„Unter den Menschen“ von Mathijs Deen ist eine späte, eher unbequeme Coming-of-Age-Geschichte mit ausgefallenen Figuren und skurrilen Szenen.
Inhalt
„Bauernsohn sucht Frau. Wohnt allein. 80 ha.“ – Das ist die Zeitungsanzeige von Jan, dessen Eltern vor wenigen Monaten verunglückten. Er erhält vier Zuschriften, entscheidet sich für die kurze Nachricht von Wil, die in erster Linie von einem Heim mit Meerblick träumt – und so versuchen die beiden, sich aneinander zu gewöhnen.
Anders als gedacht
Ich warte auf einen Roman, den ich bestellt habe und als Nächstes lesen will. Da ich nicht kann ohne Buch, habe ich ein kurzes gesucht, eins, das ich zwischenschieben kann und beendet habe, sobald das andere eintrifft. Mit 192 Seiten erschien mir „Unter den Menschen“ geeignet, die Inhaltsangabe klang interessant. Ich erwartete – auch mit Blick auf das Cover – etwas Gemütliches, ja, mit eigenwilligen Charakteren, aber letztlich doch eine „harmlose“ Story.
Es kam anders.
Man sollte das „Gespür für das Skurrile“ und die Bezeichnung von „einer ungewöhnlichen Paarwerdung“ von Seiten des Verlages sehr, sehr ernst nehmen.
Zwei Menschen, zwei Pläne
Wir befinden uns auf einem Bauernhof weit im Norden der Niederlande. Es gibt keine Nachbarn. Um seine Post abzuholen, muss Jan, der Kartoffeln, Zuckerrüben und Getreide anbaut, einen Kilometer zurücklegen.
Während er hier einsam ist, schon jetzt – im Dezember – an den Februar denkt, weil dann Strom und Gas abgelesen werden, wird sie magisch angezogen von dem Haus am Deich. Um bleiben zu können, ist sie bereit, einiges in Kauf zu nehmen – auch die Beziehung zu Jan.
Eine Vereinbarung
Wil schlägt vor, es drei Mal zu machen: auf ihre, auf seine und auf was für eine Art auch immer.
Ich dachte mir nichts dabei, drei Verabredungen halt, aber nein, „es“ ist tatsächlich „das Eine“, das Jan zuvor schon so intensiv beschäftigt.
Na gut, wenn beide einverstanden sind usw.: von mir aus. Ich lasse mich darauf ein – bis mir doch wieder jegliches Verständnis fehlt:
"Ihre anfängliche Abscheu vor seinem Körper nahm ab und verflog, obwohl sie sich am Anfang manchmal heftig hatte übergeben müssen, nachdem sie miteinander geschlafen hatten."
eBook S. 114/206, 55,2 %
Dieses Buch enthält viele Stellen, die mir nicht behagten.
Befremdlich
Wenn ich etwas höre/lese/sehe, das mich abschreckt, mir über alle Maßen suspekt erscheint, dann schaue ich genau hin und frage mich, ob das berechtigt ist. Was stößt mich so ab? Kann das so bleiben oder ist das dämlich?
Hier gibt es allerhand Szenen, die mir widerstreben. Und ich glaube, das ist okay – ich bin kein Fan davon, Leute Dinge tun zu sehen, die sie eigentlich nicht wollen.
Allerdings habe ich viel über den Inhalt nachgedacht und was der Autor uns hier zeigt, ist durchaus interessant: Da sind zwei Menschen, die versuchen, zueinanderzufinden. „Normalerweise“ stehen am Anfang Sympathie, Zuneigung oder Ähnliches. Hier haben wir einen Mann, der eine Frau sucht, und eine Frau, die ein Zuhause am Wasser will. Nun steigen sie ein, wo man vermutlich in Beziehungen irgendwann landet: Man versucht, Regeln für das weitere Zusammenleben aufzustellen, Kompromisse zu finden, sich immer wieder anzunähern.
Für mich würde das Konzept ihrer Verbindung nicht funktionieren. Sie entscheiden sich, lieber weniger zu reden, weil sie sonst streiten. Wil verleugnet, wer sie wirklich ist. Es ist alles schwierig. Jeder Weg, mit dem zwei einverstanden sind, ist okay, solange er niemandem schadet, nicht wahr? Für mich bleibt allerdings die Frage, ob sie einen solchen gehen – oder ob Jan und Wil sich nicht letztlich doch schaden damit. Welchen Preis sollte man zahlen, um seinen Träumen näherzukommen?
Ein „Bauernsohn“ wird zum Mann
Jan hat es in seiner Anzeige geschrieben, obwohl er sich hinterher darüber wundert: Er ist ein Bauernsohn. Er sieht sich noch immer so, als Kind. Auch seine Wünsche klingen wie die eines Teenagers, hier einmal die unschuldigere Variante:
"Ich will mein eigenes Leben, so wie jeder, ich will einfach nur eine heiße Frau für mich allein."
eBook, S. 64/206, 30,5 %
Er ist bisher nicht erwachsen geworden, seine Mutter hat, wie wir erfahren, dazu beigetragen. Doch nun reicht es ihm. Ja, dies ist ein Entwicklungsroman, eine späte Coming-of-Age-Story. Und er macht das, was Charaktere müssen in einer guten Geschichte: Er verändert sich. Durchaus. Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, ihn wirklich kennen zu lernen.
Distanziert
Die Figuren wirken gut durchdacht. Jan kam mir anfangs einsam vor, womit ich arbeiten konnte. Doch dann gibt es Gedanken wie diesen:
"Er sucht in ihrem Gesicht nach irgendetwas, das er streicheln, küssen oder zur Not wenigstens schlagen möchte."
eBook, S. 10/206, 4,6 %
Ich mag Figuren, die nicht makellos sind. Aber ein wenig beängstigend ist das schon. Wer ist dieser Typ?
Seine Wutausbrüche unterstreichen, wie viel sich in ihm angestaut hat. Auch seine unbeholfene Art macht bei seiner Vorgeschichte Sinn. Ich kann stellenweise nachvollziehen, wie er sich verhält – aber es bleiben etliche Fragezeichen, weil die Vergangenheit der Charaktere nur angedeutet wird, weil alles auf Abstand gehalten wird.
Wil hat es mir noch schwerer gemacht, dabei hätte sie einiges zu erzählen aus ihrer Kindheit, von ihrer Mutter. Schade, dass so viel Potenzial verschenkt wurde. Natürlich sind rätselhafte Figuren wie diese interessant, aber ich lerne sie lieber tiefer kennen und verstehen.
„Unter den Menschen“
Der Titel. Was will er uns sagen? Dass wir Menschen sind, wie wir sind? Für andere manchmal ein wenig komisch, schwer von Begriff, misstrauisch, schüchtern, voller seltsamer Pläne, großer Hoffnungen und Ängste, Wut und Verletzungen? Und doch kann jeder Sonderling sein Glück finden, so ungewöhnlich die Verbindung auf andere auch wirkt? Wie Jan und Wil, die sich am besten verstehen, wenn sie schweigen? Dass es zahlreiche Deals gibt im Leben und unter den Menschen – und jeder ist okay, solange die Beteiligten (einigermaßen) zufrieden sind?
Dass sowieso jeder sieht, was er sehen will, hört, was er hören will? Dass wir alle unsere Marotten haben und das völlig in Ordnung, weil ganz normal ist unter den Menschen?
Vielleicht.
Aufbau/Stil
Es gibt XI Kapitel auf unter 200 Seiten in der gebundenen Ausgabe.
Wir lesen aus seiner und ihrer Perspektive, wobei es keinen Ich-Erzähler gibt. Teilweise wissen wir mehr als die Figuren.
Die Geschichte dürfte sich in der Mitte der 90er Jahre abspielen, was ich aus der Milchpackung schließe. Erschienen ist die inzwischen überarbeitete Originalausgabe 1997.
Der Autor schreibt locker und flüssig, ich mochte den Schreibstil und dass nie das Gefühl aufkam, es würde nichts passieren. Es geschieht so einiges, auch wenn ich mir vieles davon anders gewünscht hätte. Der Roman ist trotz seiner Eigentümlichkeit fesselnd und die Kämpfe der Protagonisten gegen die Leere, Leerstellen und Unsicherheiten in ihrem Leben lassen nicht kalt.
Fazit
Tja, was war das? Ich könnte es als die schrägste „Liebesgeschichte“ bezeichnen, von der ich bisher gelesen habe, aber eigentlich will ich es nicht so nennen. Ich bin eher bei einer späten Coming-of-Age-Story.
Der Text liest sich stellenweise sehr befremdlich. Es ist keine gemütliche Wohlfühllektüre, für mich war es eine Geschichte, die ich durchstehen musste. Gleichzeitig erkenne ich die mutige Herangehensweise und die Tatsache, dass die Lektüre zum Dranbleiben und Nachdenken bringt, durchaus (an).
Zusammenfassung Unter den Menschen von Mathijs Deen
Dieses Buch ist für dich, wenn du
- über einen Mann lesen möchtest, der erwachsen wird
- mit einer Frau klarkommst, die noch herausfinden muss, wer sie ist, was sie will und wie sie sich treu bleibt
- keine gemütliche Wohlfühllektüre suchst und damit zurechtkommst, dass sich manche Szenen extrem befremdlich lesen und unangenehm anfühlen
- unkonventionelle Texte schätzt, vielleicht sogar Schriftsteller feierst, die sich an "Unaussprechliches" und schwierige Themen heranwagen
Unter den Menschen – Mathijs Deen
Originaltitel: Onder de mensen
Übersetzung: Andreas Ecke
Verlag: mare
Erschienen: 12.02.2019
Seiten: 192
ISBN: 978-3-86648-280-7
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2 Antworten
Ich betrachte die ganze Zeit das Schaf, das da so schräg an der Mauer lehnt …..
Das Buch wäre sicherlich nichts für mich. Dabei würde ich mich wahrscheinlich mehr aufregen als entspannen.
LG Babsi
Ja, dieses Schaf stand für mich für die schrägen Charaktere. Es ist aber insgesamt eine wirklich sehr schräge Geschichte. Ich kann verstehen, dass sie dich aufregen würde. Ich war sehr oft sehr irritiert. Entspannend ist da aus meiner Sicht nichts.
Liebe Grüße