
„Coast Road“ von Alan Murrin ist eine ruhige Geschichte dreier Frauen, die auf der Suche nach Selbstverwirklichung und Lösungen für ihre gescheiterten Ehen sind.
Inhalt
Colette ist zurück – und mit ihr bricht er aus in Ardglas, der kleinen Gemeinde in der Grafschaft Donegal: der Klatsch und Tratsch. Doch die Dichterin versteckt sich nicht, mietet sich ein Cottage, bietet einen Schreibworkshop an, will wieder Fuß fassen, auch wenn ihr Mann Shaun ihr den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern verbietet. Izzy, Frau eines Politikers und zweifache Mutter, ringt sich durch, Colette zu helfen, ihren Jüngsten, Carl, wiederzusehen – und ahnt nicht, was sie damit lostritt.
Prolog
Mit dem Prolog ist es so eine Sache. Mal macht er neugierig, mal alles kaputt. Ehrlich gesagt hätte ich ihn hier lieber nicht gelesen. Er verrät, worauf das Ganze hinausläuft. Es erwartet uns am Ende keine Überraschung, es geht vielmehr um die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Dadurch gab es für mich in der Mitte ein paar Längen, es ist eine ruhige Story ohne große Twists. Der glatte Schreibstil täuscht darüber hinweg, man kommt flott voran. Trotzdem: Ich werde den Gedanken nicht los, dass „Coast Road“ ohne das Wissen am Anfang stärker gewirkt hätte. Es bleibt der Eindruck, dass alles allzu vorhersehbar und langsam war. Vermutlich dient der Prolog dazu, die Leserschaft bis zum Ende zu halten, aber für mich war das nicht die richtige Überlegung.
Drei Frauen auf der Suche nach einer Lösung
Wir folgen verschiedenen Paaren, bekommen einen Einblick in die Ehe von:
Izzy und James Keaveney
Izzy ist eine lustige Frau, die einen Blumenladen hatte, bevor sie Mutter wurde. James ist Mitglied der Regierung und stets bemüht, unauffällig zu bleiben, ehrlich dazustehen.
Der Konflikt ist hier insbesondere die Frage, ob all das gut genug ist für Izzy. James ist ständig weg, lässt sich von Äußerungen anderer zu sehr beeinflussen, boykottiert ihren Traum vom eigenen Geschäft. Kann das auf Dauer funktionieren?
Izzy durchläuft eine große Entwicklung, sie setzt sich durch, nutzt die Vorteile, die die Verbindung mit James mit sich bringt – und die er einst gegen sie richtete. Sie trifft letztlich eine Entscheidung, die vielleicht nicht alle nachvollziehen können, die aber in ihrem Fall keine schwache ist, keine unüberlegte, keine, die keinen Sinn ergeben würde.
Dolores und Donal Mullen
Dolores ist Mutter von dreien und frisch schwanger. Ihr Mann Donal ist untreu, behandelt sie schlecht. Im Verlauf bringt er sie in eine Lage, die sie noch mehr einengt – und ihr gleichzeitig eine Chance bietet.
Meine Hoffnung war, dass Dolores den Absprung schafft. Es war schwer mitanzusehen, wie sich ihr Alltag und Leben darstellt.
Colette und Shaun Crowley
Die Dichterin Colette ist nach Dublin gegangen, um mit einem anderen – ebenfalls verheirateten – Mann zusammen zu sein, nun jedoch nach Ardglas zurückgekehrt. Shaun, Erbe einer Fischfabrik, hat sich der unscheinbaren Ann zugewandt und unterbindet den Kontakt zwischen Colette und den Kids.
Colette ist die auffälligste Figur des Buches, sie stößt auf Unverständnis, wird auf ewig diesen Stempel tragen. Gleichzeitig wird sie als elegant beschrieben, gibt einen Schreibworkshop und liest in der Messe vor. Sie macht ausgedehnte Spaziergänge, mietet das über allen gelegene 2-Zimmer-Cottage der Mullens, trinkt mehr, als gut für sie ist, ist überall präsent. Der Autor hat eine eindrucksvolle Protagonistin erschaffen, die sich nicht versteckt, obwohl sie gerade vor allem eines ist: verletzlich.
"Und sie würde sich nicht verstecken; sie würde sich bloß sammeln. Es gab viel zu tun."
Coast Road, Kap. 2, S. 30/352, 8,4 %
Auch wenn ich nicht jede ihrer Handlungen gutheiße: Colette hat Mut, der anzuerkennen ist.
Das ist eine Sache, die auffällt in diesem Buch: Wir können uns wahrscheinlich kaum mit den Personen identifizieren, möchten sie schütteln, zur Besinnung bringen, ihnen abraten, sagen, dass sie abhauen oder sonst etwas tun sollen – und haben bei all ihren Fehlern Sympathien für sie.
Alan Murrin hat starke Figuren erschaffen und die Frauen in den Vordergrund gestellt.
"Wenn ihr Mann morgens zur Arbeit ging und die Kinder in der Schule waren, schwebte sie durchs Haus, als würde sie durch ihr eigenes Leben spuken."
Coast Road, Kap. 9, S. 99/352, 28 %
Wir bekommen intime und unverstellte Einblicke in ihre Gedanken und Gefühle. Niemand in dem Buch ist ohne Makel, die Charaktere sind wankelmütig, wodurch sie glaubwürdig erscheinen. Es gibt (mindestens) einen Bösewicht, aber auch der weist nicht ausschließlich düstere Schattierungen auf.
Und die Kinder?
Carl vermisst seine Mum, die er nicht mehr sehen darf, Niall reißt sich Haare aus, sie schlagen sich. Es geht nicht spurlos vorbei an den Kindern, wenn es kriselt.
Orla wird vorbereitet auf die Stimmung im Haus, wenn sie am Wochenende kommt und die Eltern mal wieder schweigen, nachdem sie gestritten haben.
Barry macht komplett dicht, sobald es um Colette geht.
Jessica läuft weg.
Der Autor hat das gut eingebaut, ihnen allen eine Strategie gegeben, um zu verarbeiten, was in ihren Familien passiert.
Welche ist die beste Entscheidung?
Die Frage, die ständig wiederkehrt, ist: Wie gut ist gut genug? Oder: Wie schlecht ist zu schlecht? Wann ist es besser, festzuhalten – und wann loszulassen?
Um diesen Konflikt zu verstärken, spielt die Geschichte Mitte der 90er, zu einer Zeit, in der ein neues Referendum zum Thema Scheidung im Raum steht. Wir lesen, wie es ist, wenn man sich nicht ohne Weiteres dazu entschließen kann, eine zerrüttete Ehe rechtskräftig zu beenden. Was würde die Legalisierung der Ehescheidung verändern? Die Plakate mahnen, doch wie sieht die Wirklichkeit aus?
"Hallo Scheidung ... Tschüss, Daddy", stand auf einem, worüber sie herzlich lachen musste. Ihre eigenen Kinder bekamen ihren Vater momentan fast gar nicht mehr zu Gesicht.
Coast Road, Kap. 29, S. 333/352, 94,6 %
Die Anmerkung des Autors zum Ausgang der Abstimmung macht ebenfalls nachdenklich – und das Ganze war Ende 1995!
Klatsch und Tratsch
Ohne die Tratscherei wäre in diesem Roman nur halb so viel los. Es fängt an mit Colettes Rückkehr, geht weiter mit den Vorstellungen der Bewohner, wie sie dort oben in ihrem Cottage haust und wer sie besucht. Und dann ist sie auch noch eine Dichterin!
Die Geschichten werden weitergegeben, teils als Druckmittel genutzt.
Auch dieses Thema unterstreicht das, worum es die ganze Zeit geht in „Coast Road“: Ist der „brave“ Weg der richtige? Sollten wir nur ja alles tun, um nicht aufzufallen, nicht herauszufallen aus dem Rahmen, keine Angriffsfläche zu bieten?
Liest sich weg wie nichts
Sprachlich war ich zufrieden. Ich mochte Murrins Schreibstil. Der Roman – er ist sein Debüt – lässt sich flüssig herunterlesen. Egal wann ich nach einer Pause wieder eingestiegen bin, ich war sofort drin und die Seiten flogen dahin.
Wir lesen die auf 29 Kapitel aufgeteilte Geschichte aus verschiedenen Perspektiven ohne Ich-Erzähler.
Die Dialoge sind gelungen, da sie durch die schlagfertigen Figuren einerseits unterhaltsam sind, andererseits alltäglich wirken.
Fazit
„Coast Road“ ist ein Buch über die Selbstverwirklichung dreier Frauen, traurig, ruhig, aber flüssig lesbar. Sprachlich funktionierte der Roman für mich besser als inhaltlich. Ich hätte gerne auf die Vorausschau verzichtet, die Geschichte wird mir als vorhersehbar und teils zu langsam im Gedächtnis bleiben, auch etwas einseitig. Dennoch: Ich mochte die Charaktere und den Schreibstil, ich hoffe, Alan Murrin schreibt mehr.
Zusammenfassung Coast Road von Alan Murrin
Dieses Buch ist für dich, wenn du
- starke Charaktere schätzt
- mit häufig wechselnden Perspektiven klarkommst
- keinen Ich-Erzähler brauchst
- etwas über Selbstbestimmung/-verwirklichung lesen möchtest bzw. über den gesellschaftlichen Umbruch im Irland der 90er
- einen Prolog magst, der verrät, worauf die Story hinausläuft
- dich nicht an einem langsamen Roman störst

Coast Road – Alan Murrin
Originaltitel: The Coast Road (2024)
Übersetzung: Anna-Nina Kroll
Verlag: dtv
Erschienen: 13.02.2025
Seiten: 384
ISBN: 978-3-423-28457-8
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