Inhalt
Zu ihrem zehnten Geburtstag im Jahre 1928 bekam Doris von ihrem Vater ein rotes, in weiches Leder gebundenes Adressbuch geschenkt. Als Eric Alm wenige Jahre darauf stirbt, endet Doris‘ Kindheit: Ihre Mutter schickt die 13-Jährige fort. Schweren Herzens lässt sie sie und ihre Schwester Agnes zurück, wird Dienstmädchen im Haus von Dominique Serafin, die versucht, ihre Ängste durch Ortswechsel abzuhängen. So landet Doris in „Das rote Adressbuch“ in Paris – und wird Model.
Jahrzehnte später, Doris ist 96 Jahre alt, erinnert sie sich an die Menschen, die sie in ihrem Adressbuch verewigt hat. Die meisten Einträge sind durchgestrichen und mit dem Vermerk TOT versehen. Bevor sie selbst stirbt, will sie ihre Geschichte festhalten. Deshalb schreibt sie: Über Schweden, Frankreich, Amerika und England. Über ihre große Liebe Allan, den sie aus den Augen verloren hat, den Krieg, die vielen harten Zeiten. Und über Freundschaften.
Charaktere
Wir erleben die 96-jährige Doris, die schwach ist und zunehmend abbaut. Über sie wird in der dritten Person erzählt.
Daneben erfahren wir Einzelheiten aus ihrem bewegten Leben. Da sie diese für ihre Nichte festhält, sind sie in der Ich-Form gehalten.
Die einfache Vergangenheit steht im Kontrast zu der modernen Gegenwart, in der Doris von Stockholm aus skypt und so den Kontakt zu Jenny und deren Familie in San Francisco hält.
Trotz der potenziell berührenden Themen bin ich den Figuren nicht allzu nahe gekommen. Die Worte haben mich nicht in dem Ausmaß erreicht, das ich mir gewünscht hätte. Es kam erst hinterher, als ich über das Gelesene nachgedacht habe.
Doris hat viel erlebt und nie aufgegeben. Sie ist eine Kämpferin – und damit eine starke Person, die sich als Protagonistin eignen sollte.
Jenny hat drei Kinder und einen Ehemann, dessen unbedachte Äußerungen ich ätzend und dessen Handlungen und Wandlungen ich unglaubwürdig fand. Auch Jenny konnte ich nicht immer verstehen. Sie bleibt nicht so blass wie die übrigen Menschen des Adressbuches, besonders ausgefeilt erschien sie mir dennoch nicht.
Von Gösta hätte ich mir mehr gewünscht, er machte einen interessanten Eindruck. Aber es kam wenig. Mitgerissen hat mich niemand.
Für mich wenig glaubwürdig
Ich fand die Geschichte insgesamt nicht besonders glaubhaft, egal ob es um die Figuren oder die Ereignisse in der Vergangenheit/Gegenwart geht.
Am meisten hatte ich mit den Dialogen zu kämpfen. Häufig kamen mir wenig geistreiche Gedanken wie „Was für ein Gesülze!“ in den Sinn, wenn es zwischen Doris und ihrer Großnichte zu einem dieser unecht klingenden Gespräche kam. Ich habe nichts gegen Schmalz, ehrlich nicht. Aber hier war vieles sowas von drüber. Die ständigen Wiederholungen haben mir nicht zugesagt. Es driftet allzu oft ins Seichte ab.
Auch der Austausch zwischen Jenny und ihrem Ehemann Willie war schwierig. Vieles war mir zu übertrieben.
Das Ende ist zwar irgendwie schön und tröstlich, vor allem vor dem Hintergrund, dass dieses Buch im Kern eine Traurigkeit nach der nächsten liefert, gleichzeitig war es mir zu viel des Guten.
Da „Das rote Adressbuch“ einer Doris gewidmet und Doris die Hauptfigur des Buches ist, habe ich recherchiert, ob und inwiefern hier eine wahre Grundlage vorliegt:
Schöne Message
Bei der Doris, der das Buch gewidmet ist, handelt es sich um die Großtante der Autorin. In einem Video-Interview verrät sie, dass die echte Doris die Inspiration zu dieser Geschichte war, denn auch sie hat ein Adressbuch mit durchgestrichenen Namen hinterlassen:
Ich mag die Message, die Sofia Lundberg mit ihrem Roman vermittelt: Dass man einander zuhören, Interesse zeigen sollte. Ältere Menschen geraten häufig in Vergessenheit, werden vernachlässigt. Dabei haben sie so viel zu erzählen, das es wert ist, gehört zu werden.
Tatsächlich hat mich das Interview mehr berührt als die fiktive Story.
Ich habe den Inhalt relativ unbeeindruckt runtergelesen. Die Geschichte lässt sich flüssig und schnell lesen, die Sätze sind kurz gehalten. Leider haben es die Worte nicht geschafft, mich direkt tief zu erreichen. Erst als ich nach dem Lesen über das Buch nachgedacht habe, hat das Ganze etwas mit mir gemacht.
Fazit
Die Protagonistin hat allerhand erlebt, die Story hat Potenzial. Vieles war mir aber zu unglaubwürdig bzw. übertrieben. Die Dialoge fand ich grausig. Insgesamt hat mich „Das rote Adressbuch“ weniger berührt als erhofft, auch wenn ich die Botschaft toll und die aufgeworfene Frage, ob man in seinem Leben genug geliebt hat, eindrücklich finde.
2,5-3/5!
352 Seiten / ISBN: 978-3-442-31499-7 / Übersetzung: Kerstin Schöps