„Die Ladenhüterin“ ist ein unaufgeregter Roman über das Anderssein.
Inhalt
Keiko Furukura hatte schon in der Grundschule Probleme damit, mitfühlend zu reagieren. Um nicht länger unangenehm aufzufallen, verstummt sie größtenteils. Als Studentin fängt sie als Ladenhilfe in einem Konbini (das ist ein 24/7 geöffneter Convenience Store) an – und blüht in ihrer Rolle als Angestellte auf. Sie passt sich der Belegschaft an, kauft ähnliche Kleidung, übernimmt ihre Art zu sprechen. Doch je älter sie wird, desto häufiger und drängender werden die Fragen nach der Liebe, nach Nachwuchs oder einem „richtigen“ Beruf. Keiko gerät unter Druck – und nimmt, um nicht länger herauszustechen, einen fragwürdigen Mann bei sich auf.
Über die Kunst, „normal“ zu sein
Wenn wir etwas anders machen, als die Mehrheit, dann fallen wir auf. Das merkt auch Keiko, die schon als Kind gelernt hat, dass sie nicht dazugehört. Mit ihrem Job im Smilemart am Bahnhof Hiiro-chōimseit fängt ihr zweites Leben an. Ihr Umfeld ist zufrieden, doch nun, mit 36, ist eine Veränderung überfällig: Sie muss sich eine bessere Anstellung suchen oder heiraten. Wieder beginnt die Zeit, in der sie kritisch beäugt wird.
Wie viel Anpassung ist normal? Was bedeutet es, „normal“ zu sein? Wann funktioniert ein Mensch? Genau darum geht es in „Die Ladenhüterin“.
Keiko beschreitet die seltsamsten Wege, um nicht aufzufallen. Sie schreckt nicht einmal davor zurück, einen faulen und verwahrlosten Mann bei sich aufzunehmen und ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester davon zu erzählen. Die baut das Ganze direkt in ihre Wunschrichtung aus – und das ist etwas, das der Protagonistin immer wieder auffällt: Schmeiß den anderen ein Stichwort zu, eine Geschichte erfinden sie selbst. Und so kehrt erst einmal Ruhe ein: Endlich wird Keiko normal, schließlich gibt es einen Mann in ihrem Leben. Dass ihr dieser bisher überhaupt nicht fehlte, spielt keine Rolle. Und dass sie durch ihn maximal den Vorteil hat, nicht länger diese auffällige Lücke zu präsentieren, interessiert auch niemanden. Es ist erschreckend.
„Mein erster Tag im Konbini war mein Geburtstag als normales Mitglied der Gesellschaft.“ S. 21/145, 12%
Die Geschichte liest sich recht wiederholend, was passend erscheint: Der Alltag, die immer gleichen Abläufe, werden betont. Keiko hat außerhalb des Konbinis keine Ziele und Wünsche (außer nicht aufzufallen), sie geht in ihrer Rolle als Angestellte auf, denkt auch nach Feierabend an ihre Arbeit und Pflichten. Work-Life-Balance? Bitte nicht!
Das Buch spielt in Japan und stellt die Anforderung, am Arbeitsplatz zu funktionieren, (überspitzt?) dar. Leistung erbringen, sozial nicht auffallen, das sind die Dinge, die bei dieser Gesellschaftskritik im Vordergrund stehen. Wie steht man dort zur Individualität der Menschen? Und wie sieht es mit dem Thema Gefühle aus? Um die geht es hier eindeutig nicht – außer in bestimmten Situationen, in denen das Fehlen, das Keiko an den Tag legt, zum Problem wird. Vieles kommt einem absurd vor, auch im Hinblick auf die Hauptfigur, aber sind wir ehrlich: Insbesondere die gesellschaftlichen Erwartungen und das aufdringliche Verhalten laden zum Kopfschütteln ein. Die Mittdreißigerin ist bereit, sich anzupassen – in jeder Hinsicht. Sie nimmt sogar einen unangenehmen Typen bei sich auf in der Hoffnung, damit weiteren Fragen zu entgehen. Sie tut es, obwohl sie schon früh einen wichtigen Punkt erkennt:
"Wie lästig, warum brauchten die anderen zu ihrer eigenen Beruhigung ständig Erklärungen?"
S. 39/145, 23%
Ja, warum? Wieso darf sie nicht allein leben? Weshalb muss ein Mann her?
Es sind die anderen, die nicht bereit sind, ihre Ansichten zu überdenken und Keiko einfach zu lassen, wie sie ist.
Aufbau/Stil
Keiko erzählt die Geschichte in der Ich-Form. Der Autorin ist es gelungen, die Protagonistin auffällig und anders darzustellen, andererseits hat sie Momente geschaffen, in denen man sich fragt, wer hier überhaupt „normal“ ist und wer nicht.
Der Schreibstil ist nüchtern, was absolut passt. Ja, ich mag die volle Portion Gefühl, aber die hätte hier falsch gewirkt. Ich akzeptiere das.
Auch der doppeldeutige Titel ist gut gewählt.
Mit der Charakterentwicklung ist es in „Die Ladenhüterin“ nicht weit her, was letztlich ebenfalls zum Inhalt passt.
Die (satirische) Geschichte ist eher monoton, weder gibt es viel Handlung noch ein wortreiches Ende, aber das kurze Buch hat dennoch einiges zu sagen.
Fazit
„Die Ladenhüterin“ ist ein interessanter Roman über das Anderssein, mit dessen Eintönigkeit sicher nicht alle etwas anfangen können. Ich mochte ihn. Irgendwie.
Die Ladenhüterin – Sayaka Murata
Originaltitel: Konbini Ningen (2016)
Übersetzung: Ursula Gräfe
Verlag: Aufbau
Erschienen: 13.09.2019
Seiten: 145
ISBN: 978-3-7466-3606-1
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2 Antworten
Ich habe mir das Buch nun auch zugelegt. Ich finde, es hört sich sehr interessant an. Japanische Literatur besitzt stets etwas sehr Forderndes für mich, da das symbolische Spektrum viel strikter und geschlossener ist und bleibt. Vielleicht unterwandert Muratas Diktion ja Mauern, derer wir gar nicht gewärtig sind? Oder sein können? Ich begebe mich demnächst auch mal auf die Reise :) Schöne Besprechung. Danke!!
Oh, da bin ich gespannt. Ich glaube, „Die Frau in den Dünen“ ist eher etwas für dich, aber ich lasse mich überraschen. :)
Ich lese übrigens als Nächstes „Drifter“. :)