Ein Gentleman in Moskau – Amor Towles

Ein Gentleman in Moskau - Amor Towles

„Ein Gentleman in Moskau“ ist ein leises, interessantes, amüsantes und kluges Buch, das sicher auch im zweiten Durchgang einige Überraschungen zu bieten hat.

4.5/5

Inhalt

Graf Alexander Iljitsch Rostov soll zum Tode verurteilt werden, doch das Gedicht „Wo ist es jetzt?“ aus dem Jahr 1913 sorgt stattdessen dafür, dass er ab dem 21.06.1922 lebenslang unter Hausarrest gestellt wird. Aus der Suite 317 wird er ausquartiert, bleibt aber im Hotel Metropol, in dem er seit vier Jahren wohnt, muss dort mit einer neun Quadratmeter kleinen Kammer vorliebnehmen. Es gelingt ihm – und noch einiges mehr.

Ein wahrer Gentleman

Protagonist Graf Alexander Iljitsch Rostov wurde 1889 in St. Petersburg geboren. Er wuchs auf dem Familienlandsitz Gut Weile in Nischni Nowgorod auf, einem Anwesen mit zwanzig Zimmern und fast ebenso vielen Bediensteten.

Der Graf ist ein Lebemann, ein Feinschmecker, ein Mensch ohne Vorurteile, der Wert auf Takt und Höflichkeit legt. Manchmal mag er besserwisserisch daherkommen, seine charmante Art sorgt jedoch dafür, dass es ihm niemand übelnimmt. Er macht den Eindruck, als würde er nie die Fassung verlieren, weder durch Unruhen noch durch die Verhängung des Hausarrestes oder das Wissen, dass er erschossen wird, sobald er einen Fuß vor die Tür des Metropols setzt.

Die Bezeichnung „Gentleman“ passt zweifellos zu ihm, er beweist uns das an vielen Stellen. Ich mochte ihn, der schon früh mit Abschieden (von Menschen und Dingen) zu tun hatte, sehr.

Ein Roman, der etwas zu sagen hat

„Anpassungsfähigkeit“ ist ein Thema, das in „Ein Gentleman in Moskau“ behandelt wird. Das Buch zeigt uns, dass wir anderen, egal in welcher Situation wir stecken, eine Hilfe sein können. Der Wert zwischenmenschlicher Beziehung ist riesig – und so lädt er die Menschen eben ein in seine kleine neue Welt. Die Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie man sein Leben unabhängig von den Umständen genießt, ihm einen Sinn gibt.
Der Graf könnte wütend und verbittert sein, seinen Unmut an anderen auslassen, mit seinen Gedanken in der Vergangenheit festhängen, aufgeben. Er tut es nicht. Er akzeptiert das Urteil, nimmt die neue Situation an, arrangiert sich mit Vorhandenem, arbeitet an Lösungen und Verbesserungen. Zugegeben, es gibt schlechte Momente, sogar sehr dunkle. Aber er findet immer wieder zurück ins Licht, dahin, wo sich die Freude versteckt. Sein Leben ist nicht vorbei mit dem Urteilsspruch, im Gegenteil. Er hat einiges verloren – und viel gewonnen.

"Denn wenn Aufmerksamkeit in Minuten gemessen werden kann und Disziplin in Stunden, dann muss man Unbezwingbarkeit in Jahren messen. Wer aber für philosophische Betrachtungen nichts übrighat, möge einfach zu dem Schluss kommen, dass der Weise die Feste feiert, wie sie fallen."

Und letztlich stellt der Graf fest:

"Aber am Schluss sind es die Unbequemlichkeiten, die am meisten zählen."

Die Beziehungen des Grafen

Dadurch, dass der Protagonist im Hotel festhängt, trifft er allerhand Menschen – darunter solche, die sein Leben verändern: Hotelangestellte wie der Küchenchef Emile Schukuwski oder Andrei Duras, Maître d’Hôtel, die Näherin Marina, aber auch Gäste wie die mit ihren Hunden überforderte Schauspielerin Anna Urbanowa, die ihn aus dem Konzept bringt.

Eine wichtige Figur ist Nina Kulikowa, die neunjährige Tochter eines Bürokraten aus der Ukraine, der vorübergehend in Russland stationiert ist. Sie freunden sich an. Auch wenn er die eine oder andere gerissene Hosennaht in Kauf nehmen muss, profitiert er von den gemeinsamen Abenteuern und der kindlichen Neugier, die auf ihn überspringt. Außerdem wartet im Verlauf eine weitere Überraschung, die ohne Nina nicht möglich gewesen wäre. Darüber möchte ich mich allerdings ausschweigen, um den Lesespaß nicht zu trüben.

Es geht gemächlich voran

Der Großteil des Buches wird langsam erzählt. Das gemütliche Tempo passt zu dem Märchenhaften, das dem Roman anhaftet.

Der Fokus liegt auf dem Mann, der im Hotel festsitzt, nebenbei werden einige historische Ereignisse erwähnt. Das Geschichtliche bremst mich immer etwas aus, hier muss es mit Blick auf die Jahreszahlen fraglos auf die eine oder andere Weise eingebaut werden. Ich war dennoch froh, dass es keinen größeren Raum einnimmt.
Ich habe das Buch gerne gelesen, obwohl ich eher schleppend vorankam. Das Setting bietet einige Abwechslung, mit der Zeit entdeckt der Graf, wie viel Neues es im Hotel zu entdecken gibt, auch nach all den Jahren. Ich fand das sehr unterhaltsam.

Manche Einschübe und Details mögen seitenfüllend wirken, stellen sich später jedoch als wichtig heraus. Es hat Spaß gemacht, zu erkennen, dass vieles nicht so ist, wie es scheint. Es gibt Überraschungen – und am Ende kommt der Roman in Schwung. Eine zweite Lektüre ist sicher lohnend, um alle Verbindungen auszumachen.

Ein Ende zum Auslegen

Amor Towles hat sich dafür entschieden, dem Ende von „Ein Gentleman in Moskau“ etwas Rätselhaftes zu lassen. Das ist gut gemacht, es passt zum Rest und regt zum Nachdenken an. Wenn ihr den Roman bereits gelesen habt, könnt ihr hier einen Blick auf meine Gedanken und Interpretation werfen. Ich beantworte dort Fragen wie die nach der Identität der Frau.

Aufbau

Es ist ein fiktiver Roman, auch wenn er durchaus reale Ereignisse beinhaltet und im tatsächlich existierenden Hotel Metropol in Moskau spielt.

Der Aufbau weist Besonderheiten auf. Wir folgen Rostov über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren. Wenn wir uns die zeitlichen Abstände anschauen, fällt ein System auf, das sich in etwa in der Mitte umkehrt, so dass eine Art Countdown entsteht.

Der Mix überzeugt: Es ist dem Autor gelungen, verschiedene Stimmungen einzufangen und zu transportieren, der Humor lockert das Ganze auf. „Ein Gentleman in Moskau“ erzählt von einer Gefangenschaft, die sich oft nicht nach einer anfühlt, von politischen Ereignissen und Spionage, aber auch von Liebe, generationsübergreifender Freundschaft, Verantwortung und Freiheit. Ich mochte den fesselnden Schreibstil. Obwohl es ruhig zugeht, habe ich nie das Interesse verloren. Das Ende ist das Beste, dranbleiben zahlt sich aus.

Verfilmung

Der Roman von Amor Towles wurde als Serie verfilmt. Ewan McGregor spielt Graf Rostov. Es ist eine Paramount+-Produktion, Staffel 1 kann man beispielsweise (aktuell) bei Amazon Prime Video kaufen.

Fazit

„Ein Gentleman in Moskau“ ist ein Roman, den ich noch einmal lesen werde – und das behaupte ich gewiss nicht von vielen Büchern.
Ich mochte die Figuren, die Botschaft, das Märchenhafte, die Überraschungen und dass es mich dazu gebracht hat, mich über Birkenspanner in Manchester zu informieren.
Es ist keine Geschichte, durch die man fliegt, aber eine, für die man sich gerne Zeit nimmt.

Ein Gentleman in Moskau - Amor Towles

Ein Gentleman in Moskau – Amor Towles

Originaltitel: A Gentleman in Moscow (2016)

Übersetzung: Susanne Höbel

Verlag: Ullstein

Erschienen: 09.11.2018

Seiten: 560

ISBN: 9783548290720

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Fragen und Gedanken zum Buch (Spoiler!)

Deine Meinung

2 Antworten

  1. Hm – klingt jetzt nicht so, als würde es mich reizen, aber es scheint dich sehr beeindruckt zu haben. Eine interessante Geschichte ist es bestimmt. Schon allein dieser Hausarrest auf diesen kleinen Raum.

    Schönen Sonntag noch

    1. Tatsächlich glaube ich auch nicht, dass es dich fesseln kann. Ich glaube, du braucht ein wenig mehr Action. :)

      Liebe Grüße und danke für deinen Kommentar

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