„Der Friedhofswärter“ ist eine ruhige Geschichte mit altbekannten Konflikten, die vor allem durch Rashs Schreibstil überzeugt – und dadurch, wie er seine Figuren fühlen, denken und handeln lässt.
Inhalt
Weil Jacob sich für Naomi entscheidet, wird er von seinen Eltern enterbt und im Ort geschnitten. Als er einberufen wird, wendet er sich an seinen besten Freund Blackburn, der, gezeichnet von der Polioerkrankung, das Leben als Außenseiter kennt. Er kümmert sich um Naomi, während Jacob sich in Gedanken an sie und das ungeborene Kind klammert, um in Korea zu überleben. Doch noch bevor er nach sechs Monaten verwundet heimkehrt, erfährt er, dass der Alptraum, aus dem er zu entkommen hofft, durch einen anderen ersetzt wird.
Zwischen Liebe und Lüge
Drei Charaktere stehen im Fokus: Jacob, der einberufen wird. Seine 17-jährige Ehefrau Naomi, die das gemeinsame Baby erwartet. Und „Der Friedhofswärter“: Blackburn Gant, Anfang 20, der wegen seines Aussehens gemieden bis gemobbt, als Totengräber aber akzeptiert wird.
Daneben spielen Daniel und Cora Hampton eine wichtige Rolle. Sie haben ihre zwei Töchter verloren und wollen nur das Beste für ihren Sohn. Das Problem: Naomi. Sie ist ungebildet und gilt als schamlos, wird sich nur des Geldes wegen an Jacob herangemacht haben. Mit allen Mitteln versuchen sie, ihr einziges Kind auf den rechten Weg zu bringen, doch Jacob hat seinen eigenen Kopf.
Das klingt nach Ärger – und den gibt es.
Klassenunterschiede/eine Frage der Macht
Wir haben die Hamptons, die bestimmte Vorstellungen vom Leben ihres Sohnes haben und ihren Einfluss zu wissen nutzen. Und die Familie Clarke, bestehend aus dem Vater, einem einfachen Farmer, dem Daniel nicht einmal zutraut, lesen zu können, und der Tochter Lila. Außerdem Naomi, die es geschafft hat, sich Jacob zu angeln. Dass es ganz anders war, wollen sie nicht sehen, lieber enterben sie ihren Sohn, der daraufhin mit seiner jungen Frau abhaut. Doch sie geben nicht auf. Sie sind angesehene Leute, die Einwohner, die sich durch Naomis Auftreten provoziert fühlen, sind dankbar für ihre Großzügigkeit und fürchten gleichzeitig die Verachtung der Hamptons. Dementsprechend genießen Daniel und Cora eine Macht, die ihnen nach Jacobs Rückkehr einige Möglichkeiten verschafft. Kommen sie doch noch an ihr Ziel?
"Es waren so viele Lügen, die sie im Kopf behalten musste, und es würden noch mehr werden. Wie eine lange Reihe von Güterwagen an einem steilen Hang: Wenn auch nur einer ins rollen geriet, konnte das eine Katastrophe verursachen."
eBook S. 88/277, 31,6 %
Der Friedhofswärter
Der titelgebende Charakter ist für mich der spannendste: Der Totengräber Blackburn Gant, der seit fünf Jahren auf dem Friedhof von Laurel Fork lebt und arbeitet.
Ich mochte den sanften Riesen, der einiges einstecken muss, habe seine Überlegungen und Handlungen gerne verfolgt. Er stellt die Verbindung zwischen Jacob und Naomi und jemanden dar, der den Hamptons – bis dahin unbewusst – auch viel zu verdanken hat, dem Freundschaft und die Wahrheit jedoch mehr bedeuten als finanzielle oder andere Vorteile. Jedenfalls bisher. Im Verlauf wird er auf die Probe gestellt.
Ich bin froh über seine Entscheidungen, auch wenn mir manche wehtaten.
Jacob und Naomi blieben für mich immer hinter ihm, hinter diesem loyalen, so guten Menschen, obwohl es vordergründig um die beiden geht und Blackburn ein so zurückhaltender Charakter ist. Ohne Zweifel ist er die Konstante des Buches.
Einfühlsam
Es ist kein Geheimnis: Mit feinfühligen Geschichten kriegt man mich. Dies ist eine.
Ich mag, wie der Autor uns die unterschiedlichen Gedanken und Hoffnungen seiner Figuren zeigt:
Ich mag, dass Dr. Egan ins Grübeln kommt, dass es den Arzt nicht kaltlässt, was passiert sein soll.
Ich mag, wie Ron Rash Naomi darstellt, einerseits mit ihrem tatsächlich vorhandenen Traum davon, einen vermögenden Mann zu haben, andererseits ihre nicht vorgespielten Gefühle für ihn.
Ich mag, wie der Autor Jacobs Kriegserlebnisse und deren Folgen schildert.
Ich mag Blackburn, seine abwägende Art, alles, was er sagt oder verschweigt, tut und unterlässt.
Es ist nicht so, dass ich Jacobs Eltern verstehe, aber auch ihre Gefühle und Hintergründe, die Überzeugung, das Richtige zu tun, sind nachvollziehbar eingefangen.
All das so plausibel zu beschreiben und zu zeigen, das hat der Autor wirklich drauf.
Aufbau/Stil
Die Story, sie wird in fünf Teilen, 35 Kapiteln und einem Epilog erzählt, spielt Anfang der 1950er in Blowing Rock, North Carolina. Wir steigen im März mit einer packenden Szene ein, in der Jacob in Korea kämpft. Im Mai wird Naomi 18 und das Baby soll auf die Welt kommen.
Vieles wird angedeutet, ehe das ganze Ausmaß später ans Licht kommt. Es gibt eine Vielzahl von Einschüben, die Ereignisse aus der Vergangenheit beleuchten.
„Der Friedhofswärter“ wird ohne Ich-Erzähler wiedergegeben, wir folgen wechselnden Perspektiven. Während die Charaktere nur eine Seite kennen, wissen wir mehr. So kommt es, dass wir beispielsweise lesen, wie Jacob durch die Gedanken an Naomi und das Baby genug Kraft aufbringt, um am Leben festzuhalten. Was wir – im Gegensatz zu ihm – jedoch kommen sehen: die schreckliche Intrige, die im Hintergrund lauert. Seine Liebe verschlimmert unsere Einblicke und Erwartungen. Wir müssen ihn in die Falle laufen lassen, weil wir nicht eingreifen können. Das macht einen gewissen Reiz aus und bringt (eine ruhige) Spannung hinein, auch wenn die Geschichte teils wenig glaubhaft und letztlich vorhersehbar daherkommt. Außerdem fällt das (zu einfache?) Ende reichlich knapp aus.
"Das war vielleicht das Traurigste im Leben, dass man nicht verstehen konnte, nicht wirklich verstehen konnte, wie gut etwas war, solange man mittendrin war und es erlebte. Wie viele solcher Momente einfach vergingen und für immer verloren waren."
eBook S. 153/277, 55,1 %
Fazit
„Der Friedhofswärter“ ist ruhige Geschichte mit altbekannten Konflikten. Ich mag Rashs Schreibstil und wie er seine Figuren fühlen, denken und handeln lässt. Man sollte allerdings über ein paar unglaubwürdige Szenen hinwegsehen können und weder große Plot-Twists noch ein ausführliches Ende erwarten.
Zusammenfassung Der Friedhofswärter – Ron Rash
Dieses Buch ist für dich, wenn du
- über eine große Intrige lesen willst
- Kriegsbeschreibungen aushältst
- feinfühlige und ruhige Geschichten magst
- Vorhersehbarkeit und unglaubwürdige Szenen hinnehmen kannst
- Charaktere suchst, die Probleme, Hoffnungen und ganz eigene Motive haben
- bereit bist, ein knappes Ende zu akzeptieren
Der Friedhofswärter – Ron Rash
Originaltitel: The Caretaker (2023)
Übersetzung: Sigrun Arenz
Verlag: ars vivendi
Erschienen: 02.05.2024
Seiten: 240
ISBN: 978-3-7472-0607-2
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6 Antworten
Deine Zusammenfassungs-Empfehlungen sind ja super. Finde ich sehr einladend, so zu kategorisieren. Ich mag ja die Kategorie, lange verschnörkelte Sätze mit ungewissem Ausgang :) … ich höre heraus, dass das Ende wirklich enttäuschend ist. Das ist schade.
Im Beitrag davor, Der Schatten einer offenen Tür, wollte ich unbedingt einen einzigen Satz als Abschluss im Fazit bringen, aber dann fehlte mir zu viel. So ist die Zusammenfassung entstanden, die ich ab da überall wollte, weil ich „Checkboxen“/Listen mag. :D
Mir hat das Ende nicht gefallen, weil die ganze Zeit davor alles so hoch aufgetürmt wird – und das so schnell und knapp auseinanderfällt. Da fehlte mir einiges. Aber ich bin die Ausnahme – es gibt auffällig viele Top-Bewertungen, die kein Problem mit dem Ausgang haben.
Liebe Grüße
Ach, das Buch hatte ich mir auch angesehen. Es hat mich angesprochen, aber nach der Leseprobe war ich irgendwie nicht mehr so sicher. Nach deiner Rezension lasse ich es ganz.
Ich mag es auch mal ruhig, aber hier scheint es mir etwas zu ruhig zu sein und was du zum Ende schreibst, spricht mich jetzt auch nicht so an.
Also danke für die Vorstellung.
Liebe Grüße
Marie
Ich habe nach den ganzen hohen Bewertungen auch etwas mehr erwartet, aber das ist ja immer Geschmackssache. Grundsätzlich fand ich einiges an dem Buch gut. :)
Liebe Grüße
Eine sehr schöne Rezi, die neugierig auf die Story macht. Ich habe das Buch schon öfter mal gesehen und auch vorgestellt bekommen. Ich werde es mir mal auf die Wunschliste setzen.
Liebe Grüsse
Da bin ich gespannt, was du sagst, falls du es liest. Ich verbinde immer ganz andere Geschichten mit dir. :) Aber Abwechslung ist toll. Ich versuche eigentlich auch, querbeet zu lesen, momentan habe ich allerdings eine kleine Schwäche für „älter wirkende“ Romane.