Traum im Polarnebel – Juri Rytcheu

Traum im Polarnebel - Juri Rytcheu

„Traum im Polarnebel“ von Juri Rytcheu ist ein leises Abenteuer mit viel Charakterentwicklung, das tiefe Einblicke in das Leben der Tschuktschen gibt.

4/5

Inhalt

Bei dem Versuch, das Eis an der Bordwand zu sprengen, um nicht im Kap Enmyn überwintern zu müssen, wird John MacLennan an beiden Händen verletzt. Die Küste ist bewohnt, sodass sich der Kapitän Hugh Grover hilfesuchend an die Tschuktschen wendet. Widerstrebend stimmen sie zu, John ins Krankenhaus nach Anadyr zu bringen – eine Fahrt mit den Hundeschlitten, die einen Monat dauern wird.
Es kommt anders als gedacht, sie kehren früher um – und doch nicht rechtzeitig: Obwohl Hugh seinem Freund zugesichert hat, auf ihn zu warten, ist das Schiff fort – und John muss sich damit abfinden, bei „den Wilden“ zu bleiben.

Zwei Kulturen prallen aufeinander

John ist Kanadier, er kommt aus Port Hope am Ontariosee. Dies ist seine erste Arktisreise. Er hat viele Vorurteile gegen die Eismeerküstenbewohner.

Während es Orwo, Toko und Armol in Kauf nehmen, über einen Monat mit den Hundeschlitten unterwegs zu sein, um Johns Leben zu retten, haben sie vor allem eines im Sinn: Die Belohnung. Denn Kapitän Hugh hat ihnen Winchester-Gewehre versprochen.

John, der um sein Leben bangt, ist wenig begeistert:

"Werden sie mir auch nichts tun?", erkundigte sich John.

"Wer?" fragte Hugh, der die Frage nicht verstanden hatte.

"Na, diese Wilden, die Tschuktschen", antwortete John. "Ich finde sie wenig vertrauenerweckend. Ein unsympathisches Völkchen. Dreckig und unwissend."

Zwei Welten prallen aufeinander: die der „Wilden“ und die der „Gebildeten“. Juri Rytcheu hat die Angst vor dem Fremden, das misstrauische Beäugen glaubwürdig eingefangen.

Langsame Veränderungen

Nach ihrer Rückkehr ist das Schiff weg; John hängt fest. Er ist ein Weißer, der in einer völlig fremden Umgebung gelandet ist. Doch nicht nur das: Durch den Unfall hat er Verluste erlitten und muss lernen, damit klarzukommen. In einer Welt, in der alle auf die Arbeit ihrer Hände angewiesen sind, ist er gezwungen, Wege zu finden, um mithalten zu können. Er steht zweifellos vor der Herausforderung seines Lebens.

Ich habe Johns Weg so gerne verfolgt. Die langsame Annäherung auf beiden Seiten, weg von den Vorurteilen, hin zur Annahme des anderen, der genauso Mensch ist wie man selbst.

"Mensch bleibt immer Mensch, so fremd dem einen auch die Bräuche und Gewohnheiten des anderen und sein Äußeres sein mögen. Schau nicht auf das Äußere, sondern tief in seine Augen, und suche sein Herz zu ergründen - dort liegt das Wesen."

John lernt eine Menge von den Bewohnern Enmyns – und auch sie schauen sich Dinge ab. Vor Antritt seiner Reise hatte der Protagonist die Hoffnung, durch Goldwaschen in der Tundra als wohlhabender Mann in seine Heimat zurückzukehren. Die Rückreise ist fraglich, doch fest steht: Reich wird er. Nicht materiell, absolut nicht. Aber in jeder anderen Hinsicht.

Zum Abtauchen

Es gibt Bücher, bei denen ist man nur, während man liest. In den Lesepausen des Alltags geraten sie in Vergessenheit. „Traum im Polarnebel“ gehört für mich nicht dazu. Ich war völlig drin in dieser Geschichte und habe ständig an sie gedacht. Was erwartet die Figuren als Nächstes? Wird John nach Port Hope zurückkehren? Er hat seine Eltern und seine Freundin Jeannie zurückgelassen. Was ist, wenn er eine Wahl bekommt? Wenn ein Schiff der Weißen Enmyn ansteuert? Wird er gehen – oder für immer bleiben?
Juri Rytcheu, seine Mutter war Eskimo, sein Vater Tschuktsche, hat mich hineingezogen in seine Welt. Ich war fasziniert von der gnadenlosen Natur der Arktis. Kälte und Hunger ziehen sich durch die Zeilen – aber auch menschliche Wärme.

Aufbau

30 Kapitel auf 384 Seiten umfasst „Traum im Polarnebel“.

Die Geschichte, sie spielt zwischen 1910 und 1917, wird durch einen allwissenden Erzähler erzählt.

Die lebensfeindliche Umgebung und das harte Leben werden vorstellbar beschrieben, die Charaktere sind glaubhaft.

Es gibt einige – für mich – schwer erträgliche Szenen, die aber nichts als das Überleben in dieser Gegend mit Hilfe von Gewehr, Spieß und Bogen wiedergeben und somit dazugehören. Dennoch eine kleine Warnung an dieser Stelle.

Fazit

Ich habe den Roman gelesen, weil der örtliche Buchhändler ihn in einem TV-Beitrag empfohlen hat (ich kann ihn leider nicht verlinken, da er kürzlich aus der Mediathek verschwunden ist). Wenn ich mich richtig erinnere, hat er „Traum im Polarnebel“ als sein Lieblingsbuch bezeichnet. Ich kann das verstehen. Es ist ein sehr eindrückliches Werk, das ich gespannt verfolgt habe. Ruhig, aber interessant und spannend. Ein leises Abenteuer mit viel Charakterentwicklung. Ich werde mir andere Bücher des Autors ansehen.

Traum im Polarnebel - Juri Rytcheu

Traum im Polarnebel – Juri Rytcheu

Originaltitel: Son v nacale tumana (1968)

Übersetzung: Arno Specht

Verlag: Unionsverlag

Seiten: 384

ISBN: 978-3-293-20351-8

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Deine Meinung

Eine Antwort

  1. Das klingt gut. Das setz ich mir mal auf die Wunschliste.
    Es erinnert ein bisschen an die Serie Terror, wobei sie als Mystery-Serie betitelt wird, aber eher ein Abenteuer mit Menschen, die zu tollkühn waren und im Eis mit ihrem Schiff eingefroren werden. Und der menschlichen Natur. Es kommt zwar auch ein Ungetüm vor, dass Angst und Schrecken verbreitet, aber die menschliche Natur eigentlich nur noch stärker hervorhebt.

    Das Buch klingt auf jeden Fall gut.

    Schöne Ostern.

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