Fast genial – Benedict Wells

Darum geht‘s

Jahrelang hielt Francis aus „Fast genial“ seinen Vater unbekannterweise für einen Loser. Als seine Mutter ihm nun in einem Abschiedsbrief verrät, dass Francis‘ Vater ein Genie ist, will er ihn endlich kennen lernen. Wird er am Ende des Roadtrips sein Ziel erreichen und sich nicht mehr wie ein Versager ohne Perspektive fühlen? Wird ihm seine Herkunft helfen, sein ganzes Potenzial zu erkennen und auszuschöpfen?

Der Protagonist

Francis ist fast 18 und wohnt mit seiner Mutter seit 2,5 Jahren in einem Trailerpark am Stadtrand von Claymont. Als wir in die Geschichte einsteigen, ist seine 40-jährige Mum mal wieder wegen ihrer manischen Depression in einer Klinik. Zu seinem Halbbruder Nicky, 13, und seinem Stiefvater Ryan, die beide in New York leben, hat er kaum Kontakt. In der Schule hat er Schwierigkeiten. Und sein leiblicher Vater ist unbekannt. Er fühlt sich unbedeutend und hoffnungslos.

Ich fand Francis weder besonders sympathisch noch gänzlich unsympathisch. Ich stand ihm neutral gegenüber, was fürs Mitfiebern immer ein bisschen schwierig ist.

Oft wollte ich ihm Dinge zuflüstern, ihn ein bisschen beeinflussen und in eine andere Richtung lenken. Er hat häufig Dinge getan oder gedacht, die ich nicht sonderlich überzeugend, hilfreich oder gut fand.

Auch wenn er mich nicht richtig einfangen konnte, war ich auf den Ausgang seiner Reise und inwiefern ihn sein neues Wissen verändern kann, gespannt.

Die Crew

Bei der Suche nach seinem Vater begleiten ihn sein langjähriger Freund Grover und seine recht neue Bekanntschaft Anne-May.

Grover stammt aus einer wohlhabenden und intakten Familie. Er ist ein cleverer Nerd, der in der Schule Hänseleien ausgesetzt ist.
Es ging mir mit ihm zunächst wie mit Francis: Ich fand ihn ganz okay. Er macht im Verlauf immerhin eine Entwicklung durch.

Anne-May mochte ich hingegen weniger. Francis hat sie in der Klinik kennen gelernt, in der seine Mutter zum dritten Mal behandelt wird. Sie wirkt anfangs sehr rätselhaft, nach und nach offenbart sie sich ihm, distanziert sich aber immer wieder. Ihr Verhalten und ihre Entscheidungen am Ende haben mir leider auch nicht gefallen.

Der Roadtrip

Der Roadtrip (mit Los Angeles als vorläufigem Ziel) nimmt einen großen Teil ein, konnte mich aber nicht sehr begeistern. Ich fand die Handlung wenig fesselnd.

Ich will nicht zu viel verraten, deshalb gehe ich nicht näher darauf ein, aber „Fast genial“ hat einen wahren Hintergrund. Diesen fand ich interessant.

Richtig spannend wird es, als sie die Endstation erreichen. Hier werden manche Leser*innen vielleicht überrascht sein.

Nach der Reise geht es noch ein wenig weiter – und zwar für mich mitreißender als die gesamte Zeit davor.

Ende

Die letzten 10% von „Fast genial“ fand ich richtig abenteuerlich und aufregend. Das tatsächliche Ende hat mich allerdings enttäuscht. Ich bin generell kein Fan von abrupten Ausgängen – und noch viel weniger von offenen Enden. Zwar habe ich hier für mich eine starke Tendenz, weil ich meine, etwas als Hinweis auslegen zu können. Ob meine Annahme allerdings stimmt, ist natürlich fraglich. Ich mag es am liebsten, wenn alles eindeutig aufgeklärt wird. Das habe ich hier vermisst. Ich wurde aus den für mich spannendsten Seiten des Buches katapultiert – und es wurde nicht einmal im Ansatz versucht, mich aufzufangen. Das war echt hart, härter wahrscheinlich, als jedes gedruckte Ende für mich hätte sein können.
Über diesen Roman denkt man wegen des offenen Endes noch länger nach, was natürlich auch ein Ziel ist, das man als Autor verfolgen kann, keine Frage.

Stil

Es gibt keinen Ich-Erzähler, was ich zunächst schade fand, weil ich oft das Gefühl habe, durch die Ich-Perspektive einen besseren Draht zu den Hauptfiguren zu kriegen. Und auch hier fehlte mir die Nähe zu Francis. Trotzdem kann ich verstehen, dass er nicht als Ich-Erzähler auftritt, weil es sich ja um einen echten Hintergrund handelt und die direkte Sicht dadurch weniger passend für diese Geschichte erscheint.

Ich mochte den schlichten Schreibstil gern, wenn er auch nicht so viel in mir ausgelöst hat, wie das zum Beispiel in „Hard Land“ der Fall gewesen ist. Das Geschriebene kommt locker und leicht und so jugendlich rüber, wie der Protagonist und seine Freunde ja auch sind.

Die Unsicherheiten, die die Jugendlichen spüren, fand ich größtenteils ganz gut eingefangen. Wer ist man? Wie findet man sich selbst? Wie finden einen die anderen – und wie wichtig ist das? Fragen, die sich wohl jeder schon einmal gestellt hat.
Für mich hätte man hier aber insgesamt emotional noch viel mehr herausholen können. Das wäre natürlich auf Kosten der Leichtigkeit geschehen, die hier zwischen den vielen ernsten Themen immer mitschwingt. Wahrscheinlich ist es so, wie es ist, schon ein gelungener Kompromiss. Ich persönlich fühle aber eben gerne intensiv mit – und das hat mir hier gefehlt.

Fazit

Inwiefern bestimmen Gene unser Potenzial? Wird sich Francis‘ Leben ändern, wenn er seine genaue Herkunft und die Intelligenz seines Vaters kennt? Diese Fragen sind interessant. So richtig mitreißend war „Fast genial“ für mich aber nicht. Dafür konnte ich mich zu wenig mit den Figuren verbinden. Die Handlung war größtenteils wenig fesselnd, auch wenn ich durchaus auf das Ergebnis der Reise und den weiteren Verlauf gespannt war. Die Seiten lesen sich weg wie nichts. Der letzte Teil war packend wie ein guter Krimi, das tatsächliche Ende kam mir allerdings viel zu plötzlich – und vor allem ist es mir zu offen. Knappe

3/5!

Fast genial. Roman (detebe)

336 Seiten / ISBN: 978-3-257-24198-3


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