Die Erinnerungsfotografen – Sanaka Hiiragi

Die Erinnerungsfotografen

„Die Erinnerungsfotografen“ von Sanaka Hiiragi ist eine originelle Geschichte, die allerhand Schmerz, Hoffnung und Botschaften zu bieten hat.

3/5

Werbung, da Rezensionsexemplar

Inhalt

Hirasaka arbeitet in einem Fotoatelier zwischen den Welten, zwischen Leben und Tod. Wenn Menschen sterben, legen sie in diesem Grenzbereich einen Zwischenstopp ein. Hirasaka erwartet sie mit einer Vielzahl von Fotos, denn seine Aufgabe ist es, den Verstorbenen eine Drehlaterne zu basteln, mit der sie ihr Leben Revue passieren lassen. Um ihnen einen würdevollen Abschied mit all ihren liebgewonnenen Erinnerungen zu ermöglichen, reist er mit einigen sogar zurück in die Vergangenheit, um verblasste Fotos zu erneuern und sie der Laterne zuzufügen.

Fast alle Menschen haben für jeden Tag ihres Lebens ein Foto vorliegen. Aus diesen Stapeln dürfen sie sich eins pro Lebensjahr aussuchen. Hirasaka ist eine Ausnahme: Er hat nur ein einziges Bild von sich – und keinerlei Erinnerung an seine Lebensgeschichte. Wird jemals jemand in sein Atelier kommen, der ihn kannte?

In der Zwischenwelt

Die Story ist nicht von dieser Welt, sie spielt in einem Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Hauptschauplatz ist ein Fotoatelier. Von denen gibt es laut Aussage des Paketboten mehrere. Unser Protagonist Hirasaka weiß das nicht, denn er darf das Gebäude nicht verlassen – außer er hat einen Besucher da, der ein verblasstes Foto erneuern möchte. Dann hat er die Möglichkeit, von Sonnenaufgang bis zum nächsten Morgengrauen mit der Person in die Vergangenheit zu reisen. Sowohl er als auch seine Begleitung sind für die Menschen während des Ausflugs unsichtbar.

Ich mochte die Idee der Geschichte. Die Vorstellung, dass da jemand ist, der versucht, den Verstorbenen den Abschied zu erleichtern und ihnen ihre schönsten Momente vor Augen führt, ist eine schöne, eine beruhigende. Gleichzeitig habe ich größten Respekt vor Hirasaka – ich möchte seinen Job nicht übernehmen.

Drei gegensätzliche Leben

Wir treffen innerhalb der Geschichte auf drei Verstorbene:

Hatsue Yagi ist 92 Jahre alt. Sie war Kindererzieherin aus Leidenschaft, hat ihre Schützlinge stets an erste Stelle gesetzt.

Shohei Waniguchi ist ein vorbestrafter 47-Jähriger, der auf ungewöhnliche Weise starb.

Mitsuru ist ein kleines Mädchen, das größten Qualen ausgesetzt ist.

Die Figuren sind völlig verschieden, nicht nur, was ihr Alter betrifft. Mir war die Auswahl zu extrem:

Hatsue wird besonders gut dargestellt, Waniguchi besonders ungehobelt und aggressiv. Das Schicksal des Mädchens ist besonders hart und herzzerreißend. Ein bisschen mehr Durchschnitt hätte nicht geschadet. Natürlich ist die Mischung aus Hatsue, die sich zu viel bieten lässt, Waniguchi, der zu schnell aus der Haut fährt, und Mitsuru, die sich aus einer ausweglosen Lage befreit, eine effektive. Dennoch denke ich, dass „Die Erinnerungsfotografen“ mehr zu mir gesprochen und ich einen besseren Draht zu den Charakteren bekommen hätte, wenn von allem ein bisschen weniger eingesetzt worden wäre.

Überraschender Verlauf

Hirasaka fehlen die Erinnerungen an sein Leben, er hofft darauf, jemanden zu treffen, der Licht ins Dunkel bringt. Vor diesem Hintergrund hatte ich eine Ahnung, wie der Ablauf in „Die Erinnerungsfotografen“ aussehen könnte. Nichts davon traf ein. Das ist nicht negativ, ich fand die Richtung interessant, für die sich die Autorin entschieden hat. Sie hat kein Problem damit, ihren Charakteren Leid zuzufügen. Ich glaube, sie will zeigen: So ist das Leben, so und nicht anders, mit all den Problemen und Ungerechtigkeiten. Nichtsdestotrotz sind Lichtblicke zu finden. Nicht alles ist, wie es scheint, auch Waniguchi beweist, dass er ein Herz hat – auf seine Weise. Den alltäglichen Momenten wird ein großer Stellenwert eingeräumt. Und am Ende gibt es Hoffnung.
Jeder Mensch findet schöne Augenblicke in seinem Leben, wenn er danach sucht. Wir dürfen darauf vertrauen, dass es sie gibt, dass wir Gutes getan und hinterlassen haben, auch wenn wir diese Situationen selbst nicht benennen können. Nicht nur große Taten zählen, manchmal reichen kleine Dinge.

Gewisse Momente im Leben eignen sich dazu, anderen etwas zu geben. Das können auch wohlüberlegte Worte sein.

Ich habe das Buch mit einem positiven Gefühl beendet, obwohl es einiges an Schmerz zu bieten hat.

Was mir besonders gefallen hat, ist die Tatsache, dass alles verbunden wird. Es sind drei einzelne Geschichten, aber am Ende hängen sie zusammen.

Aufbau/Schreibstil

Wir verfolgen die Geschehnisse aus Sicht von Hirasaka und seinen Besucher:innen. Ich hätte nichts dagegen gehabt, mehr aus Hirasakas Perspektive zu lesen.

Die Autorin schreibt eher schlicht. In einer Szene mit Nezumi habe ich viel gespürt, ebenso am Ende. Ansonsten fehlten mir manchmal die Emotionen. Ich hätte gerne mehr mitgefühlt.

Bei dem zweiten Besucher setzt Sanaka Hiiragi einige Kraftausdrücke ein, um seine derbe Art zu unterstreichen. In seinem Kapitel gibt es auch alberne Worte wie „ameisenfurzegal“. Mir hat der übrige Schreibstil besser gefallen, grundsätzlich finde ich es aber gut, dass sie für die Charaktere unterschiedliche Sprechweisen gefunden hat.

„Die Erinnerungsfotografen“ vermittelt viele Botschaften, ohne sie auszusprechen. Ich habe Lust gekriegt, Dinge zu unternehmen, die ich später als Erinnerung auf einem Foto sehen wollen würde. Gleichzeitig wird herausgestellt, dass gerade das Alltägliche oft schöne Seiten bietet, die wir bloß häufig vergessen.

Das Buch bringt zum Nachdenken. Am meisten habe ich über Hirasaka nachgesinnt, über das, was sein Schicksal bedeutet. Ich kann mir vorstellen, dass einige Leser:innen wenig begeistert darüber sein werden, dass hier Fragen offenbleiben.

Fazit

„Die Erinnerungsfotografen“ ist eine kurze, aber vielsagende Geschichte mit origineller Idee, von der ich mir mehr Emotionen und Verbindung zu den Figuren gewünscht hätte.

Die Erinnerungsfotografen

Die Erinnerungsfotografen – Sanaka Hiiragi

Originaltitel: Jinsei shashinkan no kiseki (2019)

Übersetzung: Sabine Mangold, Yukiko Luginbühl

Verlag: Hoffmann und Campe

Erschienen: 02.08.2023

Seiten: 176

ISBN: 978-3-455-01616-1

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Deine Meinung

6 Antworten

  1. Das klingt interessant.
    Schöner wäre wahrscheinlich Leben oder Erinnerungen aus dem Leben alltäglicher Personen gewesen, als so 3 Extreme unterschiedliche. Aber die Idee ist sehr schön.

    1. Ja, die Idee fand ich spannend, aber die Extreme haben mich gestört. Bisher sind die Stimmen allerdings positiv – Geschmäcker sind verschieden. :)

      Liebe Grüße

  2. Das Cover habe ich schon mehrfach gesehen. Ich habe mit einer schönen Geschichte gerechnet und nicht mit Schmerzen. Die Idee finde ich spannend, aber ich bin jetzt doch nicht mehr so sicher, ob es ein Buch für mich ist.

    Danke dir für die ausführliche Rezension, liebe Jessica!

    1. Liebe Marie,

      die Geschichte enthält einige schöne Momente, aber es ist auch eine, die stellenweise sehr hart ist. Vor allem was das kleine Mädchen Mitsuru betrifft.

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