Inhalt
Weil ein anonymer Brief Samuel Arthur Fennan, 44, beschuldigt, in den dreißiger Jahren in Oxford bei der kommunistischen Partei gewesen und noch immer ein Sympathisant zu sein, wurde er von dem Nachrichtenoffizier George Smiley routinemäßig einvernommen. Die beiden spazierten durch den Park, besuchten ein Café, verstanden sich prächtig. Die Sache sollte fallengelassen werden. Und doch hat sich der Beamte des Außenamtes erschossen – weil er das Opfer bezahlter Denunzianten geworden ist, so der Abschiedsbrief. George Smiley versteht in „Schatten von gestern“ die Welt nicht mehr. Er besucht Elsa Fennan, mit der Samuel seit acht Jahren verheiratet war – und stößt auf weitere Ungereimtheiten.
Vom „Meister des Spionageromans“
Ja, ein alter Schinken. Wie könnte ich widerstehen, wenn Elizabeth George in „Wort für Wort“ auf Seite 81 schreibt:
„Ich bewundere ihn mehr als jeden anderen lebenden Autor, seinen hervorragenden Stil, seine brillante Technik, seine unglaubliche Kreativität.“
Das Zitat stammt aus ihrem Tagebuch, das sie 2001 verfasste. John le Carré ist Ende 2020 im Alter von 89 Jahren verstorben.
„Schatten von gestern“ erschien 1961 unter dem Titel „Call for the Dead“ als sein Debütroman.
Im zweiten Anlauf
Beim ersten Versuch bin ich nicht über Smileys Backstory hinausgekommen. Ich fand es verwirrend und kaum mitreißend.
Beim zweiten Mal habe ich es bis zu dem Zeitpunkt geschafft, als George Smiley um zwei Uhr nachts mit einem Taxi nach Cambridge Circus fährt – und ab da war ich voll dabei.
Dranbleiben lohnt sich.
Schreibstil/Aufbau
Der Autor schreibt ruhig, aber fesselnd. Beschreibungen bringt er interessant rüber. Ich mochte die spärlich eingesetzten Sprachbilder, z.B. das des Koffers am Anfang. Die Geschichte entfaltet sich langsam und unaufgeregt. Es gibt viel Denkarbeit. Gewaltszenen werden oft angedeutet und nicht auseinandergenommen.
George Smiley ist der Protagonist des Buches. Er ist intelligent, hat ein Herz und ein Gewissen. Wir erfahren eine Menge aus seinem Leben, bekommen eine Idee seiner Gedanken und Gefühle. Wir verfolgen die Geschehnisse aus seiner Sicht – bis wir es nicht mehr tun. Denn plötzlich wird in Mendels Perspektive gewechselt. Das kam unerwartet, hat aber nach kurzer Verwunderung funktioniert. Smiley und der Inspektor teilen sich die Einblicke, ohne dass es einen Ich-Erzähler gibt.
Die Auflösung ist wenig überraschend – und doch hat mich der Roman gut unterhalten.
Ich mochte, dass am Ende alles ausführlich und so lückenlos wie möglich aufgeklärt bzw. von Smiley in einem Bericht zusammengefasst wird. Ein gelungener Abschluss.
Reihenfolge
John le Carré hat dem Beamten des Geheimen Nachrichtendienstes George Smiley eine neun Bände umfassende Reihe gewidmet. Auf Teil 3, der le Carré 1963 den Durchbruch brachte, bin ich besonders gespannt. Die Reihenfolge lautet:
1 – Schatten von gestern
2 – Ein Mord erster Klasse
3 – Der Spion, der aus der Kälte kam
4 – Krieg im Spiegel
5 – Dame, König, As, Spion
6 – Eine Art Held
7 – Agent in eigener Sache
8 – Der heimliche Gefährte
9 – Das Vermächtnis der Spione
Fazit
Der Einstieg hat’s mir schwergemacht, im weiteren Verlauf war ich sehr angetan.
4/5!
224 Seiten / ISBN: 9783548061641 / Übersetzung: Ortwin Munch
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