Wo die Wölfe sind – Charlotte McConaghy

Werbung, da Rezensionsexemplar

Inhalt

Bereits als Kind gehörte Inti Flynn in den Wald, hat gelernt, Fährten zu lesen. Heute leitet sie das Cairngorms Wolf Project.
Das Team will dem Klimawandel in „Wo die Wölfe sind“ durch Renaturierung begegnen. 14 Grauwölfe, ausgestattet mit Peilsendern, haben die Biologen in drei Akklimatisierungsgehegen untergebracht. Gegen Ende des Winters sollen die Tiere in die Highlands entlassen werden. Wird es gelingen, in Schottland ein Wolfsrudel anzusiedeln? Die Landwirte fürchten um ihr Vieh, die Menschen um sich und ihre Angehörigen – zu Recht?

Die Wolfsfrau

Schon immer von Wölfen fasziniert, leitet Inti Flynn das Experiment, in den Highlands ein neues Rudel anzusiedeln. Mit der Wolfsfrau hat die Autorin eine interessante Protagonistin geschaffen. Sie wirkt distanziert, ist im Grunde aber das ganze Gegenteil, denn sie ist Mirror-Touch-Synästhetikerin. Das Syndrom bewirkt, dass sie die sinnlichen Eindrücke anderer Lebewesen spürt. Sie fühlt, was Menschen oder Tiere, die sie sieht, empfinden. Sie ist in dem Moment dieses Geschöpf, erleidet den Schmerz des anderen. Ich war fasziniert davon, gleichzeitig hat es mich betroffen gemacht. Ich habe nie zuvor über das Thema gelesen. Charlotte McConaghy hat eine herausragende Hauptfigur erschaffen, nicht nur wegen der Mirror-Touch-Synästhesie. Inti verbirgt etwas. Sie hat Probleme, zu vertrauen, ist wild entschlossen, die, die sie liebt, zu beschützen – ob Mensch oder Tier.

Die übrigen Figuren

Duncan MacTavish spielt eine große Rolle in diesem Roman – und das macht er gut. Es werden Zweifel gesät, es bleibt lange rätselhaft, inwieweit man ihm trauen kann.

Auch das Mysterium um Intis Schwester Aggie war packend. Was ist mit ihr geschehen, was liegt all den Andeutungen zugrunde?

Es gibt viele Nebenfiguren, beispielsweise Intis Kollegen Evan und Niels, ihre Kollegin Zoe und die Tierärztin Amelia. Sie alle bleiben im Hintergrund, sind aber ausreichend entwickelt. Auch die Dorfbewohner sind Nebencharaktere, die mich überzeugt haben, ohne dass ich allzu viel über sie erfahren hätte.

Aufbau

Die Geschichte wird in 31 Kapiteln und einem Epilog erzählt. Dabei wird zwischen dem Hier und Jetzt und der Vergangenheit gewechselt.

Inti trägt Geheimnisse mit sich herum. Wir lesen aus ihrer Kindheit mit ihrer sie immer verstehenden Zwillingsschwester Aggie, ihrem naturverbundenen Vater und ihrer sie stets warnenden Mutter. Wir lesen, wie sie erwachsen wird, und es schleicht sich etwas Dunkles ein, etwas, das alles verändern wird. Man sieht es kommen, ohne es abwenden zu können. Ich habe mit Inti gelitten, fand grausam, was passiert ist. Schleichend werden die Einzelheiten offenbart, setzt sich das Puzzle zusammen, erfährt man die Wahrheit, versteht, warum sie zu der geworden ist, die sie heute ist. Ich habe die Rückblenden gefesselt verfolgt.

Sie macht innerhalb des Buches (nicht als Einzige) eine immense Entwicklung durch. Ich bin diesen Weg gerne mit ihr gegangen, auch wenn er nicht immer leicht – und nicht immer angenehm zu lesen – war. Die Autorin schafft es, düstere, verstörende sowie befremdliche Momente in ihren Text zu mischen, so dosiert, dass ich nie aufgeben, sondern noch stärker wissen wollte, wohin das Ganze führt. Die Backstory war genauso spannend wie die Frage, ob die Rückkehr der Wölfe glückt – und welche Opfer es geben wird.

Mehr oder weniger überraschend

Ich habe nicht alles vorausgeahnt, was sich die Autorin überlegt hat. Allzu große Überraschungen gab es dennoch nicht für mich. Auf der Suche nach dem Wer oder Was hatte ich schnell den richtigen Riecher. Das macht aber nichts. Ich wäre mit anderen Auflösungen mitgegangen. So hat es in meinen Augen in die Geschichte gepasst, es kam, wie es kommen musste. Ich bin zufrieden und fand „Wo die Wölfe sind“ von vorne bis hinten mitreißend, auch wenn ich nicht überrumpelt wurde. Es hat Besseres mit mir angestellt: Das Werk hat mich berührt. Ein paar der letzten Seiten musste ich durch einen Tränenschleier entziffern. Ich liebe Bücher, die das schaffen.

Fazit

Charlotte McConaghy hat es wieder getan: Zum zweiten Mal hat sie mich begeistert für eine eigensinnige Protagonistin, ein wichtiges, wildes Thema, für dunkle Geheimnisse, intensive und eindringliche Schilderungen. Sie hat mich überzeugt mit ihrem poetischen und klaren Schreibstil, hat mich gefesselt und mitgenommen, nicht nur nach Schottland, nein, sie hat mich auch berührt und aufgewühlt. Was immer die Autorin als Nächstes schreibt – ich werde es lesen.

4,5/5!

Wo die Wölfe sind: Roman

432 Seiten / ISBN: 978-3-10-397100-2 / Übersetzung: Tanja Handels


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