Von hier bis zum Anfang – Chris Whitaker

Inhalt

Vor drei Jahrzehnten verlor Star Radley ihre Schwester Sissy. Sie kam nie darüber hinweg, kann sich in „Von hier bis zum Anfang“ kaum um sich selbst, geschweige denn um ihre Kinder Duchess und Robin kümmern.
Die 13-jährige Duchess bezeichnet sich als Outlaw, managt alles, so gut es geht. Doch vor manchen Dingen kann auch sie ihre Familie nicht beschützen.

30 Jahre saß Vincent King im Gefängnis, nun kommt er nach Cape Haven zurück. Sein Jugendfreund Walk ist inzwischen Chief – und hält weiter zu ihm. Dass Vincent kurz nach seiner Freilassung wieder Schuld auf sich geladen und das Leben der Radleys erneut zerstört hat, will Walk nicht wahrhaben. Doch sein Glaube allein reicht nicht.

Zwei Perspektiven…

Die Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt, nämlich aus Sicht der 13-jährigen Duchess, die viel zu früh erwachsen werden musste, und aus der von Walk, dem loyalen Chief von Cape Haven.

Ich mochte beide Einblicke, so verschieden sie auch sind:

Duchess Day Radley sieht sich als Outlaw, kommt unerschrocken rüber. Ihre liebevolle und verantwortungsbewusste Art überspielt sie, indem sie hart auftritt und mit Schimpfwörtern um sich schmeißt. Sie ist kein einfacher Charakter, aber ich habe sie mit der Zeit ins Herz geschlossen. Ihr Umgang mit ihrem 5-jährigen Bruder hat mich berührt, immer – und ganz besonders am Schluss. Ihre Tränen spiegelten sich in meinen Augen. Sie ist eine Kämpfernatur und eine starke Protagonistin.

"'Niemand hat die Kontrolle. Außer demjenigen, der bereit ist, loszuziehen und sich zu nehmen, was er oder sie will.'" 
(S. 381, Kap. 40)

Chief Walker kommt grundanständig daher. Er wollte schon mit 15 Polizist werden, meidet Konfrontationen, versucht zu schlichten, wo es geht. Er hängt in der Vergangenheit fest, klammert sich an die Erinnerungen an seine Jugend, eine Zeit, die auf tragische Weise ein abruptes Ende fand. Ich mochte Walk, er war mir von Anfang an sympathisch. Dadurch, dass er sich bisher wenig weiterentwickelt hat, ist eine Menge Potenzial für Veränderungen vorhanden – und er nutzt es. Ich habe seinen Weg und seine Entscheidungen gespannt verfolgt.

… und viele Tragödien

Duchess kämpft für ihre Familie, Walk für die Radleys, Vincent und die Gerechtigkeit gleichzeitig. Beide stoßen an Grenzen, überschreiten sie.

„Manchmal wunderte er sich darüber, was Menschen auf sich nahmen, um diejenigen zu beschützen, die sie liebten.“
(S. 388, Kap. 41)

Die Tatsache, dass es für viele der Beteiligten ums Ganze geht, macht die Geschichte dramatisch. Es geht nicht um etwas, es geht um alles. Man weiß, was auf dem Spiel steht, fühlt automatisch stärker mit den Figuren mit.

Der im Jahre 2005 spielende Roman hält viele angeschlagene und zerbrochene Seelen und Leben bereit. Es gibt eine Menge traurige Schicksale, einiges zum Mitfühlen. Das Buch ist hart. Ehrlich. Es ist (fast) zu viel, was Duchess und Robin durchmachen müssen. Es tut weh, ist herzzerreißend, auch wenn der Inhalt hin und wieder durch humorvolle Sätze aufgelockert und man nicht ohne Hoffnung zurückgelassen wird.

Es gibt allerhand freundliche Menschen, die – wie beispielsweise Dolly – oft unkonventionell auftreten. Die, die nicht so wirken, kriegen ebenfalls gute Seiten verpasst, was ich absolut gelungen fand. Die Charaktere sind insgesamt toll geworden, gerade weil sie auf den ersten Blick oft fragwürdig erscheinen. Die meisten Figuren lernen wir erst zum Schluss wirklich kennen, weil die Wahrheit oft verborgen liegt.

Überraschend

Es wird nicht immer alles sofort klar ausgesprochen. Manches bleibt bewusst vage, ehe es ein paar Sätze später konkretisiert wird. Ich mochte das.

Die Geschichte hat mich überrascht. Mehrfach. Ich habe über deutlich lahmere Theorien nachgedacht. Es ist anders, als es scheint, in vieler Hinsicht. Trotzdem sind die Enthüllungen glaubhaft. Die besten Auflösungen sind die, die unerwartet, aber dennoch überzeugend sind – und solche bekam ich hier mehr als einmal.
Es gab ein paar Längen. Das Ende und seine Überraschungen haben mich dazu verleitet, diese zu vergessen und Chris Whitaker die volle Punktzahl für sein Buch zu geben. Ich mache es nicht. Aber ich war in Versuchung, kann alle 5*-Bewertungen nachvollziehen.
„Von hier bis zum Anfang“ ist kein rasanter Thriller. Es ist ein trauriger Roman, der sich langsam aufbaut, mit Landschaftsbeschreibungen, die ich nicht wie sonst unbeeindruckt heruntergelesen habe. Die Mischung aus Familiendrama, Coming-of-Age- und Kriminalroman hat mich immer wieder berührt, bei der Stange gehalten – und am Schluss so richtig mitgenommen.

Fazit

„Von hier bis zum Anfang“ ist ein Spannungsroman mit ausnahmslos gelungenen Charakteren, der mich mehrfach überrascht hat. Es gab zwischendrin ein paar Längen, aber insgesamt hat mich die Geschichte gefesselt und bewegt.

4/5!

Von hier bis zum Anfang: Roman

448 Seiten / EAN 978-3-492-07129-1 / Übersetzung: Conny Lösch


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