Stadt der großen Träume – Fredrik Backman

Inhalt

In „Stadt der großen Träume“ steht das Halbfinale der Eishockey-Jugendmeisterschaften an. Björnstadt ist nicht nur mit seiner Juniorenmannschaft dabei, sondern stellt auch den Austragungsort dar. Hoffnung macht sich breit in der sportbegeisterten Stadt, in der die Menschen zusammenhalten – bis etwas passiert, das die Gemeinschaft zu spalten droht…

Einstieg

Kapitel 1 umfasst nur 2 Sätze bzw. 42 Wörter, hat aber all meine Neugier geweckt. Es ist ein Ausblick auf eine Sache, die sich Ende März ereignen wird. Doch die Geschichte beginnt Anfang März, kurz vor dem wichtigen Spiel der Eishockey-Jungen. Björnstadt und seine Bewohner wollen den Sieg unbedingt, weil sie den Sport lieben – und weil mit ihm die Dunkelheit, Kälte und Perspektivlosigkeit von Leidenschaft, Tourismus und Wachstum übertüncht werden könnten. Und so baut sich alles gemächlich auf, ehe es nach dem Spiel im Desaster endet – und irgendwie weitergehen muss…

Eishockey

Ich sag’s mal ganz ehrlich: Ich habe weder Ahnung von Eishockey noch Interesse, etwas daran zu ändern. Aber der Autor hat es geschafft, dass ich so sehr wollte, dass endlich dieses verdammte Spiel stattfindet. Ich war gespannt, wie es ablaufen würde, welche Entscheidungen noch gefällt werden würden. Und ja, ich wollte, dass Björnstadt gewinnt. Obwohl mir der Sport völlig egal ist, hat Fredrik Backman es geschafft, mich mitzureißen, mich für dieses Spiel und seinen Ausgang zu begeistern. Ich fand das großartig!

Über das Menschsein

Der Sport nimmt in dieser Geschichte einen überaus großen Part ein. Aber es geht um so vieles mehr. Es ist eine Story über Veränderungen und die „Was-wäre-Wenns“, die uns wohl alle mal beschäftigen. Es geht um das Gefühl, nie gut genug zu sein. Es geht um das, was wir tun oder nicht tun – und dass manchmal etwas ganz anderes dahintersteckt als das, wonach es aussieht. Es geht um gute und schlechte Entscheidungen, das Richtige und das Falsche, Abhängigkeiten und Loyalität. Es geht um das Menschsein mit allem, was dazugehört.

Kein Wohlfühlroman

Ich bin unvorbereitet an das Buch herangegangen, kannte nur viele sehr gute Sterne-Bewertungen, aber keine Details über den Inhalt. Keine Ahnung, wie ich darauf kam, aber aus irgendwelchen Gründen habe ich einen lockeren Wohlfühlroman erwartet. Doch der ist es nun gerade nicht. Ich fand das Lesen teilweise ganz schön schwer, weil so viele unterschiedliche Gefühle und Schicksale auf mich eingeprasselt sind, mit denen ich erst einmal klarkommen musste. Es gibt auch lustige Stellen, schöne. Aber insgesamt ist es eher eine melancholisch stimmende Geschichte. Ich war zeitweise ganz betrübt davon, wie alles den Bach runterging. Das soll allerdings nicht negativ klingen. Das Buch ist realistisch. Es zeigt tragische Wahrheiten auf. Es hat mich berührt. Und das ist gut.

Charaktere

Es gibt keine richtige Hauptfigur, jedenfalls keine einzelne. Da sind so viele Personen, deren Leben wir verfolgen. Ich bin ja ein bekennender Fan der Ich-Form, aber die konnte ich mir hier sowas von abschminken. Und ganz ehrlich: Ich habe sie keine Sekunde lang vermisst. Hier wird erzählt – und zwar über viele. Und das macht der Autor gran-di-os. Ich konnte die vielen Figuren auseinanderhalten, ich konnte mit ihnen hadern, ich konnte ihre Gefühle spüren. Ich könnte mich auch im Nachhinein nicht festlegen, wen ich am gelungensten fand. Vielleicht Benji, der zwar rabiat rüberkommt, das Herz aber am rechten Fleck hat und das – ganz ohne es zur Schau zu stellen – auch zeigt. Ich mochte Amat, der zwar klein, aber auf dem Eis am schnellsten von allen ist, der ein – in beide Richtungen – anrührendes Verhältnis zu seiner Mutter hat und in große Gewissenskonflikte gerät. Ich habe sehr mit der Familie Andersson gefühlt. Manchmal war ich richtig sauer wegen der Ungerechtigkeiten, z.B. im Fall von Sune – und natürlich grenzenlos im Fall von Maya.

Besonders toll fand ich, dass nicht jede Figur direkt sympathisch dargestellt wird. Mi(r)a mochte ich z.B. anfangs nicht wirklich, aber der Autor gewährt uns immer wieder auch einen Blick hinter die Fassade – und zeigt uns, dass da oft die ganze Wahrheit liegt.

Erzählstil

Fredrik Backman erzählt die 50 Kapitel umfassende Geschichte zwar größtenteils ruhig, sich langsam aufbauend, aber stets interessant und unglaublich feinfühlig. Selbst als er in den Anfängen den Ort beschreibt, was ihn ausmacht usw., selbst diese Beschreibungen waren toll zu lesen. Er hat ein riesengroßes Erzähltalent, das er uns hier in seiner ganzen Pracht präsentiert. Ich habe sowohl am Anfang als auch mittendrin und zum Ende hin immer mal wieder gedacht: „Mann, wie toll ist das eigentlich geschrieben?“ Ich bin wirklich begeistert davon, wie der Autor es geschafft hat, seine Idee zu Papier zu bringen. Besser hätte das meiner Meinung nach nicht umgesetzt werden können. Es hat mich so sehr gepackt, dass ich, wenn ich nicht gelesen habe, an den Inhalt gedacht habe. „Stadt der großen Träume“ ist definitiv ein Buch, das nachhallt.

Reihenfolge

„Stadt der großen Träume“ ist der Auftakt einer Reihe. Und das freut mich wahnsinnig!

Mit „Wir gegen euch“ gibt es bereits eine Fortsetzung der Björnstadt-Reihe. Band 3 ist Anfang Oktober 2021 in Schweden erschienen, aber noch nicht übersetzt.

„Beartown“ heißt die Verfilmung, die in den USA 2020 als Miniserie erschienen ist. Wenn sie in Deutschland erscheint, werde ich sie schauen, bin aber sehr unsicher, ob sie überhaupt die Möglichkeit hat, mir auch nur annähernd so gut zu gefallen wie das Buch, weil der Erzählstil für mich das Besondere war.

Fazit

„Stadt der großen Träume“ ist mitnichten ein Wohlfühlroman. Es ist ein Buch über eine Eishockey-Stadt – und ganz besonders über das Menschsein. Ein Drama, das voller Gefühle steckt, die ich alle gespürt habe. Die Charaktere sind gelungen, der Stil ist überragend. Die Perspektivwechsel funktionieren, die Cliffhanger machen es extra spannend. Ich habe hier nichts auszusetzen. Echt nicht.

5/5!

Stadt der großen Träume: Roman

512 Seiten / ISBN: 978-3-596-29929-4 / Übersetzung: Antje Rieck-Blankenburg


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