
„Unter Frauen“ ist ein starker psychologischer Roman von John McGahern über Macht, Bindung und den leisen Kampf um Selbstbestimmung.
Inhalt
In Great Meadow herrscht nur einer: „Daddy“ Michael Moran, ein gefürchteter Vater, ein geliebter. Moran, einstiger Offizier und IRA-Kämpfer, braucht stets die volle Aufmerksamkeit und Kontrolle seiner Familie, um zufrieden zu sein. Seine Kinder sind gezwungen, sich seinen Launen zu unterwerfen. Als er erneut heiratet, bringt Rose Wärme und Fürsorge ins Haus, doch auch sie muss sich fragen: Wie findet man einen Weg zwischen Loyalität und Abgrenzung?
Das Familienoberhaupt
"Am nahesten bin ich einem Menschen immer dann gekommen, wenn ich ihn im Visier hatte, und ich hab' nie mein Ziel verfehlt."
Unter Frauen, S. 18
Das Buch beginnt damit, dass wir die Wichtigkeit von „Monaghan Day“ verstehen. Einmal jährlich kam Jimmy McQuaid vorbei, im Krieg war er Morans Leutnant. Sie erinnerten sich an ihre Erfolge – und Michael zehrte lange von diesen Besuchen, denn ansonsten hat er es nicht so mit Menschen. Sein Drang, alles und jeden zu dominieren, war kein Problem, als er der angesehene Offizier und Pläneschmieder war. Doch der ist er nicht mehr. McQuaid hat sich zurückgezogen, ist inzwischen tot, ohne ihn wird dieser Tag nie wieder das sein, was er einmal war, und Moran ist ein alter Mann, der nach und nach Teile seiner Macht verliert.
Wir lesen im Rückblick, wie er seine Familie, die er als sein „größeres Selbst“ bezeichnet, drangsaliert. Hier fühlt er sich sicher, hat die Kontrolle, was McGahern durch den oft erwähnten Autositz, in dem Moran (im Wohnzimmer) sitzt, unterstreicht. Er thront über allen, ist der Lenker, immer. Doch es sind andere Zeiten angebrochen, auch wenn das noch nicht bis zum Oberhaupt von Great Meadow durchgedrungen ist.
Unter Frauen
Luke ist bereits weg, als Rose, Morans zweite Ehefrau, in die Familie kommt. Dank ihr blühen die Kinder auf. Doch auch sie gerät unter seine Fuchtel, nennt ihn „Daddy“, wird zu einer Vermittlerin. Man kann sich ihm nur unterordnen, wenn man mit ihm auskommen will.
Der Titel lässt sich verschiedentlich lesen. Im Krieg nur von Männern umgeben, ist der Protagonist schleichend nur noch von Frauen eingerahmt, nämlich seinen Töchtern Mona, Sheila und Maggie sowie seiner Rose. Sie halten ihm die Treue, rebellieren höchstens leise, anders als die Jungs. Es entsteht der Eindruck, dass er sie verachtet, doch gleichzeitig ist er, ob es ihm gefällt oder nicht, zunehmend von ihnen abhängig.
Darüber hinaus spielt das „Unter Frauen“ auch in seinen Gebeten eine Rolle:
Wiederholungen
Es fällt auf, dass es viele Wiederholungen gibt. Zunächst war es der „Monaghan Day“, die jährliche Selbstbeweihräucherung, die ihn hochhielt. Dann werden es die kleinen Rituale, an denen er sich festhält, etwa das tägliche Rosenkranzbeten. Und hier kommt erneut der Titel ins Spiel, denn im Ave Maria heißt es: „Du bist gebenedeit unter den Frauen“ bzw. „Gesegnet bist du unter den Frauen“. Er ist nicht zu vergleichen mit Maria, er will seine Macht ausspielen, herrschen und kontrollieren. Vielmehr ist er gesegnet durch die Frauen in seiner Familie, die ihm ihre Gnade erweisen. Was wäre er ohne sie anderes als ein gebrochener und einsamer Mann?
Durch den ruhigen Ton und die Gewohnheiten, von denen wir wiederholt lesen, könnte der Eindruck entstehen, dass nicht allzu viel passiert. Doch das ist nicht der Fall.
Ein intensives Leseerlebnis
„Unter Frauen“ ist ein feiner psychologischer Roman. Wir haben mit Michael Moran eine komplexe Figur, die streng und brutal daherkommt. Er handelt nach seinen Prinzipien. Doch er wird nicht nur als Bösewicht dargestellt, er ist auch verletzlich.
Seine Kinder fürchten und lieben ihn, seine Frau muss ebenfalls mit der Macht und Kontrolle, die er über die Familie ausübt, klarkommen. Die ambivalenten Empfindungen sind nachvollziehbar, man spürt die aufgeladene Atmosphäre. Ich mochte, dass immer wieder gezeigt wird, was die Frauen leisten. Sie unterwerfen sich ihm, halten aber auch alles am Laufen und in Schuss. Während er sich erstarrt an seine Vergangenheit und Rituale klammert, ist ihr Leben im Fluss.
Es geht um Traditionen in diesem Buch, um Erinnerung und Wandel: Moran verharrt in seiner Haltung, kann Vergangenes nicht ablegen, ist nie „ausgestiegen“ (aus dem von McGaherns oft erwähnten Autositz). Damals, im Krieg, war es entscheidend, alles zu überwachen und die Autorität zu behalten. Das Ziel war immer klar, er musste dafür sorgen, dass sie ankommen. Doch innerhalb seiner Familie schafft er es nicht, sich mit ihnen auf eine Ebene zu begeben und offen für neue Lebenswege zu sein. Er fühlt sich verunsichert, blockt ab, was nicht zu seinem Bild passt, verschließt die Augen vor der Realität.
"Man sagt, daß die Familie, die zusammen betet, auch zusammen bleibt", sagte Moran. "Ich glaube, daß Familien auch dann zusammenbleiben können, wenn sie verstreut leben, man muß nur wollen. Der Wille ist das Entscheidende."
Unter Frauen, S. 244
Er akzeptiert nichts, das er nicht will, sodass es zwangsläufig zu Konflikten kommt. Hier lesen wir auch über die unterschiedlichen Wege der Vergebung.
Aufbau/Stil
Der Roman beginnt am Ende. Durch Rückblenden erfahren wir, wie es an diesen Punkt gekommen ist. Kapitel gibt es keine.
McGahern zeigt mehr, als er sagt. Morans Verletzlichkeit wird beispielsweise nirgends beim Namen genannt, doch sie ist überall spürbar. Der Autor setzt Schweigen ebenso wirkungsvoll ein wie die Wiederholungen. Wir hören und sehen das Ungesagte.
Ich war bis zuletzt mit Spannung dabei, obwohl der Text ruhig und unaufgeregt daherkommt. Der nüchterne Ton passt zur Isolation und Stille. Es passiert hier so vieles, das nicht auf den Seiten steht. Das, was unausgesprochen bleibt, ist unsagbar laut.
Es ist eine leise, aber tiefgehende Geschichte, die für den Booker-Prize 1990 nominiert war.
Fazit
„Unter Frauen“ ist ein starker psychologischer Roman von John McGahern über Macht, Bindung und den leisen Kampf um Selbstbestimmung. Ruhig, aber fesselnd bis zum Schluss.
Zusammenfassung Unter Frauen von John McGahern
Dieses Buch ist für dich, wenn du
- einen psychologischen Roman schätzt, bei dem weniger im Außen passiert
- mit Ungesagtem und (gezielt eingesetzten) Wiederholungen klarkommst
- einen leisen Verlauf/Zerfall akzeptierst, keinen großen Knall brauchst

Unter Frauen – John McGahern
Originaltitel: Amongst Women (1990)
Übersetzung: Martin Hielscher
Verlag: Steidl
Seiten: 325
ISBN: 9783882436761
Das Buch ist nur noch gebraucht, aber sehr günstig erhältlich, z.B.:
Links mit einem Sternchen (*) sind Affiliate-Links. Wenn du einen Affiliate-Link anklickst und im Partner-Shop einkaufst, erhalte ich eine kleine Provision. Für dich entstehen keinerlei Mehrkosten.