Inhalt
In „Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ erzählt die Bestsellerautorin Lori Gottlieb aus ihrem Leben. Die Psychotherapeutin hat nicht nur Patient:innen, die sich mit Problemen herumschlagen und versuchen, sich selbst besser zu verstehen, nein, sie hat auch eigene Zweifel und Ängste sowie eine Trennung hinter sich, über die sie sprechen will – mit einem Therapeuten.
Eine Therapeutin macht eine Therapie
Dies ist ein mutiges Werk. Therapien sind mit Vorurteilen behaftet – und dass Lori Gottlieb das Themenfeld nicht nur von einer Seite beleuchtet, sondern beide erhellt, indem sie von ihrer eigenen Therapie berichtet, macht das Ganze besonders. Wie empfindet sie als Therapeutin die 50 Minuten mit ihren Patient:innen? Wie geht es der Psychotherapeutin damit, sich an einen (fremden) Kollegen zu wenden? In „Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ erfahren wir es.
Das Buch ist eine Mischung aus eigenen Erlebnissen, Ausschnitten aus Sitzungen mit Menschen, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen, und Erklärungen, die für Aha-Momente sorgen. Es ist ein Mix aus Autobiografie, Roman und Ratgeber. Mir hat das gefallen. Die Autorin schreibt locker, sie schmeißt nicht mit Fachbegriffen um sich – und wenn sie einen nutzt, erklärt sie ihn leicht verständlich. Ich mochte ihren Schreibstil, hatte allerdings ein Problem:
Wie sehr kann sich ein Buch ziehen?
Es war lang. Ehrlich, ich hatte das Gefühl, niemals am Ende anzukommen. Warum zog sich das dermaßen? Ich vermute, es lag daran, dass mich manche Kapitel mehr ansprachen als andere. Es gab welche, auf die ich problemlos hätte verzichten können, ohne dass mir die Botschaft des Buches abhandengekommen wäre. Vieles kam mir zu ausführlich und langgezogen vor. Meiner Meinung nach hätte man hier deutlich kürzen müssen. Ich hatte Schwierigkeiten, jedes Wort zu lesen, weil ich ständig in Versuchung war, die Seiten zu überfliegen. Das Tempo ist niedrig. Sämtliche Personen verändern sich, aber es sind Entwicklungen, die sich einschleichen. Mir haben ein paar stärkere Ausschläge gefehlt, eine größere Abweichung vom gemächlichen Fortgang. Ich empfand den Roman als zu gleichförmig und weitschweifig.
Interessant
Da das sehr negativ klingt, möchte ich betonen: Ich fand „Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ interessant. Es enthält massig kluge Gedanken. Manche Informationen überraschten mich, beispielsweise hatte ich keine Ahnung, wie viele Menschen sie nicht behandeln darf oder dass in einer Therapie schon mal getreten wird (was wirklich lustig rüberkommt). Die Autorin zeigt, wie wenig jede:r von uns das Leben kontrollieren kann. Es geht darum, dass wir uns alle mal im Weg stehen – und das ist okay. Sie normalisiert das. Durch ihre persönlichen Einblicke hat man nicht das Gefühl, dass sie als Autoritätsperson o.ä. auftritt. Sie gibt Ängste und Zweifel zu, zeigt sich so verletzlich, wie ihre Patient:innen das tun müssen, wenn sie weiterkommen wollen. Ich fand das beeindruckend.
Berührend
Das Buch ist interessant, witzig und traurig. Lori Gottlieb kann Tränen in meine Augen schreiben. Johns Entwicklung kriegte mich, Julies Geschichte bescherte mir mehrere Anfälle von Gänsehaut, und als Rita ihren Brief vorlas, berührten mich ihre Worte. Wenn ich mich nicht ständig gefragt hätte, ob man das nicht hätte straffen können, wäre meine Bewertung besser ausgefallen. Denn das Buch hat etwas mit mir gemacht.
Fazit
„Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ ist ein ehrliches und mutiges Buch, das zeigt, wie wichtig es ist, sich auszutauschen. Leider war es mir zu ausführlich. Manchmal musste ich mich überwinden, weiterzulesen, obwohl es bedeutsam und berührend ist. Insgesamt: Lesenswert, aber zu lang.
3/5!
Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden: Taschenbuch
528 Seiten / ISBN: 978-3-446-26604-9 / Übersetzung: Elisabeth Liebl