„Weg in die Wildnis“ von Larry McMurtry ist eines der unterhaltsamsten Bücher überhaupt – und gehört ab sofort zu meinen Favoriten!
Inhalt
Die ehemaligen Texas-Ranger Augustus McCrae und sein Partner, Captain Woodrow F. Call, die den Frieden an der Grenze sicherten, 20 Jahre lang gegen die Komantschen, Kiowa und Banditen kämpften, betreiben seit einem Jahrzehnt einen Mietstall in dem Örtchen Lonesome Dove. Sie handeln mit Pferden und Rindern. Während Gus das Leben locker angeht, seine Energie lieber in Streitereien und Denk- als anstrengende Arbeit steckt, ist Call arbeitsam und immer auf der Suche nach unerledigten Aufgaben. Seine neue Idee: Er will nach Montana, wo das letzte unbesiedelte Gebiet liegen soll. Als Rancher könnten sie ihr Vieh weiden und sich niederlassen. Augustus ist nicht angetan, aber da sie auf dem Weg Ogallala, Nebraska, erreichen und er dort nach 16 Jahren seine große Liebe Clara wiederzutreffen hofft, stimmt er zu – und auch die anderen Arbeiter sind dabei. 2.600 Rinder, über 3.000 Meilen, etliche Gefahren – und nicht alle werden die Reise überleben.
Die Figuren
Warum sollte man sich auf wenige Figuren beschränken? Vor allem, wenn man ab und an welche sterben lässt? Larry McMurtry hat in „Weg in die Wildnis“ vorsorglich eine ganze Menge Charaktere erschaffen und eingeführt – und überraschenderweise funktioniert das ohne Probleme.
Zunächst lernen wir den unerschrockenen Augustus McCrae kennen, der es gerne ruhig angeht. Er backt Brötchen, vertreibt sich seine Zeit mit Streitereien, Kartenspielen, Whisky und dem Gunstgewerbe.
Ich mochte ihn. Er bringt Stimmung in die Geschichte, seine humorvolle Art hätte nicht fehlen dürfen. Gus ist jemand, der in Erinnerung bleibt.
"Darüber reden ist der einzige Weg, es aus der Welt zu schaffen. Alles wird langweilig, wenn man lange genug darüber redet, sogar der Tod."
S. 271
Sein Partner Woodrow F. Call findet immer etwas, das noch getan werden muss, arbeitet ohne Ende. Er hüllt sich gern in Schweigen und hält sich abseits. Bären, Kälte, Indianer? Komantschen, die als Mörder und Kindesentführer bekannt sind? Ganz egal, er will nach Montana.
Ich stand Call neutral gegenüber, fand ihn weder sympathisch noch das Gegenteil (wobei es schon ein starkes Stück ist, dass er den Schweinerekord nicht würdigt, da bin ich ganz bei Gus!). Es ist gut, dass es einen Gegenpart zu dem lässigen Augustus gibt – und diesen erfüllt er überzeugend. Seine eingesperrten Gefühle und deren zeitweises Aufblitzen bis hin zum Überkochen fand ich glaubhaft dargestellt.
Jake Spoon war jahrelang fort – und bringt schließlich Montana ins Gespräch. Er neigt dazu, sich Ärger einzuhandeln, und gerät auch im Verlauf immer wieder in Schwierigkeiten. Mehr als eine Szene mit ihm hat mich aus der Fassung gebracht.
Mit Pea Eye, der hilflos aussieht, aber etwas auf dem Kasten hat, habe ich zunächst nicht viel verbunden. Mit Newt Dobbs, dem 17-Jährigen, dessen Mutter verstorben und Vater unbekannt ist, konnte ich mehr anfangen. Seine Art hat mir gefallen, er bringt Emotionen in diese Geschichte.
Auch der Koch und Ex-Bandit Bolivar tritt die Reise an, ebenso Joshua Deets, den ich zunehmend mochte, und Dish Boggert, der, wie so viele andere, schwer in die 24-jährige Lorena Woods verliebt ist.
Es gibt weitere Figuren, die auf den Trail gehen oder später dazukommen, aber ich belasse es dabei (okay, na gut, ich werfe noch ein, dass Louisa, Janey und Clara interessante und mutige Frauen sind – als Kontrast zu den Bezeichnungen, die gleich folgen).
Eine dicke Schwarte, die viel zu dünn ist
Ich bin kein Western-Fan. Ich schaue solche Filme nicht, lese keine Bücher dieses Genres. Der Roman spielt in den 1870er Jahren, es geht um Cowboys, entsprechend gibt es jede Menge Gewalt und Blut. Das N-Wort fällt. Frauen werden als „Aktivposten“ und „Schreckschrauben“ bezeichnet. Alles nicht meins. „Weg in die Wildnis“ hätte mich nicht reizen – und schon gar nicht begeistern dürfen. Hat es aber. Und zwar so was von. Warum?
Meine Ausgabe hat 735 Seiten bei sehr kleiner Schrift, aufgeteilt auf drei Teile. Ich gebe zu, dass mich Wälzer manchmal abschrecken. Warum ist das Buch so dick? Gibt es Abschweifungen und Langeweile? Hier ist jede Befürchtung unbegründet: Der Autor ist ein wunderbarer Erzähler. Die Sprache ist einfach – und alles (ich meine es ernst: alles!) ist unterhaltsam ohne Ende. Ich habe seitenlang über das Firmenschild der Hat Creek Cattle Company gelesen – und es war das Größte. Klingt komisch, wird aber verständlich, wenn man es erlebt (= lest dieses Buch!).
[...] "Wir vermieten keine Schweine" [...]
S. 81
McMurtrys Perspektivwechsel – die Geschichte wird durch einen allwissenden Erzähler in der dritten Person erzählt – sind derart fließend, dass man sie gar nicht wahrnimmt. Es gibt mehrere Stränge, die an nicht absehbaren Stellen zusammenlaufen. Die Dialoge machen Spaß.
Die Story ist spannend, zeitweise richtig spannend, so spannend, dass ich jede Sekunde zum Lesen genutzt habe, selbst wenn ich wusste, es werden wenige sein. Sie ist erbarmungslos, traurig, amüsant und herzzerreißend. Es geht um Liebe, Freundschaft, Loyalität, um Verlust und so vieles mehr.
Und die Unberechenbarkeit des Autors! Ich dachte ständig: ‚Er wird doch nicht…‘ – und dann hat er es doch getan. Ich konnte nie sicher sein, was passiert, weil Larry McMurtry keine Probleme damit hat, seinen Figuren Leid zuzufügen, egal, ob er sie vorher so beschrieben hat, dass ich sie ins Herz geschlossen habe oder nicht.
Am Ende kam kein „endlich durch“-Gefühl auf, im Gegenteil: Ich wollte trotz des Umfangs mehr Seiten. Viel mehr. So ein Buch ist das – und übrigens eins, das den Pulitzer-Preis gewonnen hat, was mich nicht überrascht.
Reihenfolge
Es sind vier Teile erschienen:
- Lonesome Dove (1985)
- Streets of Laredo (1993)
- Dead Man's Walk (1995)
- Comanche Moon (1997)
Davon sind zwei übersetzt, nämlich
- Weg in die Wildnis
- Abschied von Laredo
Beide sind nur noch gebraucht erhältlich. Ich habe mir nach wenigen Seiten Band 2 gesichert und bekomme ihn zu Weihnachten (Vorfreude olé).
Die nicht übersetzten Teile kamen zwar später raus, spielen aber vor Band 1 und 2, so dass ich es verkraften kann, dass sie nicht auf Deutsch verfügbar sind.
Verfilmung
Der Roman wurde unter hochkarätiger Besetzung (Robert Duvall, Tommy Lee Jones) verfilmt.
Ich habe bei Amazon das DVD-Doppelpack von „Weg in die Wildnis“ auf meine Wunschliste gesetzt. Ich bin nicht sicher, ob der Film für mich funktioniert, da ich bedeutend besser über Gewalt lesen als das Blut vor mir sehen kann – und es fließt reichlich. Andererseits: 6 Stunden mit Augustus McCrae und den anderen: Ich kann es kaum erwarten.
Fazit
Großartig, einfach groß-ar-tig! Ich werde mich nie auf ein Lieblingsbuch festlegen, aber dieses wird mir (unter anderem) in den Sinn kommen, wenn ich danach gefragt werde, ich weiß es genau.
Weg in die Wildnis – Larry McMurtry
Originaltitel: Lonesome Dove (1985)
Übersetzung: Götz Pommer, Fred Schmitz
Verlag: Goldmann
Erschienen: 12/91
Seiten: 735
ISBN: 3-442-41343-5
Links mit einem Sternchen (*) sind Affiliate-Links. Wenn du einen Affiliate-Link anklickst und im Partner-Shop einkaufst, erhalte ich eine kleine Provision. Für dich entstehen keinerlei Mehrkosten.
Eine Antwort