In „Die Butterbrotbriefe“ von Carsten Henn verabschiedet sich die 39-jährige Kati von den Menschen ihres Heimatortes – und ihrem seelischen Ballast.
Inhalt
In den 39 Jahren ihres Lebens hat sich einiges angesammelt in Kati Waldstein, die nach dem Tod ihrer Mutter eine innere Entrümpelungsaktion startet, indem sie Briefe schreibt, um loszulassen. 31 Abschiede hat sie schon hinter sich, auf die Tasten der Schreibmaschine gehauen, um ihrer Wut und Enttäuschung Luft zu machen, oder per Hand Worte des Dankes gefunden. Sechs wollen noch auf dem von ihrem Vater einst für sie gesammelten Butterbrotpapier geschrieben werden, ehe sie ihrer Heimat den Rücken kehrt. Viele Menschen sind dagegen, doch ihr Entschluss steht fest – bis der rätselhafte Landstreicher Severin sie unverhofft ins Grübeln bringt.
Die Butterbrotbriefe
Kati schreibt zwei Arten von Lebewohl-Briefen: Die einen hackt sie in die Schreibmaschine:
„Der Brief war getippt, aber eigentlich war er geschrien.“
eBook, Kap. 1,, 2,4 %
Die anderen verfasst sie in schönster Schreibschrift.
„Ein Brief war Zeit und Mühe, war Denken an den anderen. Das wertvollste Geschenk.“
eBook, Kap. 1, 2,8 %
Alle im Ort wissen Bescheid, halten inne, wenn Kati vorbeikommt, um die Zeilen vorzulesen, schielen auf das Papier – ist es handbeschrieben?
Doch warum das Ganze?
Seelischer Ballast
Die Protagonistin will weg – und sich vorher von ihren über Jahre hinweg angesammelten Altlasten befreien. Das ist das Thema des Buches – und es findet sich wieder, als sie während ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit auf Severin trifft. Der Landstreicher ist fortgelaufen – mit all seinen Schuldgefühlen im Gepäck. Er ist der Beweis, dass das nicht funktioniert. Gegen diesen Ansatz habe ich nichts, allerdings lässt der Autor Kati, eine fast 40-Jährige, in der entscheidenden Szene, in der dem Obdachlosen alles um die Ohren fliegt, reagieren wie einen Teenager. Das verschärft die Situation, Konflikte sind immer gut für eine Story, ich verstehe das, aber es trägt dazu bei, dass ich sie noch weniger ernst nehmen konnte als sowieso schon.
Unglaubwürdig bis bedenklich
Leider habe ich die Geschichte nicht geglaubt. Das ist schade, ich bin immer bereit, mich auf den Inhalt einzulassen, ich meine: Ich habe King seinen magischen Indianerfriedhof abgekauft, alles ist möglich. Hier, die Story soll sich in der Realität abspielen und mit Außergewöhnlichem wie dem Arktis-Museum punkten, bin ich allerdings an meine Grenzen gestoßen, denn die Figuren reagieren höchst seltsam:
Eine Dame, die Severin für gefährlich hält, lässt ihn nicht nur ihr Klavier stimmen, sondern plaudert nebenbei die Adresse von Kati aus.
Ja. Warum nicht?!
Die Protagonistin, die bei ihrer ersten Begegnung kein einziges Wort von Severin gehört hat, sagt bei ihrem (für sie offensichtlich zunächst unangenehmen) Wiedersehen:
„Sie haben mir tatsächlich ein klein wenig Angst gemacht. Aber Sie wollten nur nett sein. Und ich bin manchmal übervorsichtig.“
(eBook, Kap. 2, 18,8 %)
Verständlich. Doch als der Fremde quasi im nächsten Moment spätabends klingelt, lässt sie ihn in ihr Haus, um mit ihm fünf Tassen Tee zu trinken.
Alles klar.
Ich könnte weitere Beispiele nennen, will aber nicht unnötig spoilern.
Erwähnen möchte ich noch folgende Punkte:
Severins Obdachlosigkeit wird kaum behandelt.
Auch seine Schicksals-Vision oder das „Nachstellen“ wird nicht überall Anklang finden.
Alles geht viel zu schnell.
Vorhersehbar
Ist sie denn wenigstens überraschend, diese Geschichte voller unberechenbarer Figuren?
Nein.
Es gibt ein paar Besonderheiten in „Die Butterbrotbriefe“, Harald Schönhaar und so weiter, aber sobald diese eingeführt sind, läuft es wie erwartet. Der Plot-Twist lässt sich problemlos erraten.
Das Positive
Ich will nicht nur meckern, im Gegenteil, ich habe mir alle Mühe gegeben, das Buch zu mögen. Hier ist es mir gelungen:
- Die Idee mit den Butterbrotbriefen ist niedlich. So schön bodenständig. Mag ich.
- Severins Grund, Bücher zu lesen, überzeugte mich. Außerdem würde ich gern ein Exemplar mit seinen Anmerkungen finden.
- Der Konflikt vom Weggehen zwischen Kati und Severin ist glaubhaft dargestellt (sie will dies, er möchte das, niemand lenkt vorschnell ein).
- Die Zeilen von Madame Catherine kriegten mich. Ebenso der letzte Brief.
- Der Autor bleibt sich treu. Es gibt Henn-typisch wieder ein Kind, das eine größere Rolle spielt (diesmal der 14-jährige Lukas).
- Es werden kleine Erinnerungen an die Vorgänger-Romane eingestreut (eine Segnung usw.).
- Vereinzelt gibt es Gedankengänge und Sätze, die ich wunderbar fand.
Aufbau/Stil
Die Geschichte wird in sieben Kapiteln und einem Epilog ohne Ich-Erzähler erzählt.
Wir steigen am 07. Oktober in die Story ein, Ende des Monats will Kati die Biege machen. Hier wird noch einmal deutlich, wie flott alles geht.
So rührend die Liebesgeschichte daherkommen soll – ich fühlte sie nicht.
Der Autor nutzt zahlreiche Metaphern. Manche haben mir gefallen, mit anderen wusste ich nichts anfangen.
Den Dialogen konnte ich wenig abgewinnen. Es finden Gespräche statt, die ich mir beim besten Willen so nicht vorstellen kann. Man merkt, dass sie genutzt werden, um Infos an die Leserschaft zu bringen. Die Unterhaltung mit ihrem Ex Achim ist nicht der einzige Totalausfall.
Fazit
Schwierig.
Henn schreibt: „Das Gute bei Gesprächen über Bücher war, dass man immer auch über sich selbst sprach.“ (eBook, Kap. 3, 29,3 %) Und das stimmt. Ich hatte Probleme mit dem Roman, vielleicht weil ich keine Folge von Aktenzeichen XY … Ungelöst verpasse oder zu viele (gute) Krimis gelesen habe. Auch dass ich die Lovestory merkwürdig, die Dialoge anstrengend und die Geschichte vorhersehbar fand, ist meine Sache und spricht nicht automatisch gegen „Die Butterbrotbriefe“. Entscheidet selbst.
Die Butterbrotbriefe – Carsten Henn
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2 Antworten
Guten Morgen Jessica
Auweia! Bei diesem Buch geht unser Geschmack total auseinander. Ich mochte die Geschichte sehr. Die Idee, per Briefe den Menschen die Meinung zu sagen, finde ich richtig gut. Noch dazu hat Kati sie selbst vorgelesen. Natürlich dürfte so was im wahren Leben kaum bis gar nicht vorkommen. Briefe die man abschickt schon eher.
Geschmäcker sin ja Gott sei Dank verschieden. Wäre sonst extrem langweilig.
Liebe Grüße von der Gisela
Das stimmt, zum Glück sind Geschmäcker verschieden. Und manches hat mir ja auch gefallen, nur eben nicht alles. Ich mochte seinen Buchspazierer lieber. :)
Viele Grüße.