Was damals geschah – Lisa Jewell

Inhalt

Dreh- und Angelpunkt in Lisa Jewells Roman „Was damals geschah“ ist eine 12-Zimmer-Villa in der vornehmsten Straße von Chelsea. Damals spielte sich hier eine Tragödie ab, die in den späten 1980ern anfing und mit drei Toten, vermissten Jugendlichen und einem lebendigen Baby endete. Das Mädchen, seinerzeit 10 Monate alt, wurde von irgendjemandem noch ein paar Tage nach dem Tod der Erwachsenen versorgt. Heute heißt sie Libby Jones, ist 25 und erbt das mehrere Millionen Pfund teure Haus ihrer leiblichen Eltern mit Blick auf die Themse. Aber was soll sie tun damit? Verkaufen? Ihre Vergangenheit lässt ihr keine Ruhe. Mit Hilfe eines Journalisten beginnt sie zu recherchieren – und trifft auf ungebetenen Besuch…

Pageturner

Das Buch ist ein wahrer Pageturner! Für mich ist die Stärke insbesondere im Schreibstil zu finden. Die Autorin hat es geschafft, mich direkt gefangen zu nehmen. Ich war gespannt, was in dieser rätselhaften Story wohl alles enthüllt werden würde. Der Text lässt sich dabei so flüssig lesen, dass ich förmlich durch die Seiten gehetzt bin. Häufig ist es so, dass ich lese, irgendwann auf die Uhr schaue und denke: ‚Huch, schon so spät?!‘ Hier hat mich der Blick auf die Uhr manchmal genauso überrascht, aber auf eine andere Art und Weise – nämlich weil es eben noch nicht so spät war, wie ich dachte, ich aber so weit gekommen bin, als hätte ich ewig gelesen. Die Seiten lesen sich weg wie nichts. Völlig mühelos. Lisa Jewell kann knackig und temporeich schreiben, Spannung erzeugen und fesseln. Durch die Perspektivwechsel liest sich der Roman abwechslungsreich. Die Dialoge wirken authentisch. Das Buch hat eine richtige Sogwirkung auf mich gehabt. Für den leichten, aber effektiven Stil gibt’s alle Punkte von mir!

In der Übersetzung sind mir allerdings einige Unstimmigkeiten aufgefallen, etwa vergessene oder doppelte Wörter, eine Namensverwechslung. Das ist natürlich keine Katastrophe, aber in der hier feststellbaren Häufung fand ich es nervig. Wer wird schon gern ständig kurz aufgehalten – noch dazu im perfekten Leseflow?!

Drei Perspektiven

Der Aufbau hat für mich gut funktioniert. Es gibt 69 Kapitel, die in zwei Zeitformen aus drei Perspektiven erzählt werden:

Wir lesen aus Sicht der Ordnungsfanatikerin Libby, die mit ihrem 25. Geburtstag Erbin des Anwesens geworden ist. Sie ist bei Adoptiveltern aufgewachsen, arbeitet heute bei einem Hersteller von Luxusküchen, lebt bescheiden und günstig. Ihre Vergangenheit wirft viele Fragen auf: Wer hat sie gepflegt, als die drei Erwachsenen in dem Haus schon tot waren? Warum haben sich ihre Eltern und der Unbekannte überhaupt umgebracht?

Lucy Smith ist 39 und lebt mit ihrem 12-jährigen Sohn Marco und ihrer 5-jährigen Tochter Stella seit Kurzem auf der Straße. Sie hat eine schlimme Vergangenheit und will von Frankreich nach London – hat jedoch keine gültigen Reisepässe. Hier stellt sich natürlich die Frage, inwiefern sie in dieser Geschichte eine Rolle spielt. Ich hatte ziemlich schnell meine Theorie – und die war richtig. Trotzdem fand ich ihren Teil spannend, weil ich mitgefiebert habe, ob und wie sie es nach England schafft – und was dort passiert.

Außerdem berichtet Henry aus der Vergangenheit. Er war Ende der 1980er, als die Geschehnisse im Haus ihre Anfänge nahmen, fast 11 Jahre alt. Seine Erzählungen diese Zeit betreffend enden etwas mehr als fünf Jahre später. Henry tritt als einziger Ich-Erzähler auf. Seine Einblicke sind interessant und schockierend – und sie liefern die Antworten auf Libbys Fragen.

Nicht perfekt, aber unterhaltsam

Die Geschichte an sich ist nichts Neues, viele der Twists konnte ich erahnen. Bei dem einen oder anderen Umstand habe ich mich am Ende gefragt, was das Ganze eigentlich sollte, so richtig überzeugt hat mich der Erklärungsversuch nicht. Auch erschienen mir die Charaktere allesamt eher distanziert. Insgesamt kann ich aber nicht meckern, was – wie erwähnt – insbesondere am flott lesbar verfassten Text und nicht allzu sehr am Plot selbst liegt. Ich hatte einfach Spaß am Lesen, wurde gut unterhalten, auch wenn nicht viel wirklich Überraschendes passiert.
Durch den Schreibstil hatte ich eine Art Thriller-Feeling, wodurch ich auf einen großen Knall am Ende gewartet habe, ohne dass er für mich eingetreten wäre. Aber das ist okay, es ist ein Roman, ein sehr fesselnder Roman. Das letzte Buch, das ich gelesen habe, konnte ich ohne Schwierigkeiten zur Seite legen. Ich hatte unglaubliche Lust auf ein packendes Buch – und so eines war „Was damals geschah“ für mich. Es war genau das, was ich gerade brauchte. Und ich kann nachvollziehen, dass „The Family Upstairs“ auf Platz 1 der UK-Bestsellerliste stand, auch wenn ich nicht restlos begeistert bin.

Fortsetzung

Es gibt mit „The Family Remains“ eine Fortsetzung, was durchaus Sinn ergibt, weil Libbys Vergangenheit zwar geklärt, einige (gewichtige) andere Dinge aber noch offen sind. Die Inhaltsangabe dieses noch nicht übersetzten Buches sollte man aber nur lesen, wenn man „Was damals geschah“ bereits beendet hat, ansonsten nimmt sie zu viel vorweg.

Fazit

„Was damals geschah“ lässt sich super schnell runterlesen. Der Stil hat mich überzeugt, das Lesen hat Spaß gemacht. Die Übersetzung enthält allerdings einige Fehler, Teile des Familiendramas sind vorhersehbar, die Charaktere bleiben auf Distanz und das Buch wird mir nicht lange in Erinnerung bleiben. Ich vergebe

3,5/5,

würde aber eher auf- als abrunden.

Was damals geschah: Roman

432 Seiten / ISBN: 978-3-8090-2732-4 / Übersetzung: Carola Fischer


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