust auf die Aufgaben, die Jérôme mitbringt, viel lieber will sie mehr über dessen Problem herausfinden. Ich habe gerne verfolgt, wie sie nachbohrt und forscht. Es gibt in diesem Zusammenhang ein Gespräch, das mich sehr ergriff.

Ein schönes Buch, ein trauriges

"Alt werden heißt verlieren lernen."

„Dankbarkeiten“ ist ohne Frage ein trauriges Buch, es hat mich Tränen gekostet. Man wünscht sich etwas anderes für Michk‘. Doch die Geschichte hat auch schöne Seiten. Da sind Menschen, die nicht aus Pflichtgefühl bleiben, nicht nur das Nötigste tun. Marie, deren Umstände es bald nicht mehr erlauben, dass sie sich so kümmert, wie sie es sich vorstellt. Jérôme, der versucht, den gesunden Menschen hinter dem gebrechlichen zu finden, den jungen im alten, der die Sitzungen mit seinen Patienten aufnimmt und sie auch nach deren Tod bewahrt. Wie anders wäre alles gekommen, wenn ein anderer Sprachtherapeut an seiner Stelle gewesen wäre?

Das Buch stimmt nachdenklich. Was bleibt am Ende? Das wichtigste sind wohl die Menschen, die für einen da sind – weil sie es wollen, nicht weil sie es müssen, die Mitgefühl haben, nicht aus Pflichtgefühl handeln.

Aufbau/Stil

„Dankbarkeiten“ besteht aus 176 Seiten, wobei diese nicht voll beschrieben sind. Zwischen den knappen Kapiteln bzw. Perspektivwechseln finden sich leere Blätter. Es ist ein kurzer Roman, den man an einem Nachmittag auslesen kann.

Delphine de Vigan schreibt einfach und klar, aber auch emotional berührend. Es gibt viele Dialoge, um die Sprachstörung und deren Entwicklung zu verdeutlichen. Der Verlauf war im Wesentlichen absehbar, ich habe mich daran nicht gestört (im Gegenteil, ich wollte, dass alles so kommt, herzlichen Dank).

Fazit

Ein schönes Buch, ein trauriges. Ich mochte es sehr.

Zusammenfassung Dankbarkeiten von Delphine de Vigan

Dieses Buch ist für dich, wenn du

Dankbarkeiten - Delphine de Vigan

Dankbarkeiten – Delphine de Vigan

Originaltitel: Les gratitudes (2019)

Übersetzung: Doris Heinemann

Verlag: DuMont

Erschienen: 10.03.2020

Seiten: 176

ISBN: 978-3-8321-8112-3

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Deine Meinung

2 Antworten

  1. Aphasie – das habe ich noch nie gehört. Klingt aber auch wirklich sehr traurig. Gerade wenn ein Mensch so aktiv mit Worten ist, und die dann nach und nach verliert.

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