Inhalt
In „Die Musik der Wale“ geht es um Dolores Price. Sie ist 13, als ihr Vater die Familie verlässt. Ihre Mutter muss in eine Klinik, sie kommt zu ihrer kühlen Grandma – und ahnt nicht, dass das Leben noch viel mehr schreckliche Schicksalsschläge für sie bereithält.
Figuren
Wally Lamb hat eine Figur erschaffen, die absolut real wirkt. Dolores bringt ihre Erfahrungen derart authentisch rüber, dass man zeitweise meint, man stecke mittendrin. Obwohl ich herzlich wenig mit ihr gemeinsam habe, konnte ich mich schon fast zu gut in sie hineinversetzen. Das Ausmaß hat mich wirklich verwirrt.
Es ist grausam, durch welche Höllen der Autor das junge Mädchen, später die junge Frau gehen lässt. Es ist fies, dass man nur lesen, aber nichts dagegen tun kann. Man möchte sie umarmen, trösten, ihr Kraft spenden, manchmal auch fragen, ob sie noch ganz bei Sinnen ist und was das alles soll. Man möchte irgendetwas tun. Aber man kann nicht. Man fühlt sich machtlos – ebenso machtlos, wie die Hauptfigur selbst, die keine Chance hat, sich dem Pech, das sie zweifellos verfolgt, zu entziehen. Und so muss Dolores all diese Dinge durchmachen, den Spott überstehen, falsche Entscheidungen treffen und die Konsequenzen tragen, und die Leserschaft ist gezwungen, tatenlos zuzusehen.
Mich hat der Roman sehr berührt. Ich war immer irgendwo zwischen „Oh mein Gott!“, wenn ich mich gefühlt habe, als wäre es nahezu ich selbst, die das alles erlebt; oder „Bitte mach das nicht!“, wenn ich sie vor weiterem Unheil bewahren wollte. Es ist ein langer Weg, den man mit Dolores gehen muss, ehe sie erkennt, dass nicht die ganze Welt schlecht ist, auch wenn es oft danach aussieht.
"Man orchestriert sein Glück, Dolores - man arbeitet daran. Man fängt es nicht auf, wenn es einem entgegengeflogen kommt wie ein Ball." (S. 351)
Und auf diesem steinigen Pfad habe ich sie gern begleitet, wenngleich es nie leicht war.
Eindeutig hat der Autor ein unglaubliches Talent dafür, lebendige Figuren zu entwickeln, die „echt“ auftreten. Jeder hat in diesem Buch sein schweres Päckchen zu tragen und jedem kauft man sein Tun ab. Somit sind auch die Nebenfiguren gut gelungen.
Drama
Ich kann an diesem 571 Seiten langen Buch, das bereits 1998 erschien, nichts aussetzen, jedenfalls nicht, wenn ich akzeptiere, dass es sich um ein Drama handelt. Es ist absolut dramatisch, was Dolores zustößt. Aber sonst wäre es eben kein Drama. Und der Autor wollte es so. Somit gibt es von meiner Seite aus nichts zu kritisieren. Ich war von Anfang bis Ende gefesselt, nachdenklich gestimmt, habe jede freie Sekunde genutzt, um weiterzulesen. Ich habe verstanden, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint, und bin traurig, dass ich nun durch bin. Ich werde das Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge ins Regal stellen. Und Dolores ganz bestimmt nicht so schnell vergessen.
"Die Menschen vergeuden ihr Glück - das ist es, was mich so traurig macht. Alle haben solche Angst davor, glücklich zu sein." (S. 561, 562)
Fazit
Wally Lamb ist ein überaus talentierter Autor – und „Die Musik der Wale“ ist ein berührendes Drama mit tollen Figuren.
Die Musik der Wale: Roman (Heyne Allgemeine Reihe (01))
Mein Dank gilt Vivian, ohne die ich vielleicht nie „Früh am Morgen beginnt die Nacht“ oder „Die Musik der Wale“ gelesen und dann einen großartigen Autor verpasst hätte. Merci.
4 Antworten
Ich habe mir das Buch zum 14. Geburtstag gewünscht und hatte danach echt ein Trauma. Die Geschichte hat mich regelrecht aufgesaugt und ich konnte damals stellenweise nicht fassen wie schlecht und grausam die Welt ist. Das Buch hat mich sehr lange nicht losgelassen und ich könnte es heute nicht noch mal lesen, einfach weil ich damit so viel Schlimmes verbinde…
Kann ich total verstehen! Es ist wirklich heftig, was sie alles mitmachen muss. Und es geht einem wirklich nahe. Mit 14 hätte ich das niemals durchlesen können.
Oh Mann, ich muss das echt mal wieder lesen. Ich habe es auch echt heftig in Erinnerung. 0_o
Da ich eh gerade eine Leseflaute habe, werde ich mir heute Abend mein komplett zerfleddertes Exemplar aus dem Regal ziehen. :-) Vielleicht muss ich da echt mal noch eine Ausgabe kaufen, bevor meine zerfällt …