Die See – John Banville

Die See - John Banville

In Banvilles Roman „Die See“, der 2005 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, lesen wir von Max Morden, einem trauernden Witwer, der sich an seine Jugend erinnert.
Ein sprachlich herausragendes Buch.

3.5/5

Inhalt

Nach dem Tod seiner Frau besucht Kunsthistoriker Max Morden den Ort, an dem er einst die Sommerferien mit seinen Eltern verbrachte: In Ballyless lernte er die Graces kennen, eine Familie, die eine enorme Anziehungskraft auf ihn ausübte und in der Villa Zu den Zedern wohnte. Doch wieso zieht es ihn zurück? Was ist vor über 50 Jahren hier passiert?

Max Morden

Max heißt gar nicht Max. Das erfahren wir aus einem Gespräch, das er mit seiner Mutter führt. Auch den Ort tauft er um, ebenso die Beteiligten. Viele Namen lassen mehr als eine zufällige Wahl vermuten und sich entsprechend interpretieren.

Wir haben mit dem traumatisierten Max einen unzuverlässigen Erzähler, der schon früh eine Vorstellung von seinem Leben hatte, die ihm Anna, seine nunmehr an Krebs verstorbene Frau, durch ihr Erbe ermöglichte. Und so fiktiv wie die Namen sind teilweise auch die Erinnerungen, die er heraufbeschwört. Alles vermischt sich: Träume, Erlebnisse, Fantasien, dazu der Alkohol – der Zusammenbruch ist vorprogrammiert.

"Ich trinke wie einer, der vor kurzem verwitwet - verwitwert? ist - ein Mensch von geringem Talent und noch geringerem Ehrgeiz, der mit den Jahren grau geworden ist, unsicher und verirrt, einer, der Trost braucht und den kurzen Aufschub eines durch das Trinken hervorgerufenen Vergessens."

Ich weiß nicht recht, was ich halten soll von diesem Protagonisten. Einige seiner Erinnerungen lassen ihn ehrlich, aber unsympathisch erscheinen. Ich mag unvollkommene Charaktere, manches, das er lapidar erwähnt, ist dennoch schwer verzeihlich.
Die Dynamiken wirken insgesamt ungesund.
Max bleibt durch das, was und wie er es erzählt, rätselhaft, auch wenn immer wieder etwas von ihm, von dem, was ihn wirklich ausmacht, durchschimmern mag.

Drei Ebenen

„Die See“ ist ein langer innerer Monolog.

Max erinnert sich an Anna

Seine Ehefrau erkrankte an Krebs und starb innerhalb eines Jahres daran. Er hat eine Tochter mit ihr: Claire, das Verhältnis ist eher schwierig, sie will ihm aus seiner Trauer helfen, doch er kehrt nach Ballyless zurück und möchte niemanden sehen.

Er denkt an seine Jugend

Er erinnert sich an seine Jugend, die durch die Familie Grace dadurch geprägt wurde, dass er zum ersten Mal in seinem Leben Verliebtheiten und Verluste erfuhr. Er war elf, als es ihm Carlos sinnliche Frau Constance angetan hat, sammelte später mit Myles‘ störrischer Zwillingsschwester Chloe erste Erfahrungen. Es ist ein Einblick, der eine Mischung ist aus unschuldig und unanständig. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass er die Familienmitglieder als Götter wahrnimmt, wodurch er zu einem (sündhaften) Beobachter wird.

Er beschreibt die Gegenwart

Max ist zurückgekehrt an den Ort, an dem er die Graces kennenlernte, berichtet uns von seinem Aufenthalt in Ballyless bei Madame Vavasour und Colonel Blunden.

Wir haben also einen trauernden Witwer und einen Jungen. Man fragt sich, wie alles zusammenhängt. Wieso zieht es ihn nach dem Tod seiner Frau wieder in das Stranddorf seiner Jugend, was hat das miteinander zu tun? Um diese Flucht zu verstehen, muss man bereit sein, sich näher mit dem Inhalt zu beschäftigen. Den Roman einfach runterzulesen, wird vermutlich nicht zufrieden machen (wobei der Schreibstil durchaus Freude bereitet).

Es geht um die Vergänglichkeit

Liebe und Tod, diese beiden schlagen ein in das Leben der Hauptfigur, ungefragt, verstörend, unabwendbar.
Es geht um die Vergänglichkeit in „Die See“, um ein Festhalten-Wollen, ein Loslassen-Müssen.

Mehrfach wird Bonnard erwähnt. Max arbeitet an einer Monographie über ihn, aber sie verbindet mehr als Mordens berufliches Interesse: Der Maler hat seine Frau festgehalten, sie verewigt, ein Akt der jungen Version von ihr in der Badewanne, immer wieder, selbst nach ihrem Tod. Der Protagonist will ebenfalls festhalten an anderen Zeiten, an seiner Frau, indem er sich erinnert – eben auch an seine Jugend, denn hier sammelte er ähnliche Erfahrungen – in mehr als einem Punkt. 

Der Titel ist wichtig, die See stellt all das dar, was sich abspielt in der Geschichte. Max steht vor einer Herausforderung: Er muss einen Weg finden, um klarzukommen mit der Situation. Er denkt zurück an all das Weibliche in seinem Leben, beschwört eine Art Wiedervereinigung herauf. Es geht um die Unendlich- und Unberechenbarkeit, ebenso um das Unbewusste und die Erinnerung.

Schreibstil/Aufbau

Gedanken über Gedanken, das kann schnell langweilen. Doch hier kommt sie, die Stärke des Buches: Der Schreibstil, der für das Gegenteil sorgt.
Es wird deutlich, dass Banville ein scharfer Beobachter ist, dem kleinste Details auffallen, die er mühelos in glänzende Sätze verpackt. Ich mochte die gewählten Worte, die Melodie, die sie ergeben.

Manchmal wirkt der Aufbau etwas ziellos, die Zeitsprünge, die Gedanken, nicht chaotisch, nur überraschend fließend. Man muss aufmerksam lesen, bekommt so manche Entgegnung erst, wenn man fast vergessen hat, dass ein Gespräch stattfindet. Es ist viel los in Max, da sind eine Menge Erinnerungen, ein Strom, der nicht abreißt. Aber Banville kann sich das erlauben, er hat es im Griff.

Fazit

Eine Reflexion mit Tiefgang, sprachlich wunderbar festgehalten.

Zusammenfassung Die See – John Banville

Dieses Buch ist für dich, wenn du

Die See - John Banville

Die See – John Banville

Originaltitel: The Sea (2005)

Übersetzung: Christa Schuenke

Verlag: KiWi

Erschienen: 25.11.2015

Seiten: 240

ISBN: 978-3-462-04899-5

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