Marschlande – Jarka Kubsova

Marschlande - Jarka Kubsova

Interessant und bedrückend:
Jarka Kubsova verbindet in „Marschlande“ die Geschichten von Abelke Bleken, die um 1580 lebte und als angebliche Hexe ermordet wurde, und Britta Stoever, die in den Aufzeichnungen zu Abelke mehr als nur das Schicksal der Hufnerin findet.

4.5/5

Inhalt

Abelke Bleken lebte vor fast 500 Jahren in einem Hufnerhaus in den Marschlanden. Sie war eine Bäuerin, die den Hof allein im Griff hatte – und damit Neid und Unmut auslöste.

Britta Stoever, 45, ist vor Kurzem mit ihrer Familie aus der Stadt nach Ochsenwerder gezogen. Die Geographin arbeitet in Teilzeit, übernimmt die Aufgaben im Haushalt und rund um die Kinder allein. Angekommen ist sie noch nicht in den Marschlanden, sie flüchtet sich in kleine Spaziergänge – und trifft dabei auf den Namen von Abelke Bleken. Sie kann nicht anders: Sie beginnt zu recherchieren – und stößt auf viele Ungerechtigkeiten, die ihr nur allzu vertraut sind.

Starke Figuren

"Den Scheiterhaufen zu errichten, dauerte länger als gewöhnlich."

„Marschlande“ beginnt dramatisch und wirft mit dem ersten Satz Fragen auf: Scheiterhaufen? Warum? Für wen? Und wieso dauert es länger als gewöhnlich, ihn zu errichten? Worum geht es hier?

Eine düstere Atmosphäre wird erzeugt, ohne dass wir wissen, um wen oder was es sich handelt. Nach und nach lernen wir die Figuren kennen, die Protagonistinnen Abelke und Britta. Wir erfahren, wie Erstere lebte, was ihr zum Verhängnis wurde, lesen von der Letztgenannten, die sich mit den Schwierigkeiten der heutigen Zeit konfrontiert sieht – und gleichzeitig in die Vergangenheit von vor fast 500 Jahren abtaucht. Was hat vielleicht schon dort seinen Ursprung?

"Der gefährlichste Moment für eine Frau ist, wenn sie sich wehrt."

Ich finde, dass es der Autorin gelungen ist, zwei Geschichten zu einer interessanten zu verbinden. Abelkes Schicksal hat mich gepackt. Wie schrecklich muss es gewesen sein, schikaniert und durch Lügen zu einem solchen Ende verurteilt zu werden? Auch mit Britta konnte ich fühlen. Sie hat für ihre Familie ihren Beruf in der Forschung an den Nagel gehängt, ist gezwungen, sich mit den Erwartungshaltungen anderer, mit der Gleichgültigkeit und dem Unverständnis ihres Partners sowie dem Mobbing der Tochter auseinanderzusetzen. „Marschlande“ vereint die unterschiedlichen Schicksale zweier starker Frauen: Abelke, die nicht davor zurückschreckt, für sich einzustehen – und Britta, die das gerade zu lernen beginnt. Durch den Schmerz, die Wut, die Verzweiflung, die sie über das Unrecht, das Abelke widerfahren ist, wahrnimmt, spürt sie ihre eigenen verdrängten Gefühle.

Wahre Begebenheiten

Die Geschichte ist fiktiv, aber Abelke Bleken lebte wirklich. Auch die Hexen-Thematik, die erwähnte Deichpflicht sowie das „Bauernlegen“ (die Enteignung des eigenen Hofes) existierten im 16. Jahrhundert.

Ich finde es großartig, dass Frauen wie Abelke in Form solcher Romane ein stückweit ins Leben zurückgeholt werden – und vor allem, dass sie, nachdem sie so viel Ungerechtigkeit erfahren mussten, nun in ein anderes Licht gestellt werden. In das Richtige. Nein, das hilft ihnen jetzt nicht mehr. Aber sie dürfen nicht vergessen, die Demütigungen, das Unrecht nicht stillschweigend hingenommen werden.

"Diese Frauen waren tot, aber was ihnen widerfahren war, war noch immer in der Welt, in einem anderen Gewand, zerstoben, verändert, aber es war noch da, es widerfuhr wieder, es widerfuhr anderen."

Damit sind wir bei Britta, deren Themen ebenfalls real und bedrückend sind:

"Es reichte, eine Frau zu sein, ein Mädchen, das reichte schon, um in Gefahr zu sein, eine Zielscheibe, erst recht, wenn man sich vorwagte, mit etwas herausragte, aus der Rolle fiel, die falschen Wege betrat oder zur falschen Zeit."

Aufbau

Fast 500 Jahre liegen sie auseinander, die Geschichten von Britta und Abelke – und doch haben sie Themen wie Ungerechtigkeit, Macht und Ausgrenzung gemeinsam. Ohne Ich-Erzähler werden beide spannend in sich (zumeist) abwechselnden Kapiteln erzählt. Ich habe das Buch ab Satz 1 bis zum Schluss gefesselt gelesen, auch das Nachwort enthält erhellende Hintergrundinformationen.

Ich dachte zunächst, dass ich Abelkes Part lieber mag. Die Stimmung hat mich gekriegt, die plattdeutschen Einschübe bringen Abwechslung hinein, ich war gefühlsmäßig stärker dabei. Daneben wirkt die Darstellung von Brittas Alltag einfach, weniger raffiniert. Vertrauter. Letztlich hat mich ihr Teil aber ebenso überzeugt.

Das Verbinden von Vergangenheit und Gegenwart, die Beschreibung der rauen Landschaft und den Schreibstil von Jarka Kubsova mochte ich schon in ihrem Debüt „Bergland“. Sie schreibt Romane, die für mich funktionieren. Die mitreißen. Die flott lesbar sind, traurig, aufrüttelnd, berührend. In denen Sätze auf die offensichtliche Art mehr bedeuten, als auf den Seiten steht. Ihre Bücher enthalten Geschichten, die es unbedingt wert sind, erzählt zu werden – und gehört.

Fazit

Interessant, bedrückend, lesenswert: Jarka Kubsova verbindet in „Marschlande“ die Lebensgeschichten von Abelke Bleken, die vor fast 500 Jahren tatsächlich lebte und als angebliche Hexe ermordet wurde, und Britta Stoever, die in den Aufzeichnungen zu Abelke mehr als nur das Schicksal der Hufnerin findet.

Marschlande - Jarka Kubsova

Marschlande – Jarka Kubsova

Verlag: S. Fischer Verlage

Erschienen: 30.08.2023

Seiten: 320

ISBN: 978-3-10-397496-6

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Deine Meinung

2 Antworten

  1. Marschlande liegt hier auch noch herum, und ich bin bislang nicht zum Lesen gekommen. Die ersten Seiten wirkten bereits sehr intensiv nach, und deine Besprechung legt ja nahe, dass es auch so bleibt. Es gibt so viel zu lesen, aber immerhin habe ich mir jetzt die Frau in den Dünen gekauft. Danke für deine schönen Besprechungen!! Viele Grüße!

    1. Danke für deinen Kommentar. :)

      „Marschlande“ hat mich gefesselt, der Part um Abelke mehr, aber letztlich ist es ein gelungenes großes Ganzes.

      An „Die Frau in den Dünen“ muss ich tatsächlich noch ab und an denken. Ich bin gespannt, wie du es findest.

      Liebe Grüße

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