
In „Die Königin von Dirt Island“ lesen wir von vier Generationen – und insbesondere über Zusammenhalt, Resilienz und Würde, darüber, seine eigene Geschichte zu schreiben.
Werbung, da Rezensionsexemplar
Inhalt
Sie wird von ihrer Familie verstoßen, weil sie schwanger wird, ohne verheiratet zu sein. Ihr Baby ist noch ein Neugeborenes, als ihr Mann stirbt. Doch Eileen gibt nicht auf – und sie ist nicht allein. Mary, ihre Schwiegermutter, bleibt an ihrer Seite. Gemeinsam ziehen sie Saoirse groß – und als diese in Schwierigkeiten gerät, ist alles wie immer: harte Worte, Chaos, Aufregung – und eine unerschütterliche Verbindung. Die Aylwards halten zusammen – was auch passiert. Oder?
Die Stärke des Buches: Die Charaktere
Donal Ryan schafft es, Figuren zu entwerfen, die mich berühren und für die ich nur das Beste will. So war es in „Seltsame Blüten“, das eines meiner Lieblingsbücher geworden ist und aus dem wir hier Charaktere wiedertreffen, worüber ich mich sehr gefreut habe. So war es – insbesondere mit Farouk – in „Die Stille des Meeres“. Und „Die Königin von Dirt Island“ stellt keine Ausnahme dar, im Gegenteil, die Figuren sind große Klasse. Sie sind keine Sympathiebolzen, sie sind schroff, besonders Nana mit ihrer scharfen Stimme oder Eileen, die auch mal mit der Stirn zustößt, wenn es gegen ihre Tochter geht. Nicht mit ihr – nicht gegen diejenigen, die sie liebt.
Es gibt viel Unausgesprochenes, Vergangenes, das drohend im Hintergrund lauert. Sie stehen vor Problemen, stoßen an Grenzen, ständig fliegen die Fetzen, selten – im Notfall, um die Familie zu schützen – auch die Fäuste, aber immer, immer halten sie zusammen.
"(...) sie pflegten die Wunden der anderen, ohne dass es je danach aussah, sie stärkten einander den Rücken, und man hätte jemand Außenstehendem, der die scheinbare Boshaftigkeit in ihren Gesprächen hörte, der mitbekam, welche Schimpfworte die jüngere Frau der älteren um die Ohren haute, wie sie ihr fast täglich drohte, sie zu erwürgen, zu ersticken, zu ertränken, zu erschießen, sie verdammt noch mal beim Tierarzt einschläfern zu lassen, man hätte diesem Außenstehenden keine Vorwürfe machen können, wenn er die beiden für Todfeindinnen gehalten und sich Sorgen um das Wohlergehen der älteren Frau gemacht, ihr Leben in Gefahr gesehen hätte."
Die Königin von Dirt Island, eBook, Kap. Säure, Pos. 2922/3647, 80 %
Menschen können widersprüchlich sein – und Donal Ryan nutzt das, um die Komplexität und Tiefe zwischen den beiden darzustellen.
Ja, ich wollte über sie lesen, mit ihnen fühlen, für sie hoffen. Unbedingt.
Eine Familiengeschichte
Wir kommen auf vier Generationen in diesem Buch – und ich habe die Geschichten gerne verfolgt. Obwohl sie immer wieder auf Schwierigkeiten stoßen, liest sich der Text größtenteils ruhig. Meiner Meinung nach ist es hier immens wichtig, dass es gelingt, sich von den Charakteren einfangen zu lassen. Dass man über die Widerstandsfähigkeit der Frauen und ihr unzerstörbares Band staunt. Dass man sich wünscht, sie würden eine Art Glück und Frieden finden, egal wie sehr die Gesellschaft sie verurteilt. Sollte das nicht gelingen, sollte man von den bissigen Figuren genervt sein, vom Tempo enttäuscht oder sich permanent fragen, worauf das Ganze hinausläuft, bietet die Story womöglich nicht genug. Dabei ist es, wenn man genau hinschaut, eine kraftvolle Geschichte mit wichtiger Botschaft.
Darum geht’s
Zunächst allgemein:
Ich lese heraus, dass es egal ist, wo man aufgewachsen ist – man kann eine starke Person werden, die Menschen hinter sich hat, die immer für sie da sind. Es ist gleich, was Außenstehende von einem halten. Solange man diesen wilden Ritt namens Leben mit all seinen spontanen Problemen meistert, auf seine Lieben achtet, für sich selbst einsteht, wird alles gut. Jeder kann ein Held, eine Königin sein – von was auch immer, letztlich vor allem des eigenen Lebens oder im Leben anderer. Hier ist es das titelgebende Dirt Island, was ich als bescheidenes / hartes / isoliertes Leben deute.
Und jetzt schauen wir ganz genau hin.
Das Motto verrät, worauf es ankommt:
"Lass die Bücher der hiesigen Schlachten gedenken.
Schreib die Handlung um. Lass die Ernte verdorren.
Es ist dein Leben. Dein großes Ereignis. Stell es in die Sonne."Mary O’Malley, History, hier: Motto, Pos. 33/3647. 1 %
Ja, die Vergangenheit wurde geschrieben, aber du kannst sie neu erzählen. Lass los, was dir nicht mehr taugt. Du zählst, dein Leben – und das verdient Aufmerksamkeit.
Mich hat dieses Zitat sehr berührt, aus irgendeinem Grund wollte ich das Original lesen – und das ist noch beeindruckender, denn es enthält eine Besonderheit:
"Let the books remember the local battles.
Re-write the plot. Let the harvest wither.
This is your life. She is your great event. Keep her in the sun."Mary O’Malley, History
Ja, hallo! Dieses Zitat sagt nicht nur etwas, es macht auch etwas: Es stellt das Leben als Gefährtin dar, stellt es wirklich in den Mittelpunkt, indem da plötzlich „she“ steht, kein neutrales „It“. Ein lebendiges „She“, das alles sein kann. Es liegt bei dir, entscheide dich: Magst du sie? Kannst du dafür sorgen, dass du es tust? Dass es ihr gut geht? Wirst du für sie kämpfen? Du wirst so viel zurückkriegen…
Es hätte der Übersetzung nicht geschadet, das „Sie“ zu erhalten, gerade thematisch hätte es so gut gepasst, denn es geht doch darum, sich gegen die Erwartung zu stellen. Aber das ist nur meine Meinung.
Einfühlsam
„Die Königin von Dirt Island“ ist nicht mein Lieblingsbuch von Donal Ryan, das ist „Seltsame Blüten“, aber es unterstreicht, wie sehr ich den irischen Autor mag. Ich bin jetzt sicher, dass ich alles lesen muss, was er geschrieben hat und schreiben wird. Ich liebe, wie einfühlsam er schreibt, seine Fähigkeit, Figuren zu entwickeln und deren Gefühle darzustellen. Er berührt mich. Seine Romane sind tiefgründig, die Geschichten interessant, ich verfolge sie gerne, egal, ob es ein Teil ist, der sich um ein schockierendes Ereignis dreht – hier sind mir am Ende des Kapitels „Manieren“ fast die Augen rausgefallen – oder um die Kämpfe, Ängste und Freuden des Alltags, wovon es hier allerhand gibt.
Kurze Kapitel
Da sind sie wieder, Ryans Endlossätze, für die ich eine Schwäche habe. Aber sehr maßvoll. Der Schreibstil kam mir lockerer vor als in „Seltsame Blüten“.
Jedes kurze Kapitel beginnt mit einem knackigen Satz. Ich mochte, wie schnell sich das Buch auslesen lässt. Es ist leicht, durch die Seiten zu fliegen. Menschen, die ständige Brüche oder wörtliche Rede ohne Kennzeichnung nicht mögen, könnten allerdings Schwierigkeiten haben.
Für mich ist der Aufbau gelungen, die kurzen Kapitel zeigen einzelne Höhen und Tiefen, die zusammen ein Leben ergeben, die Dialoge fügen sich ohne die Anführungszeichen perfekt in den Text ein, lesen sich flüssig und natürlich weg. Ich denke, dass hier stilistisch die Notizen widergespiegelt werden, die innerhalb der Geschichte eine Rolle spielen.
Fazit
Ich werde ab sofort alles von Donal Ryan lesen. Blind. Ich mag seine Figuren und wie er deren Gefühle rüberbringt, ich liebe es, dass er mich mit seinen Geschichten immer wieder berührt. Er ist definitiv einer meiner allerliebsten Autoren.
Zusammenfassung Die Königin von Dirt Island – Donal Ryan
Dieses Buch ist für dich, wenn du
- mit schroffen Charakteren klarkommst, die sich so einiges um die Ohren hauen
- „Seltsame Blüten“ gelesen hast oder nicht lesen möchtest (Spoiler-Alarm)
- eine ruhige Geschichte mit kurzen Kapiteln und ohne Kennzeichnung der Dialoge erträgst

Die Königin von Dirt Island – Donal Ryan
Originaltitel: The Queen of Dirt Island (2022)
Übersetzung: Anna-Nina Kroll
Verlag: Diogenes
Erschienen: 23.07.2025
Seiten: 384
ISBN: 978-3-257-07358-4
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