Seltsame Sally Diamond – Liz Nugent

Seltsame Sally Diamond - Liz Nugent

„Seltsame Sally Diamond“ ist ein starkes Buch: düster, fesselnd, schockierend, traurig, teils amüsant, mit interessanten Hauptfiguren. Ich hab’s so gern gelesen!

4.5/5

Werbung, da Rezensionsexemplar

Inhalt

Weil Sally Scherze wörtlich nimmt, landet ihr Adoptivvater, der Psychiater Thomas Diamond, in der Feuertonne – und sie in den Schlagzeilen. Die 42-Jährige wurde mit sieben adoptiert, hat keine Erinnerung an ihr Leben davor, bezeichnet sich selbst als „sozial defizitär“. Die drei Briefe, die ihr Tom hinterlässt, sowie (zunächst) anonyme Postsendungen aus Neuseeland bringen nach und nach die schreckliche Wahrheit ans Licht: Was hat Sally Diamond als Mary Norton erlebt?

Einstieg

"Entsorg mich mit dem Müll", sagte er immer.

Was für ein erster Satz. Was für eine ganze erste Seite, denn da die Diamonds ihren Müll stets verbrennen, steckt Sally ihren Adoptivvater in die Feuertonne, überschüttet ihn mit Benzin und zündet ihn an. Das Ganze fliegt nicht etwa durch einen Zeugen auf, sondern dadurch, dass sie den Vorgang für normal hält und in der Postfiliale in Carricksheedy selbst erzählt, um zu rechtfertigen, dass sie die Rente ihres Dads fortan nicht mehr abholt. Ups.

Sally Diamond

Als seltsam wird Protagonistin Sally bezeichnet, denn sie ist anders, ohne dass eine der gängigen Bezeichnungen zu ihr passt. In einem seiner Briefe schreibt ihr Adoptivvater Thomas:

"Wegen dieser Kindheitserfahrungen bist du manchmal emotional abgekoppelt, von dir selbst und von anderen."

Und:

"Bei dir hätte man eine Angststörung oder eine PTBS diagnostizieren können. Manch einer hätte womöglich sogar behauptet, es liege eine Autismus-Spektrum-Störung oder eine Bindungsstörung vor. Tatsächlich bist du einfach ein bisschen seltsam, mehr nicht."

Am liebsten bleibt Sally drinnen; muss sie raus, stellt sie sich überwiegend taub. Man könnte sagen: Sie hat immer in einer Art Gefangenschaft gelebt, früher in einer tatsächlichen, später in einer (mehr oder weniger) freiwilligen. Insofern hatte sie nie Freunde – und damit hat Liz Nugent eine Hauptfigur geschaffen, die ein enormes Veränderungspotenzial birgt. Ich habe nicht nur die Frage, was Sally als Kind erlebt hat, mit Spannung verfolgt, sondern auch ihre Entwicklung.

Peter

Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, zunächst von Sally in der Ich-Form, im zweiten Teil kommt ein Erzähler hinzu: Peter. Ich gebe es zu: Anfangs habe ich mich schwergetan, fand seine Reaktionen unglaubwürdig. Nach und nach konnten auch seine Einblicke mich überzeugen. Letztlich ist sein Part nicht weniger spannend oder komplex als Sallys, im Gegenteil: Er hat eigene Erinnerungen an seine Vergangenheit, musste schwerwiegende Entscheidungen treffen. Ich lese mit Vorliebe über Figuren wie ihn, Menschen, über die ich so gerne sagen möchte: Ich sehe da etwas, er hat einen Funken Gutes, ein Herz. Er ist nicht böswillig. Das geht aber nicht so einfach, denn er hat zu viel Schlechtes erlebt, weshalb er alles andere als ein sympathischer und astreiner Charakter ist. Das macht mich wahnsinnig. Ich habe sehr mitgefiebert – und das Ende … das Ende.

Aufbau

Das Buch besteht aus drei Teilen und 56 Kapiteln. Wir springen hin und her zwischen Irland und Neuseeland, Gegenwart und Vergangenheit, Sally und Peter, die aus der Ich-Perspektive erzählen.

Es handelt sich bei „Seltsame Sally Diamond“ um eine düstere Geschichte, die Themen wie Kindesentführung und -misshandlung sowie Rassismus thematisiert. Es gibt humorvolle Stellen, die das Ganze auflockern. Eine Wohlfühllektüre haben wir hier unter keinen Umständen, aber einen packenden Psychothriller, den ich verschlungen habe und der zum Mitfühlen bringt.

Am 29.11.2017 verbrennt Sally den 82-jährigen Thomas Diamond, am Ende des Buches herrscht das Corona-Virus. Auch die Vergangenheit wird beleuchtet, so dass wir einen umfassenden Eindruck von Sallys und Peters Leben bekommen.

Eine Enttäuschung zum Abschied?

Es ist schwer, das Ende zu lesen, weil es kein glückliches ist. Ich kann alle verstehen, die nach Kapitel 56 sauer sind. Aber ehrlicherweise passt es zum Inhalt. Es verdeutlicht die schlimmen Auswirkungen solcher Erlebnisse, zeigt uns kein Happy End fernab der Realität. Man lässt so etwas nicht einfach hinter sich.
Wir haben auf Sallys Seite ein Auf gesehen und am Schluss ein Ab – bleibt zu hoffen, dass für sie wieder bessere Zeiten kommen.
Der Prolog zeigt uns eine dritte Perspektive – und hier lese ich zweierlei. Einerseits, durch etwas, das ich aus Spoilergründen nicht benennen will, symbolisiert: Die Vergangenheit kann hartnäckig sein. Und andererseits ist da Hoffnung. Es kann etwas Gutes aus einem werden, unabhängig davon, was man erlebt hat und wo man herkommt. Ein Kreislauf kann unterbrochen, Leid muss nicht ewig weitergegeben werden. So lese ich das.

Fazit

„Seltsame Sally Diamond“ ist ein starkes Buch: düster, fesselnd, schockierend, traurig, teils amüsant, mit interessanten Hauptfiguren. Ich hab’s so gern gelesen!

Seltsame Sally Diamond – Liz Nugent

Originaltitel: Strange Sally Diamond (2023)

Übersetzung: Kathrin Razum

Verlag: Steidl

Erschienen: 30.05.2024 / 16.05.2024 

Seiten: 337

ISBN: 978-3-96999-322-4

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Deine Meinung

4 Kommentare

  1. Anhand des Covers würde ich mir dieses Buch überhaupt gar nicht näher anschauen. Deine Rezension liest sich allerdings interessant. Wenn mir das Buch über den Weg läuft, greife ich zu.

    1. Tatsächlich reizt mich das Cover auch nicht besonders, aber ich fand den Titel interessant – und nach der Beschreibung war mir klar, dass ich es lesen muss. Bin gespannt, wie es dir gefällt, ich fand’s echt gut. :)

  2. Wow, das klingt richtig gut und nach einem Buch für mich. Wird es auch blutig oder steht mehr Psycho als Thriller im Vordergrund? :)
    Kommt auf jeden Fall auf meine Wunschliste.
    Liebe Grü´ße
    Marie

    1. Oh ja, mir hat es auch wirklich gefallen.

      Es ist – vor allem in Peters Anfängen – ein wenig blutig, aber nicht sehr. Vieles wird nur angedeutet, ohne dass wir „live“ dabei sind. Es ist mehr Psycho als Thriller in meinen Augen.

      Liebe Grüße :)

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