In „Der Krabbenfischer“ steht Thomas Flett, 20, zwischen Tradition und Wandel, Stillstand und Sehnsucht.
Inhalt
Longferry, England in den 60ern: Längst haben Motorschlepper das klassische Handwerk der Krabbenfischerei abgelöst, aber der 20-jährige Thomas Flett fährt noch immer täglich mit dem Karren seines Großvaters los, um seine Mutter und sich durchzubringen. Er will die Schwester seines Freundes ins Kino einladen, vor Publikum Gitarre spielen – und ist doch zu schüchtern, verlässt den gewohnten Pfad nicht. Als ihn eines Tages nach der Arbeit der amerikanische Regisseur Edgar Acheson zu Hause erwartet, ändert sich jedoch alles.
Eine Entwicklungsgeschichte
Thomas Flett musste die Schule abbrechen, um seine 36-jährige Mutter, die gesundheitlich schon lange nicht mehr auf der Höhe ist, zu unterstützen. Er kennt die irische See, ihre Gezeiten und die Gefahren des Strandes, jedes Senkloch. Er ist ein ungesehener Experte – und so fühlt sich seine Geschichte zunächst hoffnungslos an. Thomas macht, was er muss, er tut, was er kann, doch das, was er liebt, lebt er nur heimlich und in kleinem Rahmen. Dann rauscht der Regisseur Edgar Acheson in sein Leben und dessen Eintönigkeit, ein Mensch, der sich auf das konzentriert, wofür er brennt. Und auch Thomas erlebt ein Abenteuer, das ihn verändert.
"Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich wach war, bevor er hier gelandet ist."
eBook, Erstes Niedrigwasser (2), 87,1 %
Der Regisseur
Es gibt nicht viele Figuren in diesem Buch, lediglich die bedeutsamen finden ihren Platz und der Protagonist steht absolut im Fokus. Über Edgar Acheson erfahren wir nebenbei ein paar Dinge, wobei wir uns am Ende fragen, was davon zu wie viel Prozent der Wahrheit entspricht. Er bringt eine Ambivalenz mit, aber ich mochte ihn für seine Klarheit, die Sätze, die er von sich gibt:
"Ich bin nicht wählerisch. Ich bin nur den Bildern in meinem Kopf treu, das ist alles."
eBook, Zweites Niedrigwasser, 54,3 %
Er ist eine Person, die genau weiß, was sie will – und die das umsetzt. Man könnte sagen: Er ist – wenn auch in seiner Art ein Extrem – der Mensch, den der Protagonist braucht. Denn das, was Thomas fehlt, ist eine klare Vision und der Mut, diese umzusetzen, aus den Einzelteilen seiner Leidenschaften ein funktionierendes Ganzes zu machen, Regie zu führen, sein Leben in die Hand zu nehmen.
Aufbau/Stil
Der Roman ist für mich eine Coming-of-Age-Story: Tom findet seinen Weg, geht aus sich heraus. Er ist am Ende des Buches reifer.
Der Geschichte ist ein Ausschnitt aus dem Gedicht „Day That I Have Loved“ von Rupert Brooke vorangestellt – und dieser passt hervorragend.
Das Zwielicht: Thomas‘ Leben ist weder Leben noch Tod, nicht ganz Tag, nicht mehr Nacht. Er ist zwischen den Welten, in mehrerlei Hinsicht, nicht Kind, nicht Mann – und dann gibt es da diese eine Szene, die das Dazwischen aus mystischer Sicht zeigt.
Lachen, Tränen, Träume – das Emotionale wird unterdrückt, weil das Funktionieren überlebenswichtig ist.
Doch da ist dieses kleine Licht – wie erhält man es sich in einer Realität wie seiner? Er erkennt, dass man manchmal das Ungewisse und Unbekannte hinnehmen, darüber hinweggehen, den Mut aufbringen muss, das Licht wirklich leuchten zu lassen. Erst einmal. Über das wie oft, wie stark kann – sollte – man sich danach Gedanken machen. Aber zunächst muss man etwas wagen. Und darum geht es hier.
Der Autor schreibt ruhig und klar, die Dialoge sind knapp, er schafft es, eine Atmosphäre zu erzeugen, der man sich nicht entziehen kann, auch wenn im Außen manchmal nicht viel passiert. Wir lernen die Hauptfigur und ihre Sehnsüchte kennen, fühlen mit ihr. Das Ende hat mich besonders gefreut, es gibt dem Buch die Wärme, deren Fehlen man anfangs schmerzhaft spürt.
„Der Krabbenfischer“ stand auf der Longlist für den Booker Prize 2025.
Fazit
Ein ruhiger, eindringlicher Roman, melancholisch, aber mit leise hoffnungsvollem Ende.
Zusammenfassung
Dieses Buch ist für dich, wenn du
- dich auf ruhige, atmosphärisch dichte Geschichten einlassen kannst
- dich für das Leben eines Krabbenfischers aus einfachen Verhältnissen interessierst
- Geschichten magst, die sich ganz auf eine Hauptfigur konzentrieren
Der Krabbenfischer – Benjamin Wood
Originaltitel: Seascraper (2025)
Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence
Verlag: DuMont
Erschienen: 15.07.2025
Seiten: 224
ISBN: 978-3-7558-0061-3
Jetzt kaufen*:
Links mit einem Sternchen (*) sind Affiliate-Links. Wenn du einen Affiliate-Link anklickst und im Partner-Shop einkaufst, erhalte ich eine kleine Provision. Für dich entstehen keinerlei Mehrkosten.