Blumen für Algernon – Daniel Keyes

Blumen für Algernon - Daniel Keyes

„Blumen für Algernon“ von Daniel Keyes ist ein vorhersehbarer, aber durchaus berührender Science-Fiction-Klassiker über ein wissenschaftliches Experiment zur Verbesserung der Intelligenz.

4/5

Inhalt

Der 32-jährige Charlie Gordon besucht die Mittelpunktschule für retardierte Erwachsene, arbeitet seit 17 Jahren in einer Bäckerei, hat Freunde und Spaß, sein Leben ist in Ordnung. Eine einzige Sache wünscht er sich: Intelligent zu sein. Als er für ein Experiment vorgeschlagen wird, das seinen IQ erhöhen soll, ist er begeistert – und wird tatsächlich ausgewählt. Der chirurgische Eingriff wurde zuvor an Algernon, einem Mäuserich, erprobt – und zeigt auch an Charlie Wirkung, der jeden Tag etwas schlauer wird. Doch die emotionalen Dinge kann er sich nicht anlesen, die muss er erfahren. Das bringt einige Herausforderungen mit sich – ebenso wie die Tatsache, dass er plötzlich Vorgänge durchschaut, die ihn wütend und ängstlich machen.

Zunächst ein sprachliches Abenteuer

„Blumen für Algernon“ ist anfangs kein Buch, durch das man fliegt, vielmehr muss man es entziffern. Der Protagonist ist ein Mann mit einem IQ von 68. Ich zitiere den ersten Satz, um zu verdeutlichen, wie die Berichte aussehen, die Charlie vor dem Eingriff verfasst, hier noch überschrieben mit „Forschritsberich 1, 3 Merts“ statt „Fortschrittsbericht“ und „03. März“:

"Dr Strauss sagt fon nun an sol ich aufschreiben was ich denke und woran ich mir erinere und ales was ich erlebe."

Es bleibt nicht ewig so, aber die ersten Seiten ziehen sich. Er lernt die richtige Schreibweise schwierigerer Wörter, im Verlauf, dass es Kommata gibt und später, wie er sie verwendet. Das Ganze geht – rückblickend betrachtet – extrem schnell. Es ist beeindruckend, wie viel er sich in kurzer Zeit aneignet – und dass es (zunächst) keine Grenzen zu geben scheint.

Der titelgebende Algernon

Titel und Cover verraten es: Es geht nicht nur um Charlie. Das Experiment, das seine Intelligenz chirurgisch verbessern soll, wurde zunächst an dem Mäuserich Algernon durchgeführt. Die Operation hat dafür gesorgt, dass er nun als Genie im Irrgarten glänzt. Er wird im Käfig gehalten, muss für sein Futter arbeiten. Charlie widerstrebt das einerseits, weil das Tier nicht als solches wahrgenommen wird. Es ist ein Versuch, mehr nicht. Immer wieder ruft er den Wissenschaftlern ins Gedächtnis:

"Ich bin ein Mensch. Ich war es bereits, ehe ich unter das Messer des Chirurgen kam."

Denn die sagen über ihn:

"Als Charlie zu uns kam, war er ein Außenseiter der Gesellschaft, allein in einer Großstadt, ohne Freunde und Verwandte, die für ihn sorgten, ohne das geistige Rüstzeug, das ein normales Leben erlaubt. Ohne Vergangenheit, ohne Kontakt zur Gegenwart, ohne Hoffnung auf die Zukunft. Man darf wohl sagen, dass Charlie Gordon vor diesem Experiment nicht wirklich existierte..."

Zudem verkörpert Algernon die Intelligenz, die er haben will – und wird im Verlauf zum Wegweiser, der mir das Weiterlesen schwer machte. Man ahnt es, sieht es kommen. Es bestürzte mich, zu sehen, wie sich das Ganze entwickelt. Bei ihm. Und damit bei Charlie. Es gibt in der Mitte des Buches einen kleinen Aufstand, der mir gefiel, aber die meisten Szenen habe ich als sehr traurig wahrgenommen.

Nicht alles wird besser, wenn man intelligent ist

Zunächst will Charlie Gordon schlauer werden, um mitreden zu können. Er hat Freunde in der Bäckerei, in der er putzt und für die er ausliefert, er hat ein gutes Leben, träumt aber davon, sich über die großen Themen auszutauschen. Woher das kommt, erfahren wir nach und nach: Es hat mit seinem Elternhaus zu tun. Da ihm von klein auf eingebläut wurde, nicht richtig zu sein, ist der Wunsch, den er hegt, nachvollziehbar.

Doch dann stellt sich heraus: Sein Leben war anders, als er es wahrgenommen hat. Dadurch, dass er mehr versteht, erkennt er, dass seine Freunde keine Freunde waren. Nun, da er intelligent ist, wünscht er sich echte Verbindungen, aber so einfach ist das nicht. Vor allem, weil man aneckt, wenn man nicht mehr blind folgt, sondern eine eigene Meinung kriegt, hinterfragt, widerspricht, ja, letztlich überlegen ist. Wenn man kritische Situationen durchschaut, die sich früher unbemerkt hinter dem Rücken abgespielt haben, führt das unweigerlich zu Problemen: Was anfangen mit dem Wissen, wie handeln, wen verschonen?

Ich weiß ja, dass er kein Mitleid will. Ich habe ihn kennen gelernt durch seine Berichte, denn das gesamte Buch besteht aus seinen Notizen. Aber er tat mir leid. Ich konnte mit ihm fühlen und habe mir mehr als einmal gewünscht, alles könnte anders sein, er hätte andere Erfahrungen gesammelt in seinem bisherigen Leben – und seinem zukünftigen.

Aufbau

„Blumen für Algernon“ von Daniel Keyes, inzwischen verfilmt, erschien zunächst 1959 als Kurzgeschichte und umfasst im Roman 304 Seiten (359 in der von mir gelesenen eBook-Version). Die Geschichte startet am 03. März und endet am 21. November, sie spielt in einem nicht näher bezeichneten Jahr in New York (und anlässlich einer Tagung kurze Zeit in Chicago). Es gibt 17 Fortschrittsberichte.

Nicht nur der Verlauf der Story kriegte meine Aufmerksamkeit. Die Auffälligkeiten in Bezug auf die Rechtschreibung, Grammatik und Interpunktion habe ich bereits angesprochen, eine weitere Besonderheit ist, dass wir die Aufzeichnungen aus der Ich-Form lesen – bis Charlie anfängt, über sein „altes Ich“ in der dritten Person zu erzählen. Ich war gespannt, wo das hinführen würde. Es verdeutlicht in jedem Fall, dass sich die Vergangenheit nicht einfach abschütteln lässt.

Mit seinem wechselnden Intellekt wissen wir auch mehr oder weniger als er. Anfangs sind wir ihm überlegen, lesen mehr aus den Zeilen, als er begreift. Später würde er uns alle schlagen, schreibt aber so, dass die Wissenschaftler, für die er seine Gedanken und Erfahrungen festhält, ihm folgen können.

Fragen über Fragen

Der Text bringt zum Nachdenken, indem er allerhand Fragen auslöst:

Warum gibt es solche Experimente? Ist es in Ordnung, davon auszugehen, dass Charlie wegen seines IQs „verbessert“ werden muss? Wenn er vorher glücklich war – darf man überhaupt etwas ändern? Wer sollte diese Entscheidung treffen (er, der die Tragweite nicht versteht? Die Familie, die ihn seit 17 Jahren nicht gesehen hat?)? Wo ist die Grenze, wann muss Schluss sein? Ist es gleichzusetzen, dass zunächst er wegen seines geringen IQs gehänselt wurde – und sich später die Menschen von ihm abwenden, weil er als herablassend wahrgenommen wird? Wurde sein Leben wirklich besser oder war er stets isoliert, erst wegen seines niedrigen und dann wegen seines hohen IQs?

Fazit

Vor Science-Fiktion schrecke ich immer zurück, aber dies ist ein Buch, das sich gar nicht weit weg anfühlte, eines, das ich mochte.

Vom geistig Zurückgebliebenen zum Genie, eine Wahnsinnsgeschichte, die ich nicht so schnell vergessen werde. Mich hat das Lesen von „Blumen für Algernon“ sehr traurig gemacht, ich hätte mir ein anderes Leben für Charlie gewünscht. Dennoch bin ich zufrieden mit dem Ende. Irgendwie.

Zusammenfassung Blumen für Algernon von Daniel Keyes

Dieses Buch ist für dich, wenn du

Blumen für Algernon - Daniel Keyes

Blumen für Algernon – Daniel Keyes

Originaltitel: Flowers for Algernon (1959/1966)

Übersetzung: Eva-Maria Burgerer

Verlag: Hobbit Presse / Klett-Cotta

Erschienen: 06.03.2015

Seiten: 304

ISBN: 978-3-608-98815-4

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Eine andere Rezension

Für Aleshanee von Weltenwanderer

ist es "ein sehr ernstes und ruhiges Buch mit vielen Einblicken und Botschaften, die sehr ans Herz gehen." -

und da stimme ich zu.

Deine Meinung

8 Antworten

  1. Hi!

    Ja, die Geschichte ist wirklich traurig und hat mich ebenfalls tief berührt!
    Ich fand seine Gedanken so emotional, und ich mochte sein „einfaches Gemüt“ so sehr – auch wenn er dadurch natürlich viel Spott bekommen hat. Aber durch seine Wahrnehmung hatte er zum einen ein glückliches Leben – wenn auch ein falsche, da er vieles falsch eingeschätzt hat. Was ist besser?
    Solche Experimente mögen manchmal zielführend sein für Krankheiten und Besserung bescheren, aber ich denke oft, dass man da einfach nicht zu viel herumpfuschen sollte.

    Du hast eine wirklich tolle Rezension dazu geschrieben! Hab dich auch direkt bei mir verlinkt (und danke auch für meine Verlinkung <3 )

    Liebste Grüße, Aleshanee

    1. Hey,

      ja, oder? ich mochte ihn ebenfalls sehr und habe mir viele Gedanken über den Inhalt gemacht. Es ist wirklich ein Buch, das nachhallt.

      Danke für deinen lieben Kommentar und auch die Verlinkung. :)

  2. Ich habe von diesem Buch/Film noch nie etwas gehört. Deine Rezension ist wirklich toll. Ich mag auch kein Science Fiction, aber wenn mir dieses Buch mal vor die Füße fällt, dann nehme ich es mit.

    Danke für die schöne Rezension.

    1. Hallo Babsi,

      ich bin auch nur zufällig darüber gestolpert, es ist ja schon älter. Aber ich kann es wirklich empfehlen. Schön, dass du es lesen würdest. :)

      Viele Grüße

  3. Hallo liebe Jessica,

    wow! Ich habe das Buch schon ein paar Mal gesehen, aber bisher kaum Rezensionen dazu gelesen. Jetzt merke ich, dass das ein Fehler war – deine Worte haben mich direkt neugierig gemacht und das Buch auf meine Wunschliste katapultiert!

    Ich verstehe dein Zwiespalt mit dem einfachen Schreibstil als künstlerischem Mittel. Zwar könnte dieser den Lesefluss etwas hemmen, aber irgendwie scheint es auch dazu beizutragen, tiefer in die Geschichte einzutauchen. Es könnte der Handlung vielleicht sogar eine besondere Intensität verleihen.

    Die Art, wie du beschreibst, dass dich die Geschichte berührt und zum Nachdenken angeregt hat, ist sehr nachvollziehbar. Es klingt, als ob das Buch viele Fragen aufwirft und das Thema wirklich gut umgesetzt ist – das macht definitiv neugierig!

    Ich könnte mir vorstellen, dass auch ich Mitleid mit dem Protagonisten empfinden würde. Spannend finde ich den inneren Konflikt, den du ansprichst: Ist es besser, das Leben zu hinterfragen und vielleicht anzuecken, oder im Glück zu verweilen, indem man vieles ungefragt hinnimmt?

    Danke für deine tolle Rezension!

    Liebe Grüße
    Tanja

    1. Hallo Tanja,

      vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Ich freue mich, dass dich das Buch anspricht. Ich habe es zufällig gefunden, hatte noch nie davon gehört. Aber es ist definitiv ein Roman, der in Erinnerung bleibt. Ich bin gespannt, wie du ihn findest! :)

  4. Hallo,
    vielen Dank für den interessanten und ausführlichen Einblick in das Buch. Ich hatte mich zuvor nicht viel damit beschäftigt und wusste daher nicht, worum es sich so richtig dreht.
    Nach deiner Rezension bin ich allerdings auch nicht sicher, ob es jetzt „mein“ Buch wäre, auch wenn ich denke, dass es mich durchaus auch sehr berühren und nachdenklich machen würde. Ich denke, für so eine Geschichte muss man dann auf jeden Fall in der richtigen Stimmung sein und zu wissen, was einen erwartet schadet da dann auch nicht.
    Liebe Grüße,
    Dana

    1. Hey Dana,

      ich bin auch unvorbereitet an das Buch herangegangen, hatte noch nie davon gehört und keine Ahnung, worum es geht. Ich kann es wirklich empfehlen, aber es stimmt: Man braucht für jede Geschichte die richtige Stimmung, sonst wird es nichts. :)

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