Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer – Francesca Maria Benvenuto

Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer - Francesca Maria Benvenuto

Der Debütroman „Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer“ von Francesca Maria Benvenuto besticht vor allem durch seine ganz eigene Erzählstimme.

3.5/5

Werbung, da Rezensionsexemplar

Inhalt 

Der 15-jährige Zeno sitzt im Jugendknast von Nisida. Mit Signora Martina, seiner Lehrerin, hat er vereinbart, über sein Leben zu schreiben, im Gegenzug bekommt er an Heiligabend und dem ersten Weihnachtsfeiertag Ausgang, um seine Mutter zu besuchen, die er seit über einem Jahr nicht gesehen hat.

Zeno Iaccarino

Seitdem sein Vater inhaftiert ist, arbeitet Zenos Mutter in Forcella, wo die Familie unangemeldet in einer Absteige lebt, die nicht einmal eine Hausnummer besitzt, als Prostituierte.
Der Protagonist hat mit zehn das Klauen, mit elf das Rauchen und mit zwölf mit dem Verkauf von Drogen angefangen.

Der inzwischen 15-Jährige sitzt seit über einem Jahr ein, weil er einen Menschen erschossen hat. In seinen Augen war es eine „er oder ich“-Situation, die ihm keine Wahl ließ. Er musste dreimal feuern, um sich zu retten. 

Wir haben in „Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer“ einen Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen, der auf die schiefe Bahn geraten ist. Doch er ist nicht nur das. Er ist ehrlich, hat einige gute Gedanken, ein Herz. Er ist trotz allem ein sympathischer Protagonist.

Unverblümtes Anvertrauen

Zeno nutzt die Chance auf Ausgang, indem er den Deal mit seiner Italienischlehrerin eingeht und ab Oktober 1991 über sich schreibt. Dabei merkt er, dass ihm das Ganze Spaß macht. Und nicht nur das: Er, der immer Wert darauf legt, niemanden zu hintergehen und die Wahrheit zu sagen, öffnet sich tatsächlich. Der Pädagogin gegenüber – und damit uns. Er verrät mehr, als er sich vornimmt. Namen, die er anfangs geheim halten will, nennt er später doch, auch wenn er zugleich das Stillschweigen der Lehrerin einfordert.
Man spürt, dass die Dinge, die uns beim Lesen schockieren, normal für ihn sind.

Der Jugendliche schreibt, wie er redet. Francesca Maria Benvenuto hat sich dafür entschieden, die Stimme Zenos durch umgangssprachliche Zeilen mit beabsichtigten Fehlern und vielen Schimpfwörtern einzufangen. Dabei wird erwähnt, dass er eigentlich Neapolitanisch spricht. Das macht im Original wahrscheinlich einen größeren Unterschied als in der Übersetzung. In jedem Fall sorgt die Erzählstimme dafür, dass die Geschichte authentisch rüberkommt.

"Jedenfalls hätt ich gern ein bisschen mehr Glück gehabt mit meiner Geburt.
Oder wär besser gar nicht erst geborn.
Und vor allem wär ich gern als Baby auf die Welt gekommen.
Aber ich musste von Anfang an groß sein."

Ein niederschmetterndes Buch

Mit dem Ausgang, mit der Frage nach der Botschaft tue ich mich schwer. Ich versuche immer, etwas mitzunehmen. Aus Zenos Gedanken kann ich einiges ziehen, das Gesamtpaket ist für mich hingegen schwieriger auszulegen.
Es ist wie bei Wellengang, ein Auf und Ab, wir sehen, wo er hineingeboren und -gezogen wird, wir lesen darüber, dass er etwas Gutes in den Menschen erkennt und sie in Schutz nimmt, dass er Träume und Hoffnungen hat. Der Liebe fällt eine große Bedeutung zu.

"Weil das einzigste, was meine Familie gerettet hat, das ist die Liebe, ansonsten taugen wir für nix."

So weit, so gut.

Aber ich hätte mir ein positiveres Ende gewünscht (obwohl dies natürlich eins ist, das man nicht so schnell vergisst) oder dass der schmale Roman eine andere feste Richtung hätte. So kann ich die Geschichte insgesamt nur negativ verstehen, im Sinne von: Das Schicksal ist nicht beeinflussbar, jemand wie er hatte nie eine Chance. Und das finde ich schade. Ich gebe zu, dass es zum Rest passt, der ja keineswegs weichgespült ist, ebenso zu der Tatsache, dass er Schlusspunkte würdevoller findet als Kommata. Es harmoniert. Aber wenn man eine Hauptfigur mag, wenn man sieht, dass er innen drin ein guter Mensch ist, dass eine Lehrerin sein Vertrauen gewinnt, dann wünscht man sich etwas anderes für den weiteren Verlauf. So wurde jedes zarte Pflänzchen im Keim erstickt und übrig bleibt ein düsteres Bild – kein unstimmiges, aber auch kein schönes. Das soll es nicht sein, ich akzeptiere das. Glücklich bin ich jedoch nicht damit. Und wenn ich mir mit diesem Wissen das Original-Cover anschaue, könnte ich heulen. Ehrlich. Was wiederum unterstreicht, dass ich diese Geschichte geglaubt habe. Und das ist wunderbar, denn darum geht es bei Büchern, nicht wahr?

Fazit

„Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer“ von Francesca Maria Benvenuto besticht vor allem durch seine ganz eigene Erzählstimme.

Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer - Francesca Maria Benvenuto

Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer – Francesca Maria Benvenuto

Originaltitel: L’amore assaje (2024)

Übersetzung: Christine Ammann 

Verlag: Verlag Antje Kunstmann

Erschienen: 15.08.2024

Seiten: 176

ISBN: 978-3-95614-601-5

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