Der Schatten einer offenen Tür – Sasha Filipenko

Der Schatten einer offenen Tür - Sasha Filipenko

„Der Schatten einer offenen Tür“ von Sasha Filipenko ist nichts für schwache Nerven.

Ein unbequemer Roman, der das Zeug hat, einem das Herz zu brechen.

2.5/5

Werbung, da Rezensionsexemplar

Inhalt

Revierinspektor Michail Leontjewitsch kriegt unerwünschte Verstärkung aus Moskau: Alexander Koslow und Fortow, Leutnant der Justiz, reisen in die Provinzstadt Ostrog, um eine Suizidserie aufzuklären. Als die beiden Ermittler eintreffen, hat sich der vierte Teenager umgebracht, wieder ist es eines der Heimkinder. Sie hinterlassen keinen Abschiedsbrief, scheinen keine Gemeinsamkeiten zu haben. Was geht hier vor sich?

Ein Ermittler mit Liebeskummer

Protagonist Alexander Koslow möchte nicht nach Ostrog. Er war schon einmal hier und hat sich unbeliebt gemacht. Auch von seinem Begleiter, diesem Neuling, hält er nichts. Alles, was er will, ist seine Frau zurück. Die Richterin hat sich vor einigen Jahren von ihm getrennt, doch er glaubt noch immer an ein Happy End.

Ich hatte Schwierigkeiten, einen Draht zu Koslow zu kriegen. Allgemein empfand ich die Figuren als schwer zugänglich, denn daneben haben wir den abstoßenden Fortow, den Provinzler Michail Leontjewitsch, der nichts ernst nimmt, und Pjotr Petrowitsch Pawlow, genannt Petja oder Petak, ein ehemaliges Heimkind. Der Junge ist anders: Uneigennützig betreibt er ein kostenloses Sammeltaxi, er ist verständnisvoll, kämpft für die Natur und das, was er für richtig und wichtig hält. Er ist ein guter Mensch – und damit in dieser Geschichte der Außenseiter.

Kein typischer Krimi

"Diese Kinder waren einmal, und jetzt sind sie nicht mehr. Aus dem Leben gefallen wie Milchzähne."

Kassimow Rinat, Oxana Zwetkowa, Olja Gagarina – und bei Eintreffen der Ermittler bringt sich ein weiteres Mädchen um. Vier Tote, ein Dorfpolizist, zwei von der Mordkommission, es könnte ein herkömmliches Buch dieses Genres sein. Ist es aber nicht.

Ich geb’s zu: Ich gehöre nicht zur Zielgruppe. Ich wollte einen banalen Kriminalroman – und ja, die Fälle werden (nebenbei) aufgeklärt, es ist jedoch keine typische Detektivgeschichte. Der Text lässt sich schwarzhumorig bzw. „realitätskritisch“ lesen. Wenn man sich eine Sekunde nimmt und zu dem belarussischen Schriftsteller Sasha Filipenko recherchiert, überrascht das nicht. Mein Fehler. Deshalb: Wer auf der Suche nach einem leichten Krimi ist, wird vermutlich wenig Freude mit dem Buch haben, ebenso diejenigen, die auf etwas Schöngefärbtes und einen glücklichen Ausgang hoffen. Alle anderen dürfen gerne zugreifen, aber Achtung: Es könnten Fragen offen bleiben, denn in vieles muss man mehr hineinlesen, als auf den Seiten steht (die siamesischen Zwillinge etc.). Und: Es ist ein düsteres und hartes Buch.

Nichts für schwache Nerven

Werfen wir einen Blick auf das Umfeld, in dem „Der Schatten einer offenen Tür“ spielt: Ostrog ist eine ehemalige Gefängnisstadt, selbst der verehrte Bürgermeister Arkadi Baumann saß sieben Jahre ein. Wir haben eine Menge Ex-Gefängnisangestellte, der 40-jährige Michail war Aufseher. Die Kinder sind ungewollt, unverstanden, ungehört. Es ist eine beklemmende Stimmung, es herrscht eine allumfassende Hoffnungslosigkeit. Die Menschen sind einiges gewohnt – ich nicht. Bei den Foltermethoden wollte ich aussteigen. Aber es ist nicht nur das. Das Buch wirft Fragen auf – und zwar solche, deren Antworten man nicht hören will.

Die Folgen einer guten Tat

Alles, was wir tun, hat Folgen. Und hier geht es um die Auswirkungen guter, eigentlich richtiger (einmaliger) Entscheidungen, die in diesem Umfeld zu verhängnisvollen werden.

Die Figuren haben mich nicht beeindruckt, aber mit Petja habe ich gefühlt. Was kann man werden an einem Ort wie diesem? Wenn alle um einen herum anders sind – ist man dann falsch? Das ehemalige Heimkind wird zum Einzelprotestler, gibt nicht auf, obwohl er der Außenseiter ist und von allen Seiten angegriffen wird. Wie kann er sich einfügen in diese Welt, in die er nicht passt? In der für diejenigen, die für die Wahrheit und Anstand eintreten, kein Platz ist? In der die, die für das Gute kämpfen, nichts zu suchen haben?

"Leuten wie dir müsste mal einer von klein auf erklären, wie beschissen die Welt ist! Nichts zu machen! Sieh dich um - was willst du hier verändern? (...) Nicht diese Typen bräuchten Erziehung, sondern du!"

Ach, Petja.

Letztlich muss sich Koslow entscheiden, was er, der nie kriegt, was er haben möchte, will: Die Wahrheit oder einen Schuldigen?

Und wir müssen uns fragen: Wie nah an der Realität ist diese bittere Geschichte?

Aufbau

Es gibt einen Prolog, die Kapitel „Erster Gesang“ bis „Vierundzwanzigster Gesang“ mit zwei Zwischenspielen, einen Epilog und eine Besonderheit: Eine Fragenliste für den Unterricht. Mit einem Postskriptum schließt „Der Schatten einer offenen Tür“ nach 272 Seiten ab.

Fazit

Wenn einem dieses Buch nicht das Herz bricht, dann weiß ich auch nicht.

Der Schatten einer offenen Tür - Sasha Filipenko

Der Schatten einer offenen Tür – Sasha Filipenko

Übersetzung: Ruth Altenhofer

Verlag: Diogenes

Erschienen: 25.09.2024

Seiten: 272

ISBN: 978-3-257-61524-1

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