„Im Spiegelsaal“ ist ein feministischer Sachcomic, der gleichermaßen informierend und unterhaltsam, kritisch und lustig daherkommt.
Inhalt
Wie beeinflusst Schönheit unser Leben? Was macht sie so fesselnd? Wie haben sich (weibliche) Schönheitsideale mit der Zeit entwickelt? Warum hat die Fotografie eine derart große Veränderung mit sich gebracht? Liv Strömquist blickt aus unterschiedlichen Richtungen auf das Schönsein (insbesondere der Frauen) und die Vergänglichkeit – und macht nachdenklich.
Eine Überraschung
Einen Comic hatte ich zuletzt als Kind in der Hand, einen aus der Reihe „Lustiges Taschenbuch“. Ich glaube nicht, dass sich das zeitnah geändert hätte, wenn ich nicht (endlich!) ein Buch geschenkt bekommen hätte, das ich mir nicht gewünscht habe. Darauf habe ich schon etliche Weihnachtsfeste und Geburtstage gehofft: ein Überraschungsbuch, keins von der Wunschliste, kein Gutschein. Hier ist es – und dann gleich so eins!
Vom Comic geht’s zur Graphic Novel, von Donald Duck zu Schneewittchens (Stief-) Mutter. Und auch wenn ich mit Märchen nicht allzu viel anfangen kann, hat mich „Im Spiegelsaal“ gekriegt.
Informativ
Wieso verbringen manche Stunden damit, sich gestellte Fotos von Promis anzusehen – um dann den Wunsch zu verspüren, mindestens genauso zu glänzen? Warum wird aus einem Vorbild so schnell ein Konkurrent? War unser Aussehen schon immer in so großem Maße mit Macht verbunden? Nimmt unser Optimierungswille überhand? Welche Nachteile bringt es mit sich, von anderen als schön angesehen zu werden? Wie viel sind all die positiven Eigenschaften noch wert, die auf einem Foto nicht zu sehen sind?
All dies kommt in einer bunten Mischung: Gut recherchierte Themen, die Strömquist in Zeichnungen und leichte Texte verpackt hat. Die Inhalte sind eher schockierender Natur, wissen aber zu erheitern. Eine Vielzahl von Personen kommt zu Wort, Soziologen, Philosophen, ein Theologe, ein Historiker, eine feministische Autorin. Wir lesen über die Influencer von heute, über längst verstorbene Menschen. Die Einblicke in die Interviews, die mit fünf Frauen zwischen 53 und 73 Jahren geführt wurden, überzeugen. Ein gelungener Mix.
Spiegel
Nicht nur im Titel kommen sie vor, sondern im gesamten Buch: Spiegel. Die Autorin betrachtet das Thema aus allen möglichen Blickwinkeln. Heute bedeuten Spiegel oft, dass wir uns vergleichen und in Stress geraten. Und wir finden sie überall. Wenn man überlegt, dass wir Smartphones mit integrierten Kameras bei uns tragen, Selfies liken oder über Videotelefonie kommunizieren… Ja, die Autorin hält uns den Spiegel vor: Wie konnte es so weit kommen? Inwiefern spielen wir da alle mit?
"Nicht jeder möchte Promi sein, aber alle sind Teil der Entertainment-Industrie. Schon indem man einen Social-Media-Account HAT, kreiert man ein öffentliches Bild. Schon indem man SEINEN STATUS POSTET oder einen Kommentar beantwortet, hat man eine PR-Strategie."
Kap. 5, "Tyrannisches Bild", nach Richard Seymour aus "The Twittering Machine"
Was macht das mit uns – und unseren Beziehungen?
Etwa in der Mitte des Buches wird sogar einmal der Text spiegelverkehrt abgedruckt. Ich mag, wie all das ein harmonisches Gesamtbild ergibt.
Aufbau/Stil
Die Graphic Novel der schwedischen Autorin besteht aus fünf Essays, von Kylie Jenner bis Sisi. Es gibt viel Text, teilweise scharf formuliert. Alles wirkt gut recherchiert, es wird tief gegraben. Der Inhalt ist kritisch, aber humorig-leicht verpackt. Das Buch ist flott ausgelesen, gerät jedoch nicht so schnell in Vergessenheit, da es interessante Fragen aufwirft und uns (auch bildlich durch eine leere Seite) dazu animiert, uns eigene Gedanken zu machen.
Ende
Das Ende überrascht, weil es sich von den restlichen Seiten unterscheidet, auf denen verdammt viel los ist. Es ist ein ruhiger Ausgang, der ausschließlich aus Bildern besteht, was deren Wichtigkeit unterstreicht.
Ich glaube, man kann den Abschluss verschiedentlich deuten.
Zunächst unterstreichen die für Auslegungen offenen Zeichnungen, was alles fehlt beim Betrachten von Bildern: die Tonlage, die klaren Worte, all die Dinge, die man nicht abbilden kann. Das ist gelungen.
Für mich wird hier ein Austreten symbolisiert, eine Verabschiedung aus dem Spiegelsaal – etwas, das heutzutage nicht mehr so leicht möglich ist. Und auf der letzten Seite schauen wir uns doch wieder an. Bleibt die Frage, was wir daraus machen. Die Gesellschaft hat mit ihrer Meinung schon immer bestimmt, wie sich die Dinge entwickeln. Auch man selbst ist ein Teil davon. Also: Was sehe ich auf diesem Bild? Was mache ich damit? Vergleiche ich, bewerte ich? Und noch wichtiger: Was will ich damit machen – heute und in Zukunft?
Fazit
„Im Spiegelsaal“ ist ein feministischer Sachcomic, der gleichermaßen informierend und unterhaltsam, kritisch und lustig daherkommt. Ich bin überraschenderweise angetan von diesem 2022 mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichneten Werk – und brauche nun die anderen Bücher der Autorin. Tja.
Zusammenfassung Im Spiegelsaal von Liv Strömquist
Dieses Buch ist für dich, wenn du
- Graphic Novels magst oder einmal einen tiefsinnigen Sachcomic ausprobieren möchtest
- auf der Suche nach feministischer Lektüre bist
- Lust auf einen informativen, kritischen, sehr unterhaltsamen Text zum Thema Schönheit hast
Im Spiegelsaal – Liv Strömquist
Originaltitel: Inne i spegelsalen
Übersetzung: Katharina Erben
Verlag: avant-verlag
Erschienen: 2021
Seiten: 168
ISBN: 978-3-96445-062-3
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