Jaeggys „Die Angst vor dem Himmel“ ist eine Kurzgeschichtensammlung, die düsterer kaum sein könnte.
Inhalt
„Die Angst vor dem Himmel“ ist eine Sammlung aus sieben Kurzgeschichten, im Original geschrieben auf Italienisch von der Schweizerin Fleur Jaeggy.
Kühles Lesevergnügen
Die Autorin schreibt harte Geschichten in kurzen Sätzen. Es ist ein kaltes Buch, eines, in dem es um den Zerfall geht, gerne am Beispiel von Blumen, die immer wieder auftauchen:
"Blumen bleibt nur, zu verfaulen, nicht anders als den Menschen."
(Eine Ehefrau, eBook 14,3 %)
Es geht um den Tod, um Leere. Glück wird als Krankheit bezeichnet und der Fokus auf dessen Vergänglichkeit gelegt.
Ultrasparsam
Es ist erstaunlich, wie viel die Autorin in wenigen Worten sagt und wie überraschend sie die eine oder andere Besonderheit fallen lässt, ohne jemals näher darauf einzugehen.
Jeder Satz der Erzählung steht für sich, der Punkt schafft eine Distanz, so dass es wenig Verbindung gibt, was auch auf die Charaktere zutrifft.
Ich habe nichts gegen minimalistische Texte, allerdings kam hier kaum etwas bei mir an. Ich habe die Geschichten heruntergelesen, ohne sie zu fühlen. Na gut, da war Irritation. Aber ich hatte keinen Spaß, es kamen keine Fragen in mir auf, ich hatte weder Lust, die Hintergründe zu erforschen, noch war es mir wichtig, alles zu verstehen, im Gegenteil: Es war mir egal. Wenn ich das mit meiner Euphorie bei Carvers Kurzgeschichten vergleiche …
Nein, lieber nicht.
Eigenwillige Charaktere
So auffallend wie ihr Stil sind auch Jaeggys Figuren, die zumeist in der Schweiz leben. Sie kommen rätselhaft daher, viele sind unsympathisch und ichbezogen, fühlen sich nicht zugehörig, neigen zum Fluchen und arrangieren sich gleichzeitig mehr oder weniger mit ihrem Unglück.
Es ist schwer, sie zu mögen. Ich finde immer und gerne Gründe, um es trotzdem tun, man kennt mich. Aber wahre Sympathieträger fehlen hier gänzlich. Die Autorin versteht es, ihnen eine zwielichtige Note zu verleihen, die über ihre harmlose Auffälligkeit hinausgeht. Wir haben hier von Inzest bis Mord alles, um zu verhindern, dass sie astrein dastehen. Die Ablehnung, der ganze Hass unter der Oberfläche, das wirkte in Summe erschlagend auf mich. Ich habe vergeblich darauf gewartet, dass sie etwas anderes tun, etwas Positives, eine gute Entscheidung treffen. Tja.
Die Angst vor dem Himmel
Der Titel kommt in der ersten Geschichte vor, „Ohne Schicksal“. Und vielleicht doch in allen, nicht nur in „Die Zwillinge“, die Angst haben, nicht mehr aufzuwachen.
Ich denke, dass die Angst aus keinem der Leben zu verbannen ist.
Ihr Dasein, könnte man meinen, muss ihnen wie eine Strafe erscheinen. Aber was kommt danach? Die Erzählungen behaupten, dass sich niemand vor Rachgier schützen kann. Ob die Partnerin im Familiengrab willkommen ist, ist eine Frage, mit der es sich auseinanderzusetzen gilt. Da sind so viele Zweifel, so viel Ungewissheit.
Der Tod verspricht nicht den Frieden, den das Leben vermissen lässt. Das Ende ihres engen Alltags mit den begrenzten Möglichkeiten ist nicht die sorglose Weite des Himmels,
„Sie hatten begriffen, diese Bergbauern, dass der Sinn des Lebens in der Beschränkung liegt.“
(Die Zwillinge, eBook, 62,1 %)
in dem sie völlig ungeschützt sind und in dessen Unendlichkeit sie möglicherweise verlorengehen. Insofern ist der Ausblick der Charaktere nie unbekümmert.
Ein Überblick über die Kurzgeschichten
Ohne Schicksal
Marie Anne hasst ihr Kind. Johanna, eine Zofe, will es zu sich nehmen, ihre Herrschaften, die ihre eigene Tochter verloren haben, sind einverstanden. Eine strahlende Zukunft erwartet das Mädchen - oder auch nicht. Denn Marie Anne entscheidet sich um.
Eine Ehefrau
Gretel Ruegg hat drei Töchter auf die Welt gebracht. Ein Fluch, wie ihr Mann Otto Karl, ein Viehzüchter und Metzger, hinausschreit.
Ein Haus umsonst
Herr Heber lässt all die in seinem Haus leben, die nichts und niemanden haben. Seiner Frau passt das nicht. Sie geht spionieren, vor allem das sinnliche Mädchen interessiert sie. Doch das lässt sich nichts gefallen. Und so endet diese Geschichte, die mit dem Kammerjäger beginnt, der unschädliche Chemikalien einsetzen will, hammerhart.
Das Versprechen
Ruth schläft mit drei Männern, weil sie ihrem Vater versprochen hat, zu heiraten. Dann reicht es ihr. Sie erfüllt ihr Versprechen dennoch: Sie heiratet Freneli. Doch die beiden Frauen verheimlichen ihre Liebe - bis es nicht mehr geht.
Porzia
Doris Barthold, 24, hat ihre Eltern verloren. Der Einzige, der offen trauert, ist Alfred - der Hund. Also kommt er weg. Nur Porzia bleibt, die Zofe, die an die Rachgier von Kultgegenständen glaubt.
Die Zwillinge
Hans und Ruedi Schübeli, Zwillinge, wollen höchstens eins: In das „Haus ihres Ursprungs“.
Die eitle Greisin
Kurt und Verena Kuster stehen kurz vor der goldenen Hochzeit. Er hält sie aus einer Vorahnung heraus für krank. Doch die 84-Jährige ist gesund - was ihn wenig zu freuen scheint.
Fazit
Ein dunkles, reichlich trostloses Buch, das ich sprachlich mochte, mir aber zu sparsam daherkam. Das, was erzählt wurde, gefiel mir noch weniger als der Stil. „Melancholisch“ ist ein Wort, das sich nicht so anfühlt, als würde es ausreichen für die Texte.
Die Distanz war mir zu groß – trotz der intimen Geständnisse, die jede Geschichte offenbart. Das passte für mich nicht zusammen.
Obwohl die Sammlung nur 100 Seiten hat, wollte ich sie mehrmals abbrechen.
Nein, „Die Angst vor dem Himmel“ war leider nicht mein Buch.
Die Angst vor dem Himmel – Fleur Jaeggy
Originaltitel: La paura del cielo (1994)
Übersetzung: Barbara Schaden
Verlag: Suhrkamp Verlag
Erschienen: 20.05.2024
Seiten: 100
ISBN: 978-3-518-47428-0
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