Der Stein fällt, wenn ich sterbe – Joe Wilkins

Der Stein fällt, wenn ich sterbe - Joe Wilkins

In seinem Debütroman „Der Stein fällt, wenn ich sterbe“ punktet Joe Wilkins für mich vor allem mit seinen gefühlvollen Zeilen – auch wenn ich sie nicht ganz glauben konnte.

3/5

Inhalt

Der 24-jährige Feldarbeiter Wendell Newman, seine Mutter ist tot, sein Vater seit langer Zeit verschwunden, lebt allein in einem Trailer in den Bull Mountains – bis ihn eine Sozialarbeiterin aus Billings aufsucht und ihm seinen kleinen Cousin dalässt. Rowdy Burns, dessen Mutter Lacy in Schwierigkeiten ist, spricht kein Wort, gilt als „entwicklungsgestört“. Doch es gelingt ihnen, eine Verbindung zueinander zu kriegen.

Gillian Houlton, 48, hat vor Jahren ihren Ehemann verloren. Kevin war bei der Jagdaufsicht – und wurde erschossen. Gillian ist Beratungslehrerin und stellvertretende Schulleitung an der Schule von Colter – und lernt so Rowdy kennen. Ein Schnittpunkt der beiden Geschichten – und längst nicht der einzige.

Ich hätte es gerne geglaubt

Protagonist des Buches ist Wendell, der seit Kurzem für seinen Cousin sorgt. Ich mochte ihn, seine Art. Er ist ein komplexer Charakter: Er ist liebevoll, hat gute (eigene) Gedanken und einen Zugang zu seinen Gefühlen. Das, was er sagt, vor allem in Bezug auf den Kleinen, gefiel mir sehr. Ich wünschte, ich hätte es geglaubt.

Ja, leider ist ein Problem, das sich für mich durch „Der Stein fällt, wenn ich sterbe“ zieht, die Glaubwürdigkeit. Ich fand es schwierig, die Geschichte so zu nehmen, wie sie da steht. Manche Dinge hören sich wunderbar an, aber ich habe sie nicht gefühlt. Ich habe lange darüber nachgedacht, woran es liegt. Die Worte überzeugten mich, ich bin total empfänglich dafür. Ich glaube, dass ich sie jedoch nicht genug gesehen habe. Schön Gesagtes allein reicht nicht, die Taten waren mir zu wenig. Dass er den Jungen aufpäppelt, ihm sein Wissen näherbringt und aus seinem Schweigen kein Thema macht, sagt einiges. Aber für die Dinge, die er ausspricht (und ich liebe es, dass er das tut!), fehlten mir zwischendrin kleine „Beweise“. Seine Gefühle waren für das, was ich gesehen habe, meinem Empfinden nach eine Spur zu groß. Da ist eine Lücke; da sind Szenen, die ich vermisse, weil ich sie auf den Seiten nicht finden konnte. Ich verstehe, dass Joe Wilkins ihn nicht zum Ich-Erzähler gemacht hat, aber ich hätte gerne mehr in seinen Kopf geschaut.

Außerdem mochte ich, dass sich die Story am Ende rund anfühlt, weil sie alles zueinanderbringt und die offenen Fragen beantwortet. Aber ich hatte große Mühe, die unwahrscheinlichen Zufälle zu akzeptieren, auf die ich aus Spoiler-Gründen nicht näher eingehen werde.

Über unterschiedliche Auffassungen und Ansprüche

Für mich geht es in „Der Stein fällt, wenn ich sterbe“ darum, wie schwer es ist, dass alles und jeder seinen Platz in der Welt findet. Tiere – das Thema Wölfe/Wolfsjagd spielt eine Rolle. Und Menschen. Menschen, die allesamt ihre eigenen Vorstellungen haben: moderne, traditionelle (überholte?).

"Dieses Land, wo das Versagen der Nation, das Versagen der Mythen, auf das Versagen der Menschen traf."

Es geht um die Gemeinschaft – und den Einzelnen. Es geht um die gesellschaftliche Spaltung. Es gibt Unterschiede zwischen (gebildeten) Städtern und (einfachen) Farmern, verschiedene Meinungen über die Regierung (die Geschichte spielt zur Zeit von Obama), Umweltpolitik usw. Daraus kann schnell eine Art Widerstandskampf werden, was auch hier der Fall ist. Ich fand Wendells Rolle dabei sehr interessant.

"Er wusste jetzt, was der Unterschied zwischen ihm und den andern war - die glaubten, dass man ihnen etwas schuldig sei."

Es geht darum, was das Beste ist. Und wie schwer es ist, dieses Beste für alle zu finden. Die Figuren in diesem Buch wollen das Beste – für sich und andere. Aber manchmal ist das, was sie für das Beste halten, eben nicht das Beste. Eine einfache Lösung gibt es nicht.

Aufbau/Stil

Was mir an diesem modernen Western besonders gefallen hat: Das Einfühlungsvermögen, mit dem Joe Wilkins schreibt. Sein Schreibstil, er hat bereits Gedichtbände veröffentlicht, ist generell ein Pluspunkt. Damit hat er mich gekriegt.

Wir lesen die in Montana spielende Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. Verls sticht heraus, denn der Mann, der von einer „Neuen Ordnung“ spricht und sich versteckt hält, schreibt in Tagebuchform an seinen Sohn – und zwar sehr einfach, umgangssprachlich und ohne Kommata.

"Ein Wolf ist mehr als ein Wolf. Er steht auch für das Gesetz. Und was ich zutiefst hasse sind Gesetze die einen Mann zum Sklaven machen auf seinem eigenen Land."

Gewöhnungsbedürftig, aber ich mag es, wenn Menschen unterschiedlich dargestellt werden und ihre eigene Sprache bekommen.

Der Roman hat 373 Seiten. Für mich zog sich das Ganze dadurch, dass sich die Geschichte langsam entwickelt und es viele unnötige Details gibt. Die zahlreichen Naturbeschreibungen kritisiere ich dabei nicht. Ich konnte mir die Umgebung gut vorstellen und hatte das Gefühl, dass der Autor genau weiß, wovon er da so poetisch schreibt.

Zum Ende möchte ich nichts sagen, außer dass bis dahin ordentlich Tempo hinzukommt, es unvermeidlich erscheint und gleichzeitig unendlich fies ist.

Fazit

Leider hat mich „Der Stein fällt, wenn ich sterbe“ nicht ganz abgeholt. Mir fehlte es anfangs an Tempo und oft an Glaubwürdigkeit, ich hätte gerne mehr mitgefühlt. Da standen wunderbare Sätze auf den Seiten, aber ich spürte sie – trotz des ausgeprägten Einfühlungsvermögens des Autors – kaum.

Der Stein fällt, wenn ich sterbe - Joe Wilkins

Der Stein fällt, wenn ich sterbe – Joe Wilkins

Originaltitel: Fall Back Down When I Die (2020)

Übersetzung: Irma Wehrli

Verlag: LENOS POLAR

Erschienen: 05.09.2023

Seiten: 373

ISBN: 978-3-03925-029-5

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Deine Meinung

4 Antworten

  1. Liebe Jessica, hört sich für mich wie ein Buch an, das sich vielleicht beim zweiten Mal lesen völlig entfaltet. Mich hat es auch an „Im Kreis des Wolfs“ von Nicholas Evans erinnert. Vielleicht aus falschen Gründen. Ich behalte es mal im Kopf. Viele Grüße!

    1. Hallo Alexander,

      ja, das ist möglich. Die enormen Zufälle würden mich weiterhin stören, aber vielleicht wäre ich insgesamt zufriedener.

      Danke für deinen Kommentar, vor allem, weil ich noch immer keine Speicherung der Daten eingebaut habe (ich habe es nicht vergessen. Mein aktueller Stand ist, dass das von einem der Plugins blockiert wird, da es DSGVO-kritisch ist. Das nervt mich besonders, weil ich gerne möglichst rechtskonform unterwegs bin, andererseits jeder so ein Feld hat …).

      Viele Grüße

  2. Oh – ja, vielleicht hat Alexander recht. Ein Buch, dass vielleicht erst beim 2. Mal wirkt. Aber sind wir ehrlich, ein Buch, das beim 1. Mal nicht überzeugt, bekommt kaum eine 2. Chance.
    Schade, dass es dich Gefühlsmässig nicht so abholen konnte.
    Montana muss wunderschön sein. Ich hab die 1 Staffel von Yellowstone geguckt und die spielt auch dort. Traumhaft. Deswegen ist es schön, dass die Natur beschrieben wurde.

    Liebe Grüsse

    1. Ja, möglich ist es. Ich würde es aber tatsächlich nicht noch einmal lesen. Dafür freue ich mich zu sehr auf andere Bücher. :)

      Die Natur spielt hier eine große Rolle und die Beschreibungen sind dem Autor wirklich gelungen.

      Liebe Grüße

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