„Liebe und Sommer“ ist eine ruhige und subtile, sehr einfühlsam geschriebene Geschichte von William Trevor.
Inhalt
Florian Kilderry, Anfang 20, fällt auf in Rathmoye. Zunächst dadurch, dass er auf der Beerdigung der bekannten Mrs Connulty fotografiert und dort nach dem Weg zum abgebrannten Kino „Coliseum“ fragt. Später, weil er, stets im Tweedanzug auf dem Fahrrad unterwegs, ein Auge auf Ellie geworfen hat.
Ellie, als Findelkind bei den Nonnen in Cloonhill, einem Heim, aufgewachsen, kam als junges Mädchen zu Dillahan, einem Witwer und Farmer, der mit Schuldgefühlen zu kämpfen hat. Sie hat ein gutes Leben bei ihm, radelt regelmäßig die 7 km bis Rathmoye, um dort Eier auszuliefern. Man kennt sie hier – und deshalb bemerken die Einwohner, dass etwas vor sich geht zwischen Florian und ihr.
Zwei Menschen, die Unterschiedliches wollen
Zunächst passiert wenig, es herrscht Alltag in einer irischen Kleinstadt. Aber dann erregt einer Aufmerksamkeit. Und irgendwann brodelt die Gerüchteküche.
Einen Sommer haben sie, so viel steht von Anbeginn an fest für Florian Kilderry, der sein marodes 18-Zimmer-Elternhaus nahe Castledrummond verkaufen und nach Skandinavien auswandern will. Abgesehen davon hängt er noch immer an seiner Jugendliebe und Cousine Isabella.
Für Ellie, die sich an das Leben auf dem Bauernhof in Cnocrea an der Seite von Dillahan gewöhnt und nie die wahre Liebe erlebt hat, ist dieser Sommer etwas ganz Besonderes. Etwas, das sie nicht gehen lassen will. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Dankbarkeit für das, was ihr Ehemann ihr ermöglicht, und den neuen und aufregenden Gefühlen, die Florian in ihr auslöst.
Mit viel Feingefühl
Ich geb’s zu: Anfangs hatte ich ein Problem mit der Geschichte. Da waren zu viele Namen von Straßen, Geschäften, Marken und Menschen, ich hatte die Sorge, keinen Zugang zu den Figuren zu finden, sie nicht einmal unterscheiden zu können. Es war zu viel und gleichzeitig zu wenig. Doch das legte sich. Zum Glück. Denn der Autor hat ein großes Talent dafür, uns die Gefühlswelten der Charaktere zu beschreiben und uns ihre Verwirrung zu zeigen. Da schlägt mein Herz bekanntermaßen höher.
Wir lesen, wie Ellie im Cash & Carry auf Florian trifft, wie sie danach nicht aufhören kann, an ihn zu denken. Sie stellt fest, durch die Begegnungen mit ihm eine andere geworden zu sein – und das glauben wir sofort, wir sehen es. Wir spüren ihre Zerrissenheit und fühlen mit ihr.
Ich empfand Trevors Schreibstil als sensibel. Die Geschichte hat etwas wunderbar Zartes. Kleinigkeiten werden bemerkt, etwa in dieser Szene, die sich nicht einmal zwischen den Protagonisten abspielt und in der Bernadette ihrem Vorgesetzten ein Schreiben vorlegt:
"Als er danach griff, rutschte er auf seinem Stuhl leicht zur Seite, und einen Moment lang spürte Bernadette, wie der Rand seines Hosenumschlags ihre Wade streifte, aber sie wusste, dass es nur ein Versehen war."
eBook S. 86/237, 35,8 %
Es war keine Absicht, sie weiß das. Und wir wissen, dass sie sich wünscht, es wäre anders. So ein Roman ist das, so ein hauchfeiner. Entsprechend gibt es auch mehr Andeutungen einer Liebschaft zwischen den Hauptfiguren als detaillierte Beschreibungen ihrer Treffen.
Schmerzlich-schön
In dem 224 Seiten umfassenden Roman sind viele Ereignisse geschehen, bevor wir in die Geschichte, die in den späten 1950ern in Irland spielt, einsteigen. Im Fokus stehen die wenigen Wochen, die Ellie und Florian miteinander verbringen, doch es wird deutlich, dass die Vergangenheit dazugehört, dass sie dazu beiträgt, dass dieser Sommer in dieser Form möglich ist.
Es wird nichts verklärt, man sollte keinesfalls ein sorglos-märchenhaftes Ende erwarten. „Liebe und Sommer“ ist wie das echte Leben: Menschen sind komplex und ein jeder von ihnen hat eine Vorgeschichte, Verletzungen erlitten, die sein weiteres Handeln prägen und darüber mitentscheiden, ob eine Beziehung entsteht – eine kurze, eine stabile, eine, die endgültig erschien und doch von einem Moment auf den anderen zu einer zerbrechlichen wird.
Das Publikum
Ich hatte den Eindruck, dass sich die Figuren hier ganz genau angeschaut wurden. Sie sind nicht flugs aus dem Hut gezaubert worden. Alle sind ausgefeilt, interessant, haben eine Vergangenheit, Ängste und Sorgen, eine Art, Dinge zu tun. Das hat er drauf, der Autor, der jede Menge Verluste, Unausgesprochenes und Unterdrücktes eingebaut hat in „Liebe und Sommer“:
"Er hatte eine Art, zu Boden zu schauen, während sie weitergingen, als hätte er etwas verloren."
eBook S. 98/237, 40,7 %
Florian hat seine Jugendliebe verloren, seine Eltern, im Verlauf verliert er noch mehr. Ellie hatte nie eine Familie – und nur weil ihr Ehemann seine verloren hat, ist sie dort, wo sie ist. Auch die anderen haben Verluste erlitten:
Da ist Miss Connulty, die es nach dem Tod ihrer Mutter genießt, deren Schmuck zu tragen und das Sagen im Haus – und damit im B & B – zu haben. Sie hat eine tragische Liebesgeschichte hinter sich und sorgt sich um Ellie.
Ihr Bruder Joseph Paul, 50-jähriger Junggeselle, Geschäftsmann, Besitzer des örtlichen Pubs und Kohlenhändler, soll mit Florian sprechen, weigert sich jedoch, sich in Angelegenheiten einzumischen, von denen er keine Ahnung hat. Über seine Angestellte, die gerne mehr mit ihm zu tun hätte, lässt er Erkundigungen einholen, um seine Schwester zum Schweigen zu bringen.
Orpen Wren, ein Bibliothekar, der nicht ganz bei Sinnen zu sein scheint, sieht in Kilderry ein Mitglied der St. Johns, die vor Jahren verschwanden. Da er Unterlagen verwahrt, die er der Familie zurückgeben will, hält er die Augen offen, um den jungen Mann nicht zu verpassen.
Und so stehen sie unter Beobachtung, Ellie und Florian, die sich aus verschiedenen Gründen und mit unterschiedlichen Hoffnungen auf diese Liaison einlassen. Im Auge behalten von den Einwohnern Rathmoyes – und der Leserschaft, die genau wie Miss Connulty darauf brennt, zu erfahren, was da läuft und wie das Ganze ausgeht.
Fazit
„Liebe und Sommer“ ist eine so simple und ruhige Geschichte, wie der Titel vermuten lässt. Aber ich (mit meiner Schwäche für die geballte Ladung Gefühl) habe sie ins Herz geschlossen – für Trevors Einfühlungsvermögen, die Darstellung der Menschen und deren Emotionen, die Subtilität in den Zeilen.
Meine Leseliste ist um einige seiner Werke (hey: Er hat Kurzgeschichten geschrieben!) gewachsen. Ich freue mich drauf.
Liebe und Sommer – William Trevor
Originaltitel: Love and Summer (2009)
Übersetzung: Hans-Christian Oeser
Verlag: Hoffmann und Campe
Erschienen: 20.10.2014
Seiten: 224
ISBN: 978-3-455-81323-4
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