Tagebücher – John Cheever

Inhalt

John Cheever schrieb nicht nur Stories und Romane, er führte auch Tagebücher. Das vorliegende Werk ist ein Auszug aus diesen, es umfasst seine Gedanken, Gefühle und Erlebnisse aus mehr als 30 Jahren, wobei es sich lediglich um „[…] vielleicht ein Zwanzigstel der Gesamtheit der Tagebücher […]“ (S. 553) handelt.

Eine etwaige Veröffentlichung brachte der US-amerikanische Schriftsteller Ende 1979 ins Spiel. Er starb 1982, 1991 kam die Originalausgabe heraus.

Cheevers Sohn Benjamin sagt im Vorwort:

"Er wollte anderen zeigen, daß ihre Gedanken nicht undenkbar waren." 
(S. 13)

Und dieser Satz bereitet ganz gut auf den Inhalt vor.

Berührend ehrlich

"Ich bin ein einsamer Trinker."
(S. 141)

John Cheever war ein Mensch, der hart mit sich ins Gericht ging, sich verglich und selbst den Kürzeren zuschob. Das hat er durch seine Worte aufs Papier gebracht, das lese ich aus seinen Zeilen. Auf den Seiten hadert er mit der Trinkerei und dem Rauchen, ist unzufrieden mit seinen Kindheitserinnerungen, in seiner Ehe und mit seinen sexuellen Neigungen. Er kritisiert sein Talent, seinen Schreibstil. Der Schriftsteller sehnt sich nach Lob, Zuneigung und einem einfachen Leben, schämt sich häufig.
Seinen Mitmenschen, denen, die er liebte, zeigte er nur einen Bruchteil von sich. Umso wertvoller finde ich die Aufzeichnungen, die mir klar gemacht haben, wie viel von ihm in seinen Stories steckt.

"Ich bin zu mehr Glück fähig; warum bin ich nicht so glücklich wie in den goldenen Herbsttagen?" 
(S. 63)

Ich glaube, dass diese intime Sammlung für Fans von Cheevers Prosa interessant – und insbesondere für seine Angehörigen von unschätzbarem Wert ist. Er zeigt sich verletzlich, deutet auf seine Fehler. Kaum jemand ahnte, wie der Autor fühlte, mit was für Sorgen und Ängsten er sich herumschlug – auch seine Familie war nicht vollumfänglich im Bilde. Dass sie der Veröffentlichung zustimmte, finde ich bemerkenswert. Er liebte sie alle, seine Ehefrau Mary, seine Tochter Susan, seine Söhne Benjamin und Federico, das steht für mich außer Frage. Trotzdem kommen sie nicht immer gut weg, ungefilterte Gedanken sind scharfe Geschosse. Und doch gaben sie das Material frei. Geschlossen. Eine Entscheidung, die Anerkennung verdient.

Aufbau/Stil

1952 fangen die abgedruckten Aufzeichnungen an, kurz vor seinem Tod im Jahre 1982 enden sie. Sie sind nicht auf den Tag genau datiert.
Es gibt ein Vorwort von Cheevers Sohn Ben sowie ein Nachwort des Herausgebers.

Ich dachte nicht selten, dass wir uns im Kreis drehen, was okay ist, weil es keine Fiktion ist; die Tagebucheinträge mussten nicht dramatisch gestaltet und schöngefärbt werden, sie waren das, was er als sein Leben wahrgenommen hat. Die Offenheit und Ehrlichkeit beeindruckte mich. Denn auch wenn keines der Ringbücher begonnen wurde, um veröffentlicht zu werden, muss man es erst einmal schaffen, seine Gefühle derart ungehemmt herauszulassen und zu verewigen. Alles, was er festgehalten hat, war in der Welt – zunächst verborgen vor anderen Augen, aber dennoch. 

Ich habe mir einige Sätze markiert, weil sie etwas in mir ausgelöst haben. Manches wird nur erwähnt, nicht detailliert berichtet, doch die Feinheiten, auf die er achtet, seine Beschreibungen von Licht und Luft sind herausragend. Schon in seinen Stories fand ich es bemerkenswert, dass alles eine Bedeutung hat. Hier ist es genauso, kein Vermerk kam mir nichtssagend vor. Selbst wenn es um Alltägliches geht, überzeugt er mit seiner Wortwahl. Er kämpfte gegen vieles, das mir fremd ist, fühlen konnte ich es durch seine Ausführungen dennoch. Eine niederdrückende, aber lohnende Lektüre.

Rar

Es ist nicht leicht, an „Tagebücher“ von John Cheever zu kommen. Gedruckt wird es nicht mehr, außer man kann/möchte es auf Englisch lesen.

Ich habe die Hardcoverausgabe über booklooker bestellt. Aktuell gibt es dort ein einziges Angebot – im dreistelligen Bereich. Ich habe weniger ausgegeben, aber mehr als für andere (neue oder gar gebrauchte) Bücher dann doch. Und ich bereue nichts.

Fazit

Ein trauriges Werk. Mir wird John Cheever als brillanter Autor und einsamer Mensch in Erinnerung bleiben, als komplexe Persönlichkeit, die viele Talente hatte – zum Beispiel das der Selbstreflexion, wenn sie auch selten zu einem befriedigenden Ergebnis führte.

4/5!

 

 

555 Seiten / ISBN: 3 498 00896 X / Originaltitel: The Journals of John Cheever / Übersetzung: Matthias Müller / Herausgeber: Robert Gottlieb


 

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