Hard Land – Benedict Wells

Darum geht’s

Der 15-jährige Sam soll die Ferien bei seiner Tante Eileen in Wichita, Kansas verbringen. Ist er sonst schüchtern und angepasst, begehrt er plötzlich auf, denn zu seinen fiesen Cousins will er auf keinen Fall. Kurzerhand bewirbt er sich in „Hard Land“ im örtlichen Kino – und kriegt den Job. Damit ändern sich nicht nur seine Pläne für den Sommer 1985, sondern sein ganzes Leben. Denn es wird sein schönster und schlimmster Sommer, ein Sommer, der ihm verdammt viel nehmen, aber auch so viel geben wird…

Der Protagonist

Protagonist Sam Turner ist fast 16 und lebt mit seinen Eltern in einer Kleinstadt in Missouri. Eigentlich ist er genervt von Grady, dem Kaff, in dem absolut nichts los ist. Doch in diesem Sommer lernt er alles mit anderen Augen kennen.

Sam ist ängstlich, hat eine sehr kleine Komfortzone und schon einige Erfahrungen bei der Schulpsychologin gesammelt. Zu seiner älteren Schwester Jean besteht kaum Kontakt, sein bester Freund Stevie ist im letzten Herbst nach Toronto umgezogen. Sam ist einsam. Doch das wird sich ändern. Denn zu dem Job im Kino gibt’s nach und nach auch Freunde und große Abenteuer dazu.

Sam hat mir als Protagonist extrem gut gefallen. Er erschien mir nicht nur real, er hat mich sogar an jemanden erinnert, den ich einmal kannte. Das zeigt, wie großartig die Figur entwickelt, wie sehr sie zum Leben erweckt wurde.
Auch seine Gedanken und Gefühle waren glaubwürdig, seine Unsicherheit, sein Schmerz, all das war für mich nachvollziehbar und absolut fühlbar.

Fühlbar

Apropos fühlbar. Das Buch hat mir wehgetan, aber ich habe es ihm keine Sekunde übel genommen. Bücher, die meine Sicht verschwimmen lassen, sind oft die allerbesten. Außerdem hat es mich genauso lächeln und hoffen lassen – und prächtig unterhalten.

Das Lesen war für mich ziemlich emotional. Ich hatte Gänsehaut, fand es schmerzhaft, wie sehr Sam mit sich selbst und den Umständen zu kämpfen hatte, wie der Schwebezustand Normalität geworden, wie das Lauern auf schlechte Nachrichten immer präsent war – und wie diese dann einschlugen. Seine Zerrissenheit, sein Wunsch, ein anderer zu sein, all das war für mich absolut fühlbar.

Ich hatte an mehreren Stellen Tränen in den Augen. Dann war ich wieder besserer Stimmung. Das wechselte ständig, einmal hatte ich noch mit Tränen zu kämpfen, als ich plötzlich grinsen musste. Also echt, hier macht man emotional einiges mit.

Entwicklung

Sam macht eine riesige Entwicklung durch. Er wird erwachsen. Er wächst. Er tut dies nicht immer ganz freiwillig, aber meistens bringen uns die Dinge am weitesten voran, die uns herausfordern. Manchmal suchen wir sie uns selbst, manchmal finden sie uns. Oft braucht man Überwindung oder einen Anstoß, um sie anzugehen.

Die Charakterentwicklung war insgesamt großartig. Das gilt für ihn in besonderem Maße, das gilt aber ebenso für die anderen Figuren.

Die Clique

Nicht nur Sam ist ein gelungener Charakter in „Hard Land“, auch seine Freunde haben ihre Geschichten und konnten mich überzeugen. Ich fand es toll, dass sie alle so unterschiedlich, aber dennoch zueinander passend waren. Über Kirstie Andretti denkt Sam zum Beispiel:

Sie konnte mir so ähnlich sein, und sie war das Gegenteil von mir, und wenn meine Stimmung eine leere Fabrikhalle war, dann war sie ein Haufen Kerzen.” (S. 100)

Auch Hightower hat mich berührt. Und Cameron hätte in der Geschichte ebenfalls nicht fehlen dürfen.

Verlauf

Ich war vom Verlauf angetan. Vieles ist absehbar, aber das hat mich hier nicht gestört, es kam mir rund und passend vor, hätte für mich gar nicht anders sein sollen. Es ist nicht alles durchschaubar, aber viele Dinge, die eintreten, kann man eben erahnen. Nehmen wir mal Camerons Werdegang als Beispiel. Ich habe nicht gedacht: „Oh, bitte nicht, ich will, dass es anders kommt und ich völlig verblüfft dastehe!“, sondern ich habe mich auf die Enthüllung, dass es tatsächlich so ist, wie ich mir das vorgestellt habe, gefreut. Es kommt so, wie es kommen muss. Alles.

Stil

Benedict Wells schreibt für mich einfach eindringlich. Das, was er ausdrücken will, das, was die Personen fühlen, das kommt alles bei mir an. Ungefiltert. Ich habe so viel gespürt beim Lesen! Es war, als wäre ich in irgendeiner Art und Weise wirklich involviert, als würde es mich persönlich betreffen. Das tut es in dem Sinne natürlich nicht. Es ist Sams Geschichte, Sams Schicksal. Aber gerade auch die Kämpfe, die er austragen muss, sind zum Teil Kämpfe, mit denen man sicher selbst schon einmal in Berührung kam. Erwachsen werden mussten wir alle – und problemlos geht das wohl nie vonstatten. Auch Verlusten muss man sich früher oder später stellen – und schmerzfrei wird das kaum ablaufen. Da er es schafft, die Emotionen so stark zu mir zu transportieren, konnte ich nicht nur mit Sam fühlen, sondern es rief auch eigene Erinnerungen wach und hat mich irgendwo tief drinnen getroffen. Was gut ist. Wie gesagt, ich bin immer froh, wenn ein Buch es schafft, wirklich wehzutun. Das ist etwas ausgesprochen Gutes.

Der Autor schreibt einfach, klar, aber auch poetisch. Er schreibt gefühlvoll, ohne kitschig zu klingen. Melancholisch, ohne hoffnungslos zu erscheinen. Immer wieder musste ich mir Stellen markieren, weil sie so schön, so treffend formuliert waren.

Dies ist mein zweites Buch von Benedict Wells – und ich bin wirklich begeistert von seinem Stil. Ich werde wohl alles, was schon erschienen ist, lesen – und alles, was noch erscheinen wird.

Fazit

„Hard Land“ ist ein Coming-of-Age-Roman, der mich mit seinem Stil und seinen Figuren absolut überzeugt – und berührt hat.

5/5!

Hard Land: Roman

352 Seiten / ISBN: 978-3-257-07148-1


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