Kleine Probleme – Nele Pollatschek

Kleine Probleme - Nele Pollatschek

„Kleine Probleme“ ist eine tragikomische Geschichte, die von den großen Dingen erzählt: Von unserem Leben – und dass wir es anpacken müssen – und können. Alle. Irgendwann.

3/5

Werbung, da Rezensionsexemplar

Inhalt

Der 49-jährige Lars steht noch am Anfang, gleichzeitig vor einem Ende und etwas Neuem: Er will es endlich angehen. Alles.
Am Silvestertag (zumindest ab 12:47) wird er das Liegengebliebene erledigen: das Bett seiner Tochter aufbauen, putzen und den Papierkram abarbeiten, das Standardgespräch mit seinem Vater führen, einen Nudelsalat zubereiten und die Regenrinne reinigen. 13 Punkte warten auf einen Haken, in unter zehn Stunden aus der Welt schaffen, was er über Monate hinweg erfolgreich ignoriert hat – das wird sich einfach und schnell erledigen lassen. Oder?

Ach, Lars

Der Protagonist des Buches erinnerte mich anfangs an ein Kind, das von Johanna, die sich wie eine Mutter um ihn kümmert, zu allem aufgefordert und bei allem unterstützt werden muss. Ohne sie geht nichts. Es fiel mir schwer, Verständnis für ihn aufzubringen und mich für seine Geschichte zu erwärmen. Aber hey: Steht uns nicht allen eine Chance zu? Soll nicht auch der Endvierziger und zweifache Vater, der so viel lieber „man“ als „ich“ sagt, zeigen dürfen, was er zustande bringt, wenn es darauf ankommt? Natürlich. Ich wollte, dass er sich den Lorbeerkranz, der in seinem Namen steckt, verdient. Go Lars Cornelius Messerschmitt!

Es geht ums Aufschieben 

Die Geschichte spielt sich an einem einzigen Tag ab, nach und nach erfahren wir, was vorgefallen ist (oder vielmehr unterlassen wurde). 

Es geht in erster Linie um das Abhaken der Liste, darum, wie sich alles aufgetürmt hat. 

Lars befasst sich in „Kleine Probleme“ lang und breit mit der Unwahrscheinlichkeit von Ordnung, die er noch nie beherrscht hat. Aber wozu auch? Er ist ja durchgekommen, oder?

Seit einigen Jahren will er „das beste Buch der Welt“ schreiben. Das Projekt scheitert vor allem an der Dringlichkeit, denn das Leben steckt voller Ablenkungen – und er gibt sich ihnen hin, während er sein Talent im Nicht-Beachten von Prioritäten und Aufgaben auslebt. Ist das schlimm? Er hat ja noch Zeit, oder?

"Wenn es hart auf hart kommt, kann man alles schaffen, aber meistens kommt es weich auf weich, und da bleibt man besser liegen."

Ja, es mangelt ihm an Disziplin und Durchhaltevermögen, doch nun, am 31. Dezember, hat er keine Wahl – und keine Zeit – mehr: Er muss die Liste abarbeiten. Vieles lässt sich aufschieben, aber das?! Nein. Das nicht. Denn er will Johanna zurückzugewinnen. Es kommt hart auf hart – kann er also alles schaffen?

„Kleine Probleme“ behandelt große Dinge bzw. all die kleinen Dinge, die das große Ganze ausmachen: Unser Leben. Der Roman zeigt, dass es utopisch ist, immer alles perfekt machen zu wollen – und wie unnötig das ist. Aber machen, ja, das sollten wir halt schon. Und zwar rechtzeitig.

Ich, du, er

Ich bin dem Protagonisten nie nahegekommen, er bleibt austauschbar – und ich glaube, dass das gewollt ist. Denn wahrscheinlich kennen wir das alle, dass manchmal alles zu viel ist. Wie einen Anfang finden bei all der Unberechenbarkeit und ohne Ende in Sicht? Warum starten, wenn die Zerstreuung auf Knopfdruck erreichbar ist? Wie den Erwartungen der anderen gerecht werden – und unseren eigenen? Vor allem, wenn wir uns wie die „winzigen Wüs“ fühlen, die vor den „viel zu großen Aufgaben“ stehen?

"Nicht immer versagen, nicht immer enttäuschen, sich nicht immer entschuldigen müssen, die Schuld nie wirklich loswerden, immer versprechen, dass jetzt alles anders wird, und dann wird es anders, aber anders ist dann doch nur wieder schlimmer."

Wir sollen uns mit ihm identifizieren – und so schwer das ist, denn er ist wahrlich kein Held: Wer ganz ehrlich ist, der kann das. Bestimmt. Zumindest zeitweise, einige Seiten lang.

Ich habe am Anfang geschrieben, dass es mir schwerfiel, Lars zu verstehen. Und das bleibt in manchen Punkten so. Ich war genervt, ich fand es anstrengend. Aber zwischendrin hatte ich Mitgefühl, habe gesehen, wieso er da ist, wo er ist, was der tägliche Nieselregen mit ihm macht und er zu schaffen versucht.

"Überall heißt es, man solle toxische Beziehungen beenden, aber wie ich mich von mir selbst trenne, das hat mir wirklich noch keiner erklärt."

Ich habe auf dem Dach und Schlitten das Schlimmste befürchtet, mitgefiebert, auf einen guten Ausgang gehofft. Und das ist es, finde ich, was Bücher erreichen sollen: Dass wir etwas fühlen. Haken dran.

Hinter der Fassade

Diejenigen, die sich nicht in den Protagonisten einfühlen können, probieren es am besten bei seiner (Ex?) Partnerin. Denn nicht nur Lars hat Schwierigkeiten, wir haben alle welche – und das zeigt uns Johanna.

Auf den ersten Blick hat die Beamtin mehr als nur ein Leben im Griff. Sie reißt Lars mit, sorgt dafür, dass er klarkommt. Hat sie ihn nach 25 Jahren verlassen, weil er nicht für sich selbst sorgen kann? Vielleicht. Möglicherweise erfahren wir aber auch, dass sie nicht so fokussiert ist, wie es aussieht. Dass sie ebenfalls einen Hang zum Nicht-Hinschauen hat. Wer weiß. Na gut, ich weiß es, werde es jedoch nicht weitersagen.

 Aufbau/Stil

„Kleine Probleme“ besteht aus 13 Kapiteln, die den Namen eines abzuarbeitenden Listenpunkts tragen.

Die Sprache ist sehr einfach und locker, umgangssprachlich und oft wiederholend. Sie spiegelt Lars‘ (Gedanken-) Chaos wider. Die Sätze sind kurz oder kommalastig, manche werden abgebrochen, weil er sie aus emotionalen oder zeitlichen Gründen nicht weiterführen will.

Aktuelle (politische) Themen werden genannt, aber nicht ausgeführt.

Die Geschichte ist nicht lustig, wird allerdings mit einer großen Portion Humor serviert. Ich fand „Kleine Probleme“ – von ein paar für mich „schwierigen Stellen“ abgesehen – ziemlich amüsant.

Besonders gelungen ist, dass der Text viel mehr aussagt, als auf dem Papier steht. Die Autorin ist großartig darin, Metaphern zu finden – und zwar solche, die sich leicht umdeuten lassen. Leider folgen ab und an erklärende Wörter, die eine Art Bestätigung/Hilfestellung darstellen. Diese hätte es nicht gebraucht, sie wirkten auf mich überflüssig und störend.

Übrigens: Wer Danksagungen überspringt, sollte in diesem Fall eine Ausnahme machen. Sonst gibt es auch keinen Haken.

Fazit

Das Leben besteht aus Krisen und Hoffnung, Fehlern und Triumphen, aus einem Anfang und einem Ende – und aus allem dazwischen. „Kleine Probleme“ ist eine tragikomische Geschichte, die davon erzählt: Von unserem Leben, dass wir es anpacken müssen – und können. Alle. Irgendwann.

Anfangs habe ich mich schwergetan mit Lars und seiner Story, letztlich haben mich die kreativen Umschreibungen der Autorin eingefangen und ich konnte mit Lars mitfiebern. Der Humor hat mir größtenteils zugesagt. Ein paar Punkte störten mich, aber insgesamt: lesenswert. ✔

Kleine Probleme - Nele Pollatschek

Kleine Probleme – Nele Pollatschek

Verlag: Galiani Berlin, KiWi

Erschienen: 07.09.2023

Seiten: 208

ISBN: 978-3-86971-240-6

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Deine Meinung

4 Antworten

  1. Es hört sich wie ein sympathisches, sehr bescheidenes Buch an. Im Grunde gar nicht schlecht, wenn die Hitze greint und der Alltag raunt. Ich habe es mir mal vorgemerkt, bedenklich fand ich ein wenig die Vorhersehbarkeit der Wortspiele: „aber meistens kommt es weich auf weich“ … na ja, aber vielleicht ergibt sich daraus der Humor und die Leichtigkeit, dass nicht alles so ernst ist und Platitüden auch reichen :D Viele Grüße und Danke für die Rezension!

    1. Hallo Alexander, endlich schaue ich mal wieder vorbei – und sehe deinen Kommentar. Danke dafür.
      Ich will ehrlich sein: Ich bin nicht sicher, ob dich das Buch begeistern würde. Es hilft, wenn man diese Wortspiele mag oder wenigstens ganz gut verkraften kann. Ich fand sie hier nicht schlecht, weil sie sehr gut zu der Hauptfigur passen.

      Liebe Grüße

  2. Mir hat „Das Unglück anderer Leute“ von Nele Pollatschek sehr gut gefallen, weshalb ich die „kleinen Probleme“ auch auf dem Schirm habe. Danke für die schöne Rezension. Ich dachte erst, 3 Sterne ist ja nur so mittel, aber was ich bei dir lese, gefällt mir. :)

    1. Ja, ich fand’s ganz gut. Nicht herausragend, aber nach einer Weile habe ich es gern gelesen und auch mitgefiebert. Ich mochte vor allem die Metaphern.
      Für mich war es das erste Buch der Autorin, ich schaue mir „Das Unglück anderer Leute“ mal an. :)

      Liebe Grüße

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