Jones – Neil Smith

Jones - Neil Smith

„Jones“ von Neil Smith ist ein autofiktionaler Roman, der zeigt, wie schwer es ist, sich von einer dysfunktionalen Familie loszusagen.
Das Buch ist hart und berührend, unterhaltsam und humorvoll.

4.5/5

Werbung, da Rezensionsexemplar

Inhalt

Das schlimmste F-Wort, das es gibt, sagt Abi, lautet "Familie".

Eli und seine zwei Jahre ältere Schwester Abi versuchen, „Jones-Town“ zu überleben: Ihr Vater Pal trinkt und tut Schlimmeres, ihre garstige Mutter Joy ist die „Königin der Verleugnung“. Ständig ziehen sie um, nie kommen sie zur Ruhe. Die „Große Flucht“ hält sie oben: Irgendwann werden sie nach Manhattan abhauen und alles hinter sich lassen. Doch der Vergangenheit kann man nicht entkommen. Oder?

Eli und Abi Jones

Der Prolog zeigt uns einen siebenjährigen Eli und eine neun Jahre alte Abi, Geschwister, die eine besondere Verbindung zueinander haben. Ganz anders sieht die Beziehung zu ihren Eltern aus. Höchstselten lesen wir das Wort „Mum“ oder „Daddy“, denn sie sprechen sie mit dem Vornamen an oder bezeichnen sie als „Einheiten“. Da ist eine unüberwindbare Distanz, wo keine sein sollte – und manchmal ist da, wo eine hingehört, keine.

Wir begleiten die Charaktere über Jahre hinweg, in ihrer Kindheit in den 70ern und als Erwachsene, sehen, dass jede Figur in dem Versuch, mit dem Leben fertigzuwerden, eigene Strategien und Schutzpanzer entwickelt. Während Eli zu Ticks und Zwängen neigt, hat Abi eine Essstörung und Suizidgedanken. Es ist ein schweres Buch, das Themen wie Liebe, Gewalt und Abhängigkeiten verschiedener Art anspricht.

Ich mochte vor allem Eli, habe mit ihm gefühlt in der ihm zugefallenen Rolle, sowie die Dialoge, die sich durch die Schlagfertigkeit der beiden herrlich lesen.

Eine Überlebensgeschichte

Trotz ihres Alters haben die Möbel aus seiner Kindheit intakter überlebt als er selbst.

„Jones“ ist ein niederdrückendes und schockierendes Buch. Das muss es bei den Themen sein, das geht nicht anders. Aber – und das ist das Überraschende: Es ist ebenso ein leichter und humorvoller Roman. Manche Ausschnitte möchte man nicht lesen, nicht wirklich. Dennoch konnte ich nicht aufhören, weil ich so drin war in der Welt von Eli und dem Rest.

Das Buch hat mich etwas an „Ein wenig Leben“ erinnert, obwohl die Romane sehr verschieden sind (ich habe Yanagiharas Werk als eines in Erinnerung, das mit jeder Seite nur schlimmer wird, das ohne die hier vorherrschende Leichtigkeit und Hoffnung daherkommt, von dem ich Pausen brauchte). Aber beide haben mich mitgenommen, mich viel fühlen und den Charakteren nahekommen lassen. Letztlich konnte ich nicht aufhören, ehe der Schlusssatz gelesen war. Es sind schmerzliche Bücher, die ehrlich wirken, Fragen aufwerfen und in Erinnerung bleiben. Wenn ich eines empfehlen müsste – und ich war überzeugt von „Ein wenig Leben“ -, dann würde ich mit „Jones“ beginnen, weil es alles hat, ohne dass es zu viel ist. Es ist locker und mitreißend, schwer und lustig zugleich. Es ist nicht überlang. Die Charaktere sind glaubwürdig. Es ist zeitweise derb, es tut weh, aber es hat auch feinfühlige Momente und das beste Ende, das möglich war.

Autofiktional 

Ich bin ohne Vorwissen an den Roman herangegangen und war am Schluss erschüttert darüber, dass die dunkle Seite des Buches nicht aus der Luft gegriffen ist. Zwischen dem letzten Satz und der Danksagung finden wir etwas, das uns verdeutlicht, wie viel Wahrheit in der Geschichte steckt. Ich habe anschließend zurückgeblättert, ganz nach vorn, um einen Blick auf die Widmung zu werfen, denn oft, das gebe ich zu, interessiert sie mich nicht. Aber hier ist sie wichtig.

Im Anschluss habe ich ein wenig recherchiert: Es ist tatsächlich ein autofiktionales Buch. Und weil der kanadische Schriftsteller und Übersetzer Neil Smith seinem Roman eine leichte Note geben wollte, musste er Personen und Ereignisse weggelassen und Humor einbauen. Dieses Wissen macht das Ganze noch schlimmer. Es ist ihm gelungen, eine unterhaltsame Geschichte zu schreiben, keine Frage. Aber die Hintergründe schockieren mich. Sehr.

Aufbau

Die Kapitel sind mit der jeweiligen Stadt, in der die Handlung spielt, überschrieben. Ich mochte das. Die Jones ziehen von einem amerikanischen Staat in den nächsten, obwohl Eli nur zurück nach Verdun will. Oder nach Manhattan. Die Tatsache, dass hier Wurzeln fehlen, sowohl in Bezug auf die Familie als auch den Wohnort, findet sich im Aufbau wieder.

Die Geschichte ist im Präsens geschrieben. Das unterstreicht für mich, wie wenig die Vergangenheit vergangen ist, wie schwer es ist, sie hinter sich zu lassen. Zudem passt die Unmittelbarkeit, da wir beispielsweise durch die Wortspielereien und Codes sowieso das Gefühl haben, den Geschwistern sehr nahezukommen.

Einen Ich-Erzähler gibt es nicht.

Der Autor hat ein paar Vorwegnahmen eingestreut, die quasi im übernächsten Satz thematisiert werden, was ich gelungen fand. Auf ein billiges Hinhalten wird verzichtet; das hat der Text nicht nötig.

Fazit

„Jones“ ist ein autofiktionales Buch, das zugleich hart und berührend, unterhaltsam und humorvoll ist. Ich mag, wie der Autor schreibt, inklusive Wortspielchen, und wie uns die Figuren und all das, was sie erleben, gezeigt werden. Ich möchte mehr von Neil Smith lesen.

Jones - Neil Smith

Jones – Neil Smith

Originaltitel: Jones (2022)

Übersetzung: Brigitte Walitzek

Verlag: Schöffling & Co.

Erschienen: 22.08.2024

Seiten: 304

ISBN: 978 3 89561 169 8

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