„Liebe ist gewaltig“ ist ein schmerzhaftes Buch. Die Sätze wirken locker rausgehauen, doch durch die Rohheit, die die Protagonistin hineinlegt, treffen die Wörter mit ungeheurer Wucht.
Inhalt
Nach außen hin wirken sie wie die perfekte Familie, doch der Schein trügt: Der angesehene Anwalt Kurt Ehre schlägt seine Ehefrau, selbst Familienanwältin, und tyrannisiert die gemeinsamen Kinder Max, Alex, Bruno und Juli auf verschiedenste Weise. Aus Sicht Letzterer lesen wir in „Liebe ist gewaltig“ über die häusliche Gewalt – und ihre weitreichenden Folgen.
Sätze, die treffen
Wir steigen 2007 in die Geschichte ein: Juli Ehre ist 17 Jahre alt und wegen Suizidgedanken im Kurort Bad Auenried untergebracht. Sie erzählt aus ihrem Leben, als würde sie sich einem Tagebuch anvertrauen: intim, offen, unverstellt. Ihr Ton ist salopp. Dadurch, dass sie sich uns sogar zwischendrin mit einem „Hallo“ vorstellt, kommen wir ihr besonders nahe.
Ich wusste, dass es um häusliche Gewalt geht, mir war klar, dass es keine leichte Lektüre wird. Das Lesen war dennoch überraschend hart. Die Sätze wirken locker rausgehauen, doch durch die Rohheit, die Juli hineinlegt, treffen die Wörter mit ungeheurer Wucht. Dieses Buch ist schmerzhaft ohne Ende. Das muss man aushalten können – und wollen.
Langwierig
Das nächste näher beleuchtete Jahr ist 2014. Juli, 25, lebt in Berlin, ist Profi-Gamerin und promoviert in mathematischer Logik.
"Die Unberechenbarkeit der Restwelt ist ein Problem, von dem ich mich gerne zurückziehe."
eBook S. 92/287
Sie hat ihre Familie, die in Ederfingen, einem fiktiven Vorort von Stuttgart, lebt, hinter sich gelassen – räumlich. Emotional sieht es anders aus.
Die intensiven Schilderungen der physischen und psychischen Gewalt sind verstörend, ihre Folgen nachvollziehbar.
Juli schlägt sich mit widerstreitenden Gefühlen herum: Liebt sie ihre Eltern? Hasst sie sie? Was ist nur im Traum geschehen – und was ist verdrängte Realität? Das Thema Macht ist übergroß. Ich konnte ihre Gedankengänge und vor allem die Tatsache, dass sie ihre Vergangenheit nicht abstreifen kann, verstehen. Juli wirkte authentisch. Ihr Verhältnis zu ihrem Bruder berührte mich.
Ende September wird ihr Vater 65 – und sie fährt hin.
Es folgt ein Sprung: 2016 wohnt Julia in der Schweiz.
Den ersten Teil aus Julis Kindheit habe ich mit Spannung verfolgt. Danach kam mir der Text zu lang und ereignislos vor. Es zog sich. Ich möchte nicht sagen, dass man dieses oder jenes hätte weglassen können, aber so richtig gekriegt haben mich erst der Brief gegen Ende und der Ausgang.
Wortmächtig
2007 und 2014 lesen wir aus der Ich-Perspektive, 2016 wird über Julia in der dritten Person erzählt.
Auch wenn Juli eine Protagonistin ist, die eine rotzige Ausdrucksweise erfordert, wird deutlich, wie sprachfertig die Autorin ist. Ich möchte nicht daran herumnörgeln, dass Juli ist wie sie ist und spricht, wie sie es tut. Es passt. Dennoch bin ich gespannt, was Claudia Schumacher als Nächstes vorlegt – und hoffe auf eine Hauptfigur, die sich „gewählter“ ausdrückt. Ich bin sicher, dass mich ihr Schreibstil noch mehr mitreißen und begeistern kann.
Ein paar Dinge im Buch sind mir aufgefallen. Der „Imbusschlüssel“ (eBook S. 261/287) lässt sich vielleicht mit der eingesetzten Umgangssprache rechtfertigen, aber so etwas wie „gest0ßen“ (eBook S. 143/287) reißt mich unnötig aus meinem Lesefluss.
Fazit
Ehrlich gesagt: Ich war froh, als ich es hinter mir hatte. Die Schilderungen in „Liebe ist gewaltig“ sind hart und treffen. Juli wirkt authentisch und lässt uns so nah an sich heran, dass wir mit ihr fühlen. Ich fand den ersten Teil packend, danach zog es sich gefühlt ewig hin. Dennoch würde ich ein neues Buch der Autorin sofort lesen.
Liebe ist gewaltig – Claudia Schumacher
Originaltitel: –
Übersetzung: –
Verlag: dtv
Erschienen: 18.05.2022
Seiten: 376
ISBN: 978-3-423-29015-9
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